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Nach dem Familiendrama in SchwalmtalDer Mainstream-Täter

Ein 71-jähriger Rentner erschießt in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt drei Menschen. Warum? Die gängigsten Erklärungsversuche scheitern bei dieser Tat.

Der 71-Jährige Täter von Schwalmtal war westdeutsch, weiß und Rentner. Mehr Mainstream geht kaum. Bild: dpa

BERLIN taz | Ein Mann hat im niederrheinischen Schwalmtal am Dienstag drei Menschen erschossen und einen schwer verletzt. Der 71-Jährige sah offenbar die Familienehre beschmutzt. Grund: Seine Tochter sollte nicht mehr in ihrem Haus wohnen dürfen, weil der Schwiegersohn das Eigenheim nach der Trennung zwangsversteigern lassen wollte … nein, so nicht. Noch mal.

Ein Mann aus der niederrheinischen Kleinstadt Schwalmtal hat am Dienstag drei Menschen erschossen und einen schwer verletzt. Als die Polizei das Haus des Amokläufers durchsuchte, fand sie mehrere Kopien des Computerspiels "Postal 2", eines Ego-Shooters, in dem der Spieler einen extrem gewalttätigen Amokläufer verkörpern kann … Nein, so war es auch nicht.

Russlandeutscher und deshalb laut Statistik besonders gewalttätig? Nein.

Paintballspieler und deswegen geübt im Umgang mit Waffen? Auch nein.

Seit der Bluttat in Nordrhein-Westfalen sind mehr als 24 Stunden vergangen. Kein Experte oder Journalist hat bisher versucht, die Menschen mit einer der gängigen Großerklärungen zu beglücken, warum jemand drei Menschen erschossen hat. "Es gibt nur Fragezeichen, es versteht einfach keiner, was hier passiert ist", sagte ein Anwohner der Deutschen Presse-Agentur. So wie ihm geht es vielen.

Dabei wollen Medienmacher, Medienkonsumenten und Politiker nach solchen Morden möglichst genaue Antworten auf die Frage nach dem Grund. So soll das Entsetzliche fassbar werden, denn nichts ist schlimmer als die Ungewissheit und das innerliche Fragen, welches das eigene Bild von sich und der Welt wanken lässt: Kann es auch mir passieren? Kann ich die Wut des Täters nachempfinden? Gibt es vielleicht Umstände, für die auch ich verantwortlich bin?

Am einfachsten lässt sich das ausschließen, indem die Verantwortung eingegrenzt und ausgelagert wird - an das Fremde: wahlweise an Andersgläubige, als primitiv empfundene Menschen mit nichtdeutscher Herkunft, Ostdeutsche - man denke nur an Jörg Schönbohms Babymorderklärung - oder die Jugend und ihre seltsamen Zeitvertreibe. In der Mehrheitsgesellschaft kommen vor allem zwei Dinge an: Bei denen musste es ja mal so weit kommen. Und: Das hat mit uns nichts zu tun. Nur diesmal funktioniert das nicht.

Westdeutsch, weiß, Rentner - mehr Mainstream geht kaum. Damit fällt die Lieblingsbeschäftigung der Mediengesellschaft - das Antwortgeben - wohl erst einmal aus. Stattdessen muss die Öffentlichkeit hier das hinnehmen, was sie sonst nicht hinnehmen mag: offene Fragen.

Recht naheliegend wäre: Macht das Zusammenbrechen des Gewohnten auch deutsche Rentner so wütend, dass sie mit Gewalt antworten? Wem das zu philosophisch ist: Warum kommt man in diesem Land so leicht an Waffen und könnten wir nicht auch ohne Schützenvereine und Schießsport leben? Oder linker: Liegt es eventuell am kapitalistischen System, welches nach einer Scheidung zu unbarmherziger Eigentumsteilung zwingt und alte Menschen als Ausschuss abqualifiziert?

Vielleicht gehen diese Fragen den meisten aber auch zu sehr an die Substanz, so dass sie spinnert erscheinen. Dann heißt es vielleicht: Das war eine Einzeltat, so was passiert unter Menschen nun einmal und nicht alles lässt sich so einfach erklären. Mag sein. Aber dann sollte zumindest ein wenig von diesem Zögern auch bei all jenen Taten da sein, für die sonst immer so schnell Erklärungen gefunden werden.

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16 Kommentare

 / 
  • 2
    2012

    Wenigstens greift laut RTL-Berichterstattung das Klischee des insgeheim ja schon lange auffälligen Täters mit der Matschbirne...

  • K
    Karl

    @ Redaktion

     

    Ausgezeichneter Kommentar !

     

    @Googy

     

    Das war dem Vernehmen nach längst illegaler Altbesitz, vom Täter schon "geerbt". Was willste dann da präventiv machen?

     

    Glück auf

     

    Karl

  • G
    Googy

    Ich kann es nicht glauben:

    Gerede über Gier, möglichen finanziellen Ruin und "nachdenklicher Kommentar"

     

    Keiner fragt danach, wie dieser Typ an die Waffe/Waffen kam, er soll doch schon einmal wegen

    eines Angriffs auf mehrere Personen mit einem Baseballschlägers polizeilich bekannt geworden sein und wegen "Prozeßunfähigkeit" nicht belangt worden sein - nochmal: wie kann eine solcher Typ Zugang zu Schusswaffen haben???

    Wo waren denn hier die Präventionsspezialisten?

    Es wird eine Mediendrama aus der Tatsache gemacht, dass ein 16-jähriger aus Verantwortungslosigkeit und Blödheit seines Vaters an eine Schusswaffe gelangt - bei einem älteren, wegen Gewalthandlungen bereits bekannten Zeitgenossen ist das offensichtlich kein Thema

  • H
    Holger

    @leude:

    Es war nicht sein Haus, er war überhaupt nicht ruiniert.

    @Sam Lowry:

    Er stand nicht unter Alkohol, außerdem hatte er die Tat geplant.

    @Chris:

    Ja, bessere Beispiel dafür, wie sehr doch die Menschen nach einfachen Ein-Satz-Erklärungen suchen, konnten die Kommentare nicht liefern.

    Man muss nur ausreichend Informationen ausblenden, bzw. noch besser, Informationen von vornherein meiden.

  • P
    peng

    leude:

    "Er tat es, weil er FINANZIEL RUINIERT war und SEIN HEIM VERLOREN hätte.. ein Szenario, dass sich bald häufen wird."

     

    Sam Lowry:

    "Die Gier des Menschen nach IMMER MEHR Besitz (und MACHT) verursacht alles Leid in der Welt"

     

    Alles falsch (und noch dazu etwas wiedersprüchlich, was sie beide hier im Brustton der Überzeugung vortragen). Er tat es weil bald der Mond im Siebten Haus des Wassermans stehen würde!

     

    ...

     

    Der Autor hat eine klare Botschaft: man kann nicht alles einfach und mir einem Satz erklären. Viele Menschen verlieren alles... und werden nicht zu mördern. Viele Menschen gieren nach Macht... und werden nicht zu mördern. Haben Sie den Artikel eigentlich gelesen und einmal darüber nachgedacht oder einfach nur gesehen "Ah es geht um das Familiendrama" und sich gedacht "da klatsch ich doch gleich mal irgendwelche Pauschalitäten drunter"

     

    Herrn Schulz sei Gedankt für seinen nachdenklichen Kommentar. Wird wohl leider nur wenige interessieren oder zum selbst nachdenken andregen.

  • F
    fruten

    interessanter, da nachdenklicher kommentar. danke dafür.

  • C
    Chris

    Der Autor des Artikels hat sich geirrt, klappt ja doch mit den einfachen Ein-Satz-Erklärungen :-)

  • KI
    Kapitalist Indykist

    Na, da wird das BKA aber fleissig nach Killerspielen suchen müssen.

     

    Andere Erklärungen für Amokläufe kennen die ja nicht.

     

    Naja- vielleicht finden sie wenigstens ein paar Kinderpornos- dann ist die Welt für sie ja wieder imn Ordnung.

  • A
    anti-propaganda

    danke daniel schulz, für den wirklich coolen artikel!

    und bitte, taz, mehr davon! das ist es doch, was euch einzigartig und zur besten tageszeitung deutschlands macht: die gängigen (kopf-)bilder zu hinterfragen, ihre widersprüche und wahnhaftigkeit bloß zu legen und das am besten noch auf sarkastische/zynische art&weise.

     

    als ergänzung zu den "naheliegenden" fragen: sind es mitunter nicht genau diese medial propagierten bilder (motto: "verantwortung eingrenzen & auslagern an fremde"), die zu solch bluttaten führen können? stichwort r.dutschke oder alle fremdenfeindlichen gewalttaten seit "asyldebatte" bzw. jetzt "integrationsdebatte"...

     

     

     

    (schade bleibt, dass genau die medien&, die am konsequentesten an solchen bildern (amoklauf weil marilyn manson / egoshooter fan etc) stricken, weder diesen artikel abdrucken, noch beim nächsten 'passenden drama' auf täter-herkunft oder spielpräferenzen als ursachenerklärung verzichten werden. bei ungleich größerer reichweite).

  • S
    Susi

    Und hat man schon "Killerspiele" bei ihm zuhause gefunden?

  • F
    Fraumeier

    Was bleibt den meisten Menschen in diesem Land, wenn man ihnen ihren Besitz nimmt? Dafür haben sie 'gelebt' und gearbeitet. Sie fühlen sich zu Recht betrogen...jedoch waren sie beteiligt am Selbstbetrug.

  • K
    Klug

    @leude: SEIN Heim? Bitte informieren: Es war das Haus seiner Tochter und deren Ex-Ehemann.

  • D
    Drafu

    Spannend, wie wenig Aufhebens um diese Sache gemacht wird, wenn man es zum Beispiel mit Winnenden vergleicht. Da jeder weiss, dass es zynisch ist, Opferzahlen aufzurechnen, wird's wohl nicht dran liegen, dass es diesmal "nur" 3 Tote gab. Oder liegt es daran, dass hier die moralische Entrüstung im "Oh, die armen Kinder" - Reflex fehlt, die Zensursula und Helen Lovejoy so gerne instrumentalisieren? Großes Psychologisieren scheint nicht stattzufinden, nur ein simples "war eben pleite und vorm Abgrund". Ein konkretes materielles Scheitern im Herbst des Lebens scheint also verständlicher und vielleicht auch legitimer als eine vage teen-angst-Misanthropie? Das würde einiges über die besagte "Mainstream-Gesellschaft" aussagen, oder nicht?

  • N
    Nigredo

    Also Wolle Bosbach hätte da sicher Counterstrike gefunden!

    Wenn der politische Wille da ist, findet man das nämlich überall. (Frei nach Putin "Wir hätten Massenvernichtungswaffen gefunden")

     

    Und hier wird man sicher auch bald die entsprechenden Ablenkungsdebatten etablieren - was ist mit "Volksmusik macht aggressiv"? Dann könnte man den Polenfeldzug auch im Nachhinein als Amoklauf eines heimatmusikverkorksten Einzeltäters relativieren...

  • SL
    Sam Lowry

    Die Gier des Menschen nach immer mehr Besitz (und Macht) verursacht alles Leid in der Welt. Dazu der Hemmschwellen-Beseitiger Alkohol, alles möglich..

  • L
    leude

    Er tat es, weil er finanziell ruiniert war und sein Heim verloren hätte.. ein Szenario, dass sich bald häufen wird.