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■ Nach dem Erdrutschsieg der postkommunistischen ParteienWer springt über wessen Schatten?

„Wróc Komuno!“ „Komm zurück, Kommune!“ – so hieß es teils ironisch, teils sehnsuchtsvoll, als in Polen nach 1989 die sozialen Auswirkungen der Radikalkur Richtung Marktwirtschaft spürbar wurden. Keine Sorge! Die „Vereinigung der demokratischen Linken“ (SLD), die soeben bei den Wahlen zum Sejm 171 von 460 Sitzen gewonnen hat, denkt überhaupt nicht daran, am Rad der Geschichte Richtung Realsozialismus zu drehen. Zwar sind in der Linkskoalition, vor allem in der Gewerkschaft OPZZ, auch Nostalgiker des untergegangenen Regimes am Werk. Aber programmatisch wie praktisch steht die Führung der Postkommunisten, die das Rückgrat der Linkskoalition bilden, auf soziale Marktwirtschaft, und daran wird sich auch nichts ändern. Nicht wenige der in der „Sozialdemokratie der Republik Polen“ organisierten ehemaligen Nomenklaturisten verdienen heute als Manager ziemlich gut belegte Brötchen.

Der Unterschied zu den „Post-Solidarność“-Parteien, die, mit einer Ausnahme, eine vernichtende Niederlage erlitten haben, erklärt sich historisch und ist im schwer erschließbaren Reich der Mentalitäten angesiedelt. Die Wendekommunisten haben weder hinsichtlich der Kader noch der Finanzen je einen sauberen Schlußstrich gegenüber ihrer Vorgängerpartei, der polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR), gezogen. Kaum jemand stellte sich der Verantwortung für vier Jahrzehnte Mißwirtschaft. Das Mißtrauen, ja der Haß, der den Wendekommunisten deshalb in der Vergangenheit entgegenschlug, hat 20 Prozent der Wähler nicht daran gehindert, für das Linksbündnis zu stimmen. Gleiches gilt für den zweiten Sieger der Wahlen, die ehemalige Bauernpartei-Blockflöte PSL, die 129 Sitze erhielt. Auch sie arbeitet mit dem Personal der Vor-Wende-Zeit, wurde aber dennoch massiv von der Landbevölkerung gewählt, die in Polen nicht nur eine statistische Restgröße ausmacht.

Die Hauptursache für das Scheitern der „Demokratischen Union“ (UD), die fast durchweg nach 1989 die Regierung stellte, liegt in ihrer Wirtschaftspolitik. Entgegen ihrer Programmatik, die unter dem Einfluß der päpstlichen Enzykliken deutlich soziale, ja sogar kapitalismuskritische Züge trug, war die Regierungspraxis der UD von einem krassen, schroff polarisierenden Neoliberalismus geprägt. Mit der Politik des knappen Geldes wurde zwar der Haushalt saniert und die Inflation zurückgedrängt, gleichzeitig aber die Axt an eine ausgleichende Sozialpolitik gelegt. Die (noch) staatlichen Unternehmen ächzten unter der Steuerlast und konnten die dringend notwendigen Erneuerungsinvestitionen nicht tätigen. Im explodierenden privaten Sektor hingegen wurden der ungehemmten Ausbeutung, selbst kriminellen Machenschaften keine Schranken auferlegt. Zwar erzielte die Wirtschaft im vergangenen Jahr ein bedeutendes Wachstum, aber die Arbeitslosigkeit stand zum Schluß bei über 16 Prozent. Am negativsten hat sich für die Demokratische Union der überhebliche Regierungsstil ausgewirkt, der jedem, der für Arbeiterinteressen einzutreten wagte, bescheinigte, er sei nur Agent beschränkter, korporativer Interessen, sei dem „alten“ Anspruchsdenken verfallen. Die aus der Arbeiterorganisation Solidarność hervorgegangenen Parteien endeten schließlich damit, die Arbeiter zu verachten. Auch Jacek Kurón mit dem großen Herzen für die kleinen Leute hat da keine Ausnahme gemacht.

Weg vom Fenster sind nach der Wahl auch ausnahmslos alle klerikal-nationalistischen Gruppierungen. Es erwies sich, daß die Mehrheit der polnischen Bevölkerung kritisch gegenüber den Versuchen der Kirche eingestellt ist, das gesellschaftliche Leben nach ihren Maßstäben zu modeln. Den klerikalen Parteien wurde zum Verhängnis, daß sie, unfähig, ihre inneren Zwistigkeiten zu begraben, als Parteibündnis antreten mußten und mit 6,5 Prozent an der erhöhten „Bündnishürde“ scheiterten. In der letzten Wahl hatten sie noch 10 Prozent geschafft.

Zurückgewiesen wurde von den polnischen Wählern auch die Neuauflage des „Blocks der Parteilosen“, den Pilsudski im Polen der Zwischenkriegszeit zur Akklamation seines autoritären Regimes erfunden hatte. Walesas Versuch, diese Idee in Form des „Blocks der Parteilosen für die Unterstützung der Reformen“ (BBWR) wiederzubeleben und sich damit ein klassenübergreifendes Einflußzentrum zu schaffen, krankte von Anfang an daran, daß namhafte Repräsentanten der verschiedenen Klassen und Gruppierungen kaum aufzutreiben waren. Der BBWR kratzte mit 5,5 Prozent knapp die Kurve.

Die einzige „Nach-Solidarność-Formation“, die nicht in den Strudel der Niederlage gerissen wurde, sondern mit 7,5 Prozent den vierten Platz errang, ist die linksdemokratische „Unia Pracy“ (UP). Sie war es, die von Anfang an dem neoliberalen Dogma entgegengetreten war und eine pragmatische, vorsichtige, auch die Bedürfnisse der „alten“ Industriestandorte berücksichtigende Politik vorgeschlagen hatte. Sie war es auch, die, von den Wendekommunisten und einer Handvoll von UD-Aktivisten unterstützt, die Kampagne für ein Volksbegehren gegen das gesetzliche Abtreibungsverbot ins Leben rief. Hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Ex-Realsozialisten ist die UP gespalten. Daß sie in eine nur aus den postkommunistischen Parteien bestehende Koalition eintreten wird, ist so gut wie ausgeschlossen.

Rein rechnerisch könnten die postkommunistischen Parteien bequem allein regieren. Aber die SLD-Sozialdemokraten wollen eine Koalition mit der bisherigen Regierungspartei UD, und die PSL-Bauernpartei besteht sogar auf einem Bündnis der „Mitte“. Von der Programmatik her wäre ein gemeinsames Regierungsprogramm denkbar, das reformorientiert bleibt, aber zum Beispiel die Privatisierungen mit einer (staatlichen) Strukturpolitik verbindet. Kann aber die geschlagene Demokratische Union als Juniorpartner in eine Koalition eintreten, in der die ehemaligen Nomenklaturisten den Ton angeben? Kann andererseits jetzt ohne ebendiese Ex-Nomenklatura in Polen überhaupt regiert werden? Lech Walesa hat vor der Wahl bekanntgegeben, er werde den Vorsitzenden der stärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragen: das ist Aleksander Kwaśniewski, Chef der Wendekommunisten. Wer wird über wessen Schatten springen? Christian Semler

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