Nach dem Deutschen Fernsehpreis: Quote statt Qualität
Die Privatsender haben die Fernsehlandschaft verpestet, und die Öffentlich-Rechtlichen fallen drauf rein: Nicht die Qualität steht mehr im Mittelpunkt, sondern die Quote.
Ich bin ein Nobody. Ab und zu darf ich in den Irak oder nach Afghanistan reisen und für die Öffentlich-Rechtlichen ein Filmchen drehen. Was Marcel Reich-Ranicki neulich sagte, versuche ich seit Jahren zu vermitteln. Aber wer hört schon auf einen Nobody? Dass ich keine Sondersendung für meine Meinung bekomme, ist klar. Aber das ist okay. Denn obwohl ich inzwischen genug Rückhalt bei den Öffentlich-Rechtlichen habe, könnte ich nicht sichergehen, nicht wieder Drohungen wie "Sie werden nie wieder für uns arbeiten" oder Anmerkungen wie "da hat sich aber einer zu weit aus dem Fenster gelehnt" bis hin zum auch sehr beliebten "Nestbeschmutzer" zu bekommen.
Die Öffentlich-Rechtlichen haben den Auftrag, zu bilden, zu unterhalten und zu informieren. Oft bleibt dieser Auftrag auf der Strecke, weil man sich in einen Quotenkampf mit den Privaten begibt. Zum Teil wird sogar versucht, es ihnen nachzumachen. Und am Montag zeigt die ARD zur Primetime mit "Die Anwälte" eine Serie, die für RTL produziert wurde - aber dort gefloppt ist.
Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit einem Kollegen über seinen neuen Film, der in einem ARD-Dritten laufen sollte. Zwanzig Minuten unterhielten wir uns darüber, ob parallel zu seiner Sendezeit etwas wie "DSDS" oder Ähnliches gezeigt würde. Irgendwann wurde uns bewusst, auf welcher Ebene wir da diskutierten: Nicht die Qualität seines Films stand im Mittelpunkt, sondern die Quote.
In der Nacht nach meinen Filmen schlafe ich grundsätzlich schlecht. Als Freiberufler ist man besonders abhängig von Einschaltquoten. In den Sendern wird zwar so getan, als wäre das nicht von Bedeutung. Doch die Realität ist eine andere: Stimmen die Quoten, ist man König für einen Tag und hat gewisse Vorteile, wenn man demnächst wieder mit einem Exposé in der Schlange steht.
Dieser sinnlose Quotenkampf mit den Privaten führt dazu, dass zunehmend reißerische Themen gefragt sind: Ins außenpolitische Magazin gehört längst mindestens ein "leichter" Beitrag wie "Kamelrennen in Qatar" (oder war es in der Türkei?).
Dabei muss man nur über den Ärmelkanal schauen: Die BBC, als öffentlich-rechtliche Institution, steht klar zu ihrer Aufgabe, Qualität anzubieten, ohne sich an Quotenkämpfen zu beteiligen. Die Tatsache, dass sie sich trotzdem auf dem Quotenmarkt und auch international behaupten kann, ist das Verdienst ihrer Journalisten.
Dass wir in Deutschland auch gute Journalisten haben, steht außer Frage. Aber auch sie können die Zahl der Unqualifizierten nicht verschleiern. Ein Beispiel: Vor ein paar Jahren habe ich einen Film über die Lage im Irak gemacht. Eine Sequenz zeigte, wie die Aufständischen einen US-Panzer in die Luft sprengten. Trotz der Exklusivität des Materials wollte der abnehmende Redakteur diese Szene aber entfernt haben. Begründung: "So etwas können wir nicht zeigen. Das könnte sich ja auch im Iran abgespielt haben!" - amerikanische Panzer und Soldaten im Iran? Ein anderes Mal sollte ich den Begriff "Aufständische" durch den Begriff "Terroristen" ersetzen, die USA jedoch nicht Besatzungsmacht nennen, sondern Befreier.
Diese ganze Misere wird dann in diversen Jahresrückblicken und Veranstaltungen wie dem Deutschen Fernsehpreis, Grimme-Preis, Bambi und dergleichen nochmals aufgetischt. Welches Politikum hinter den diversen Preisverleihungen steckt, wäre allemal ein Beitrag wert. Dass sich bei den meisten Preisen die Auszeichnungen dann untereinander zugeschoben werden, ist die logische Folge. Und um das Ganze etwas anspruchsvoller aussehen zu lassen, holt man einen Marcel Reich-Ranicki. Dass der sich dann unanständig benimmt, konnte man ja nicht ahnen …
Doch das Ärgerlichste an der Debatte ist, dass die Privaten, die die ganze Fernsehlandschaft verpestet haben, davongekommen sind. Für sie kommt keine kritische Auseinandersetzung in Frage - sie betrachten den MRR-Eklat eher als eine komödiantische Einlage. Alle reden über ARD und ZDF. Dass sie Rede und Antwort stehen, ist ihr großes Verdienst. Im Gegensatz zu vielen anderen Kritikern bin ich auch überzeugt, dass sich die progressiven Kräfte im Öffentlich-Rechtlichen durchsetzen werden, doch die Mühlen der Anstalten mahlen eben recht langsam.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus