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■ Nach dem neuen Störfall von TschernobylDeutschmark nach Kiew!

Wem fällt zum Weiterbetrieb der Reaktorruinen von Tschernobyl sieben Jahre nach der Katastrophe noch was ein? Es ist ja nicht der reine Zynismus, der die politisch Verantwortlichen in der Ukraine im Jahreszeitenrhythmus zwischen Stillegungsankündigung und Betriebsverlängerung hin- und hertorkeln läßt. Sie stehen – vielleicht nur subjektiv – vor einer Wahl, die keine ist: Entweder das Land versinkt weiter in wirtschaftlichem Chaos, mit „ausgehenden Lichtern“ als möglicherweise letztem Signal zur offenen Revolte. Oder das Damoklesschwert einer Wiederholung des 26. April 1986 schwebt, im täglichen Leben weniger allgegenwärtig als dunkle Lampen und kalte Heizungen, weiter über den Menschen. Nur diese Zwangsvorstellung vermag die unglaubliche Tatsache zu erklären, daß die Ukraine immer noch Strom über die Landesgrenzen ins Ausland schafft. In die ehemaligen Bruderländer und nach Österreich. Es gibt eben in Osteuropa mindestens ein Gut, das noch knapper ist als Strom: Devisen.

Ohne Stromexporte könnte die Ukraine die Atomzentrale sofort stillegen. Doch das Valuta-Rinnsal würde gänzlich versiegen. Zu reden ist also von den Verantwortlichen des Westens. Wer ist das? Exponiert hat sich in den vergangenen Jahren mehr als jeder andere Bundesumweltminister Klaus Töpfer. Er besuchte mehrfach das Kraftwerk, verließ es jeweils mit weichen Knien und aschfahlem Gesicht. Seine hilf- und bis heute erfolglosen Versuche, „den Westen“ zu wirklicher Unterstützung zu motivieren, sind ihm nicht eigentlich vorzuwerfen. Dafür, daß sich bei seinen Gastgebern niemand daran gebunden fühlte, bezog er Prügel, während Helmut Kohl mit seinen Gipfel-Freunden aus den reichsten Gesellschaften dieser Erde stundenlang Hilfssummen hin und her wälzte, die im Zusammenhang mit der deutschen Einheit nicht mal als Fußnote Erwähnung finden würden.

Was jetzt ansteht, ist nicht die Fortsetzung des Endlos-Streits über die richtige Strategie für den Aufbau eines neuen Energiesystems in Osteuropa. Zu reden ist über Geld. Der Regierung in Kiew muß genau die Summe in Dollar oder Deutschmark geboten werden, die sie mit dem Auslaufen der Tschernobyl-Zentrale noch einzunehmen hofft, und zwar nicht als Kredit, sondern bar auf die Hand. Als Gegenleistung verpflichtet sie sich, ihre rissigen Maschinen nie wieder anzuwerfen, zu nichts weiter. Helmut Kohl mag seine G-7- und EG-Partner um Beteiligung angehen. Wenn sie weiter stur bleiben, muß der deutsche Steuerzahler allein ran. Und wenn er bockt? Dann muß er notfalls daran erinnert werden, daß die Deutschen die Wolke aus Tschernobyl seinerzeit um ein Vielfaches teurer kam als die jetzt notwendige Spende. Gerd Rosenkranz

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