■ Nach dem Rücktritt des Hamburger Innenministers: Ein Grund zur Freude
Die täglich neuen Skandale um prügelnde Polizisten werden für viele nur eine weitere Bestätigung für die rechtsradikale Talfahrt der Republik sein, getreu dem Motto: immer schlimmer, immer rassistischer, immer extremer. Das reiht sich nahtlos ein in das trübsinnige Bild von den furchtbaren rechten Richtern und Verfassungsschützern. Falls das sorgsam gepflegte und gehegte Weltbild nach 1989 Risse bekommen haben sollte, nun läßt sich's wieder zu-rechts- links-rücken. Dabei sind die Berichte von Mißhandlungen von Ausländern und Verurteilungen von prügelnden Polizisten in erster Linie ein Grund zur Freude. Sie belegen, daß die demokratische Kontrolle besser funktioniert als in der Vergangenheit und nicht, daß der faschistische Kettenhund von der Leine ist. Oder möchte jemand ernsthaft behaupten, in den 60er, 70er und 80er Jahren wären die Ordnungshüter zurückhaltender gewesen? Hätten Penner und Junkies in U-Bahnhöfen und Bettler in Fußgängerzonen gar mit Samthandschuhen angefaßt?
Kritik an des Deutschen Lieblingskind – der Obrigkeit – ist kein Sakrileg mehr und kein Privileg notorischer Systemkritiker. Eine breitere bürgerliche Öffentlichkeit beobachtet sie sehr genau in der Wahl der Mittel bei Ausführung des Gewaltmonopols des Staates. Was übrigens ganz im Sinne vieler Polizeibeamter ist, denen man nur wünschen kann, noch ein Quentchen mehr Zivilcourage aufzubringen und sich aktiver und nicht nur hinter vorgehaltener Hand in die Debatte um die Demokratisierung der Polizei einzumischen.
Wenn unter den Getroffenen (was im übrigen zu mehr als 90 Prozent nach wie vor deutsche Staatsbürger sind), die über Mißhandlungen durch die Polizei klagen, immer mehr Immigranten sind, dann nicht notwendigerweise deshalb, weil sie stärker als in der Vergangenheit Behördenwillkür ausgesetzt wären, sondern sich inzwischen als Teil dieser Gesellschaft begreifen und folglich auch bei polizeilichen Maßnahmen einklagen, als Bürger und nicht als Freiwild behandelt zu werden. Immigranten dürfen inzwischen die Hoffnung haben, daß ihnen zumindest zugehört wird und ihnen – wenngleich die Chance noch immer viel zu gering ist – Gerechtigkeit widerfährt.
Die Hamburger, Berliner und Bernauer Ereignisse beweisen keineswegs einen unaufhaltsamen Rechtsdrift, sondern zeugen von einem erstarkenden Selbstbewußtsein und gesellschaftlicher Bedeutung der Immigranten. Oder wann gab es das jemals in der Geschichte der Bundesrepublik, daß ein Innenminister/ Senator wegen Klagen von Einwanderern zurücktreten mußte? Hamburg war erst der Anfang einer Veränderung der politischen Kultur. Eberhard Seidel-Pielen
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