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Nach Joy folgt der Höhepunkt

■ Gucken, aber nicht rumtatschen, fotografieren, aber nicht anbändeln: Die Grande Dame des Warenhaus-Sexes, Beate Uhse, lockte hundert Männer und eine Frau ins Wäsches par e

Wer ein getrübtes Verhältnis zur Wirklichkeit hat, macht sich ein Bild. Von sich selbst und anderen. Charly Brown trägt Dauerwelle und weiß von den Phantasien der Männer – auch ohne Klaus Theweleit gelesen zu haben.

Charly Brown ist Tourneeleiter bei Beate Uhse; er gastiert an diesem Dienstag abend mit Joy, Melina und Daniela in Berlin-Mitte. „Live-Foto-Action-Show“ am Rosenthaler Platz. „Sie führen Regie. Bringen Sie ihre Camera mit“, hieß es in einer zweispaltigen Anzeige auf der Hostessen- und Callgirl- Seite der B.Z.. Fast 100 Kerls waren gekommen, um nach Baucheslust ihren Film zu belichten. „Einen solchen Andrang“, sagt ein älterer Herr mit Hut, habe er am Rosenthaler Platz in Mitte noch nicht erlebt.

Bevor die Hüllen fallen, stehen die Hobbyfotografen im Stau. Geduldig, wie teilnahmslos und ohne zu mucksen, warten sie im Einkaufsraum wie an einer Haltestelle der Verkehrsbetriebe. „Was gibt's denn hier?“ fragt einer, der nicht ganz auf der Höhe ist. „Ne Schau“, erklärt man ihm, „eine, wo man fotografieren kann.“

17 Uhr, es ist soweit. Charly Brown öffnet die Tür zum leergeräumten Wäscheséparée, und die Mannen formieren sich im Halbkreis um die Bühne. „Meine Damen und Herren“, säuselt Charly Brown durch seinen geschwungenen Schnauz ins schnurlose Mikrophon, „meine Herren, erleben Sie nun unsere Schönheiten.“ Stille. Mann konzentriert sich auf Objekt und Objektiv. „Applaus für Daniela!“ ruft Charly Brown. „Daniela trägt im übrigen das Modell Majestic aus unserem Sortiment.“

Die Herren tragen Anoraks aus Sympatex oder Dederon, Hüte oder keine und bemüht ihre Gelassenheit zur Schau. Und sie haben ein Problem zu lösen, schließlich gibt es mit Linse keinen ungetrübten Blick und ohne keine Fotos. „Wer von den Herren die Finger grade nicht am Auslöser oder in der Hosentasche hat“, flötet Charly Brown, „der gibt einen weiteren Applaus für Daniela.“

Nach Daniela folgt Melina, nach Melina Joy, und nach Joy der Höhepunkt: das Gruppenbild mit Damen. Zum Dumpingpreis von fünf Mark. Da lassen sich die Jungs und Älteren nicht lumpen und steigen nacheinander auf die Bühne, ihre Schmerbäuche mit Joy und ihren Girls in Pose zu werfen. Bilder, die die Welt bedeuten, Glücksmomente, die rar sind in Berlin, seitdem die alte Dame Hertha nicht mehr richtig will. „Nu geh schon“, meint die einzige Frau schließlich zu ihrem gealterten Ehemann. Der schaut sie an und strahlt und steigt auf zur Bühne der Begehrlichkeit.

Fred Schiller sonnt sich in Zufriedenheit. Erst kürzlich, bei der „Show für die Dame“, ist der Laden rappelvoll gewesen. „Für die meisten“, meint der gewichtige Verkaufsleiter in gedehntem Sächsisch, „ist die Foto-Show der erste Anlaß, eine Beate-Uhse-Filiale zu besuchen.“ Schließlich könne man von einem Sex-Boom im Osten nicht sprechen. Und er erklärt: „Hilfsmittel und Wäsche machen neben Videos den Hauptanteil am Umsatz aus.“ Auch Charly Brown ist glücklich. Seit Januar im Auftrag der alten Dame der Sexindustrie auf Tour, sei diese Veranstaltung hier ein voller Erfolg. Joy und ihre Girls nicken. Die Jungs hier seien brav gewesen. „Und wenn mal einer rumtatscht“, meint Joy, „dann gibt's 'ne Schelle.“

An der Kasse herrscht derweil Normalbetrieb. Pärchen mit Einkaufskorb neben zwei Schülern, die über die Reizwäsche fachsimpeln. Draußen dämmert es, und im Beate-Uhse-Shop nehmen die letzten Männer ihre Polaroidfotos in Empfang.

Der Glanz aus ihren Augen ist der Frage gewichen, wo man nun hinsoll, mit sich und seinen Bildern. Uwe Rada

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