■ Nach den Wahlen in Österreich: Die Republik trudelt
Freundlich waren die Prognosen der Demoskopen ohnehin nicht. Doch das Ergebnis, für das die österreichischen Wähler bei den gestrigen Nationalratswahlen gesorgt haben, ist schlimmer als von den beharrlichsten Pessimisten vorausgesagt. Eine Epoche ist zu Ende.
„Diese Wahlen sind eine Katastrophe“, sagte der mächtige Wiener SPÖ-Chef Michael Häupl. Die Partei von Kanzler Franz Vranitzky kam auf kaum mehr als 35 Prozent – und hat damit in den letzten acht Jahren mehr als zehn Prozent der Stimmen verloren. Die christdemokratische ÖVP, bislang der Juniorpartner in der Großen Koalition, erreichte rund 28 Prozent. Jörg Haiders rechtspopulistische „Freiheitliche Partei“ (FPÖ) kletterte auf triumphale 22 Prozent.
Wenig Trost bieten da die rund 7 und 5,3 Prozent, die die Grünen und das Liberale Forum erreichen konnten.
Seit 24 Jahren hat die SPÖ regiert – Bruno Kreisky und nach ihm Franz Vranitzky haben ein Vierteljahrhundert die Republik geprägt. Nie wollte es der traurigen Volkspartei gelingen, die Mehrheit der Sozialdemokraten zu brechen. Nun verlor die ÖVP abermals über vier Prozent.
Doch dieses Debakel gibt den Konservativen paradoxerweise die Chance, die Macht der SPÖ zu brechen. Zwar hat ÖVP-Chef Erhard Busek immer wieder die Weiterführung der Großen Koalition garantiert – doch die Chance, mit Unterstützung der rechten Kämpen Jörg Haiders erstmals wieder den Kanzler zu stellen, wird sich die Volkspartei womöglich nicht entgehen lassen.
Schon vor den Wahlen hatte ÖVP-Ehrenobmann Alois Mock (der Außenminister und Busek-Feind) angedeutet, er wolle Kanzler einer ÖVP-FPÖ-Koalition werden. Will er's, wurde er gefragt? „Momentan nicht, aber am Montag kann sich viel ändern.“ Deutlicher kann man es kaum sagen. Sollte der schwer kranke Außenminister Mock gegen seinen liberalen Parteichef putschen und sich mit Hilfe Jörg Haiders zum Kanzler küren lassen, droht Österreich ein christlich-konservativ-rechtsradikales Kabinett.
Nach einem Vierteljahrhundert Sozialdemokratie trudelt die Alpenrepublik, womöglich in die Katastrophe. Politische Düsternis droht sich über das Land zu legen. Robert Misik, Wien
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