Nach umstrittener Wahl im Iran: Ex-Präsident fordert Volksabstimmung
Reformer um den iranischen Expräsidenten Chatami wollen das Volk über das Wahlergebnis vom 12. Juni abstimmen lassen. Daraufhin droht Revolutionsführer Chamenei der "Elite".
Im Streit über den Ausgang der Präsidentenwahl im Iran haben Expräsident Mohammad Chatami und weitere reformorientierte Geistliche eine Volksabstimmung gefordert. Die einzige Rettung aus der Krise sei, das Volk in einem Referendum über die Legitimität der Regierung abstimmen zu lassen, sagte der frühere Staatspräsident Chatami am Sonntag in Teheran bei einer Versammlung der Organisation Rohaniyat-e Mobarez (Kämpfende Geistlichkeit). Nur so ließe sich das Vertrauen, das durch den großen Betrug bei der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni erschüttert worden sei, zurückgewinnen.
Das Referendum müsse von einer unabhängigen Instanz, wie etwa dem Schlichtungsrat, durchgeführt werden, forderte Chatami. "Wir müssen die Menschen im Land fragen, ob sie mit der gegenwärtigen Lage zufrieden sind. Sollte die Mehrheit dem Wahlergebnis zustimmen, werden wir uns fügen."
Die gleiche Forderung stellte auch die "Kämpfende Geistlichkeit", der neben Chatami eine ganze Reihe renommierter Geistlicher angehören. In einer Erklärung warnte sie, die beiden Säulen des Staates, "das Republikanische und der Islam", seien "ernsthaft in Gefahr". Der von Staatsgründer Ajatollah Chomeini aufgestellte Grundsatz, es gelte der Wille des Volkes, sei in eklatanter Weise verworfen worden. Dem Volk sei nicht nur durch den Wahlbetrug das Wahlrecht geraubt worden, auch das durch die Verfassung verbriefte Recht, gegen eine Wahl friedlich zu demonstrieren, sei mit der brutalen Niederschlagung der Proteste eklatant verletzt worden. Man habe versucht, die Protestbewegung als von außen gesteuert darzustellen. Das Volk müsse seine Rechte wieder zurückgewinnen und über sein Schicksal selbst entscheiden.
Die Forderung nach einer Volksabstimmung geht weit über die Vorschläge hinaus, die der frühere Staatspräsident Haschemi Rafsandschani beim Freitagsgebet vergangene Woche vorgelegt hatte - und die hatten bereits den Rahmen gesprengt, über den sich bisher keiner aus dem islamischen Establishment hinaus gewagt hatte. Rafsandschani hatte von einer tiefen Staatskrise gesprochen und die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen, Pressefreiheit und die Überprüfung der Wahlen gefordert und damit wütende Wortführer der radikalen Rechten auf den Plan gerufen. Ajatollah Mohammed Jasdi, Mitglied des Wächterrats, warf Rafsandschani vor, sich in Angelegenheiten der Justiz einzumischen. "Wer bist du überhaupt, dass du dir erlaubst, Freiheit der Gefangenen zu verlangen", sagte Jasdi. Die Proteste gegen die Wahl seien wertlos, denn letztendlich gelte das Wort des geistlichen Führers, der seine Legitimation nicht durch die Zustimmung des Volkes, sondern durch den Willen Gottes erhalte.
Das ist die These, die über den Wahlbetrug hinaus den ideologischen Hintergrund der gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen den Radikalislamisten und den Reformern darstellt. Was die Radikalen anstreben, ist ein rein islamischer Staat ohne jeglichen republikanischen Zusatz. Daher vermeiden sie den Begriff Republik und sprechen stets vom islamischen Staat. Demgegenüber vertreten die Reformer die Ansicht, dass der vor 30 Jahren gegründete Staat nur Bestand haben könnte, wenn ein Gleichgewicht zwischen islamischen und republikanischen Grundsätzen hergestellt werde.
Mit dem Auftritt Rafsandschanis und dem Vorstoß Chatamis scheinen sich auch diese Akteure der Führung der Opposition, die bislang die beiden unterlegenen Kandidaten Mehdi Karrubi und Mir Hossein Mussawi innehatten, angeschlossen zu haben.
Der geistliche Führer Ali Chamenei hat die "iranische Elite" derweil aufgefordert, mit ihren Äußerungen nicht die öffentliche Sicherheit zu gefährden. Die Störung der Sicherheit sei "das größte Laster". "Jeder, der die Gesellschaft in die Unsicherheit und Unordnung lenkt, ist eine gehasste Person aus der Sicht der iranischen Nation, wer immer er auch sei", sagte er laut einem Bericht des staatlichen Rundfunks. Namen nannte Chamenei nicht - die Warnung zielte aber deutlich auf Ahmadinedschads unterlegenen Herausforderer Mir Hussein Mussawi und den Geistlichen Rafsandschani.
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