Nach Loveparade-Desaster: Boykottaufrufe gegen McFit
Die Loveparade diente Rainer Schallers Fitnesskette McFit zum Marketing. Jetzt ruft die Zielgruppe zum Boykott auf.
Ein ehemaliges Industriegebäude am Fuß des Prenzlauer Bergs in Berlin. Hier hat die Fitnesskette McFit ihr Hauptstadtbüro, ihr "Creative Office". Hier sitzt auch das Veranstalterunternehmen der Loveparade, die Lopavent GmbH. Einen eigenen Briefkasten braucht sie nicht. Sie steht einfach auf dem McFit-Schild unten mit drauf.
Es ist nur ein kleines Detail. Aber es weist darauf hin, wie sehr Rainer Schaller, Chef von McFit und Lopavent, die Loveparade zu einem Marketinginstrument seiner Fitnesskette gemacht hat, seit er das Technoevent 2006 übernommen hat. "Wir haben uns lange überlegt, was wir denn Verrücktes machen können, um bekannter zu werden", sagte er in einem Interview im vergangenen Jahr. "Wir haben uns für die Loveparade entschieden", so McFit-Chef Schaller.
Die Idee schien sich auszuzahlen. Mit zuletzt 925.000 Mitgliedern und rund 120 Studios in Deutschland ist McFit zum Marktführer geworden. Für die "internationale Expansion" wurden zuletzt weitere Mitarbeiter gesucht, auf Mallorca steht auch bereits ein McFit-Studio.
"Einfach gut aussehen" heißt der Slogan von McFit, der sich an eine konsummaterialistisch-hedonistische Zielgruppe richtet - eben jene jungen Leute, die auch auf der Loveparade zu finden sind. Konsequent war daher auch, wie Schaller die McFit-Werbeikonen für die Loveparade einspannte. In einem Clip warben die Klitschko-Brüder für McFit - auch auf der Loveparade in Duisburg war Wladimir Klitschko vor Ort. Oliver Pocher kickte im vergangenen Jahr für die "McFit Allstars" zur Show gegen den FC Bayern - am Samstag moderierte er die Loveparade-Sendung von bild.de und McFit.
Doch durch die Katastrophe in Duisburg bekommt nun auch McFit Probleme. In Bodybuilderforen, auf der Videoplattform Youtube, beim Kurznachrichtendienst Twitter und in Gruppen beim sozialen Netzwerk Facebook wird zum Boykott der Billigfitnesskette aufgerufen.
Dabei war es jahrelang für den braungebrannten Kahlkopf Schaller nur bergauf gegangen. 1997 gründete er in Würzburg sein erstes Fitnessstudio, bis dahin hatte er Edeka-Läden betrieben. Die Idee hinter McFit: Auf Wellness-Schnickschnack wie Schwimmbecken und Saunas verzichten und dafür voll auf günstige Preise setzen. 16,90 Euro im Monat sind es heute.
Schaller war aber immer auch ein etwas schräger Typ, der darüber redete, wie er in seiner 8-Mann-WG in Berlin im Stockbett schlief; oder wie er angeblich in Pakistan von Taliban verfolgt wurde. Auf die Frage, wie hoch seine Risikobereitschaft als Unternehmer sei, sagte er einmal: "Hundert Prozent." Solche Sprüche fallen ihm nun auf die Füße.
Auf der Pressekonferenz am Sonntag im Duisburger Rathaus saß Schaller mit gesenktem Blick da und las mechanisch einen Text ab. "Wir werden alles Erdenkliche unternehmen, um die lückenlose und schnelle Aufklärung dieser Tragödie zu unterstützen", sagte er. Doch über die Vorwürfe gegen seine Veranstalterfirma Lopavent wollte er seitdem trotz mehrfacher Nachfrage nicht reden. Der laute Schaller ist leise geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind