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■ Nach dem Ende der Geiselnahme in MarseilleEine Rose auf dem Misthaufen?

Es herrscht Krieg in Algerien. Die Umstände der weihnachtlichen Entführung der Air-France-Maschine sind typisch für die Gnadenlosigkeit des Kampfes. Der algerische Alltag läßt grüßen.

Doch warum wollten die Entführer ausgerechnet nach Frankreich fliegen, sich den Spezialeinheiten ihrer Feinde ausliefern? Suchten sie die Konfrontation mit dem französischen Innenminister Pasqua, der in den letzten Monaten seine harte Linie gegen die Islamisten mehrfach bewiesen hatte? Das Risiko einer militärischen Niederlage war den Entführern offenbar weniger bedeutsam als die Botschaft: Wir scheuen die direkte Konfrontation nicht und können den Krieg nach Frankreich ausweiten.

Die Forderung, die beiden FIS-Führer Madani und Belhadj freizulassen, war nicht ernst gemeint und wurde rasch fallengelassen. Daß es den Entführern nicht auf einen Deal ankam, ergibt sich auch daraus, daß sie nicht in Länder ausfliegen wollten, die eher eine Verständigung mit den Islamisten propagieren, zum Beispiel in die USA oder in die Bundesrepublik. Dies entspricht auch der Position der kompromißlosen radikalen „bewaffneten islamischen Gruppen“ (GIA), zu der die Entführer vermutlich gehören.

Die Motivation für die Aktion muß man wohl eher in inneralgerischen Kalkülen suchen. Sie gehörten zum Kräftemessen zwischen dem politischen Flügel der FIS und dem bewaffneten Untergrund. Sollte die Aktion Verhandlungsbemühungen zwischen der Regierung in Algier und dem politischen FIS-Flügel torpedieren? Jedenfalls ist sie eine radikale Vorwegnahme der von Ali Belhadj unterschriebenen FIS- Flugblätter, die in Algier zirkulieren und ab 1. Januar Selbstmordattentate gegen französische Einrichtungen androhen, bis Frankreich seine Hilfe für die algerische Regierung einstellt. Diese Strategie des offensiven Terrors hat schon öfters funktioniert und die FIS gezwungen, mit den Wölfen zu heulen. Doch diesmal hat die FIS die Aktion sofort verurteilt. So hat die Aktion eine sicher unbeabsichtigte Dialektik ausgelöst. Denn wenn sich ein Teil der islamistischen Bewegung vom Terror distanzierte, würden die Karten Algeriens neu gemischt.

Aber Vorsicht vor allzu schnellen Hoffnungen: Bisher hat als Klammer zwischen FIS-Führung und GIA- Terroristen noch immer die Grauzone einer radikalen FIS-Basis fungiert, als deren Repräsentant Ali Belhadj gilt. Es wird spannend sein, seine Position beziehungsweise sein Schicksal in den nächsten Wochen zu verfolgen. Daran wird sich zeigen, ob als Folge der Entführung die politischen und militärischen Pole der islamistischen Bewegung auseinanderdriften. Diese Möglichkeit erinnert an den letzten Artikel von Said Mekbel, dem kürzlich in Algier ermordeten Direktor der Tageszeitung Le Matin, der gegen alle Wahrscheinlichkeit und Vernunft nicht die Hoffnung aufgeben wollte: „Denn selbst auf dem Misthaufen blühen Rosen.“ Thomas Hartmann

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