■ Nach der Amtsenthebung des brasilianischen Präsidenten: Brasilien — Land der Zukunft
Brasilien feiert sich selbst. Zum ersten Mal in der Geschichte der achtgrößten Industrienation entreißt das Volk seinem Präsidenten die Macht. Zum ersten Mal zeigt das Volk der privilegierten und korrupten Oberschicht des Landes die Zähne. Zum ersten Mal gelten in Brasilien gleiche Gesetze für Mächtige und Ohnmächtige. Und als ob dies noch nicht genug ist, verlief der Erdrutsch in den Tropen auch noch in demokratischen Bahnen.
Bezeichnenderweise brachte Ex-Präsident Collor selbst den Stein ins Rollen. Der 42jährige Emporkömmling gewann vor drei Jahren als selbsternannter „Jäger der Korrupten“ die ersten freien Präsidentschaftswahlen nach dem Ende der Militärdiktatur. Die Unverfrorenheit, mit der sich der vermeintliche Saubermann und seine Frau Rosane dann über die brasilianischen Staatsfinanzen hermachten, sprengte alle bisher gekannten Grenzen. Die Dreistigkeit der beiden ist kennzeichnend für die brasilianische Oberschicht: Sie wähnte sich gegenüber der Öffentlichkeit in absoluter Sicherheit. Ungehemmte Bereicherung auf Kosten des Volkes, geistige Mittelmäßigkeit und feudalistische Herrschaftsstrukturen machten Brasilien zu einem Paradies für die Kaste der Korrupten.
Ex-Präsident Collor hat dem Land einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Sein hemmungsloser Plünderzug überschritt die Toleranzschwelle der brasilianischen Öffentlichkeit. Collor gelang etwas, was vor ihm noch niemand geschafft hatte: Er brachte die gesamte Gesellschaft gegen sich auf. Um Collor die Macht zu entreißen, schlossen sich bisher unversöhnliche politische Gegner wie die Gewerkschaft „CUT“ und der Unternehmerverband „Fiesp“ in der nationalen Bewegung für Ethik zusammen.
Collors Sturz ist nicht nur ein Sieg des Volkes und der jungen brasilianischen Demokratie, sondern auch ein Sieg des Parlamentarismus. Zwar ist die Volksbefragung über die künftige Regierungsform Brasiliens, Präsidentialismus, Parlamentarismus oder Monarchie, erst für April nächsten Jahres vorgesehen. Doch in der Praxis hat der Parlamentarismus schon begonnen. Das brasilianische Volk hat sich bereits von dem nach dem Vorbild der US-amerikanischen Verfassung errichteten System verabschiedet, das es einer einzigen Person erlaubt, der Mehrheit des Volkes ihren Willen aufzuzwingen.
Vizepräsident Itamar Franco wird sich hüten, den Fehler Collors zu wiederholen, gegen den brasilianischen Kongreß zu regieren. Die Schwäche des unscheinbaren Vize ist seine Stärke. Er hat die Chance, die überparteiliche Bewegung gegen Präsident Collor in politisches Handeln umzumünzen. Die Gelegenheit für durchgreifende politische Reformen in Brasilien war noch nie so günstig. Astrid Prange
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