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Nach Jahren wieder mal am Prenzlauer Berg unterwegsWhere is the Berghain?

Ausgehen und Rumstehen

von Kirsten Riesselmann

Eine Freundin ist mit ihrer Familie für eine Woche vom Mariannenplatz in den Prenzlauer Berg gezogen – Wohnungstausch mit Leuten aus Paris vereinbart, doch keine Zeit zum Urlauben, Franzosen aber reisen unerbittlich an, ein Kollege fährt an ihrer Statt, sie wohnt derweil in seiner Wohnung. Eine seltene Gelegenheit tut sich auf: Ausgehen in Prenzlauer Berg, ui, lange nicht gemacht, Terra incognita, Exotik, Prickeln auf der Haut. Gelegenheit beim Schopfe gepackt und raus aus dem Kreuzberg-Nordneuköllner Alltagshalligalli. Die Strecke mit dem Fahrrad am Freitagabend: irgendwie weiter als in den Neunzigern. Auf der Köpenicker setzen zehntausend Taxen Yello-Fans vorm Kraftwerk aus, das Hofbräuhaus am Alex schluckt zehntausend Anzugträger. Berg hoch. Rund um den Wasserturm: herrliche Ruhe. Rund um den Helmholtz­platz: Beschaulichkeit, leere Trottoirs, wir rascheln durch die Blätter, ein freundlicher Junge am Kiosk verkauft ein paar Craft-Beer-Sorten, weiß aber auch nicht, was es mit „German IPA“ auf sich hat. Im ausliegenden Flyer steht „unfiltriertes India Pale Ale, ausschließlich aus heimischen Hopfensorten gebraut. Wir kaufen zwei Helle aus bayerischen Klöstern.

Ein „Event-Café“ auf der Schönhauser hat seinen Schankvorgarten spinnwebartig mit Wattefäden geschmückt, wer reinwill, muss sich winden. Ist ja auch Halloween-Party, Motto: „Monster, Biere, Mutationen“. Auch an der Eberswalder: Jubel, Trubel, Heiterkeit. Kostümierte, Teufel, Kätzchen, Monster, eines streichelt uns mit seinem Krallenhandschuh aus schwarzer Pappe die Wange. My my, so incredibly uncool würde sich in unserem Hometurf-Kiez kein New Berliner aufführen. Dann Hunger. Suche nach einer warmen Pho-Suppe. Aber es ist schon elf – und Punkt elf werden in Prenzlauer Berg die Bürgersteige hochgeklappt. Entschuldigung, wir haben schon zu, die Küche hat schon geschlossen, tut mir leid. Ein arabischer Imbiss auf der Danziger bietet letzte Zuflucht. Und ganz zum Schluss lehrt uns das „Leathers“ auf der Lychener das wahre Gruseln: Hinter bodentiefen Fenstern präsentiert sich maßgeschneiderte S/M-Fetisch-Ware für den betuchten Lederschwulen. Der eine Schaufensterpupperich hat eine gänzlich lochlose Falkenhaube auf dem Kopf und eine Spanking-Klatsche in der Hand (wie sieht er, wo er hinschlagen soll?), der andere in schwarzledernem Harnisch trägt einen Kürbis unterm Arm. Hey, Prenzlauer Berg, du kannst es noch!

Am Samstag Xenia Rubinos in der Berghain Kantine. Gestern schon Lobeshymne an genau dieser Stelle. Mir allerdings hat’s nicht gefallen. Trotz wahrlich großer Sangeskunst und technischer Versiertheit gerät bei mir nichts in Schwingung. Eine befremdliche Einsamkeitserfahrung, denn alle um mich rum sind hin und weg. Außer: der einzige anwesende Konzertfotograf, der von der Künstlerin gleich zu Beginn vom Bühnenrand verscheucht wird.

Auf dem Weg zum am Berghain-Zaun festgeschlossenen Fahrrad werde ich ganze drei Mal angesprochen: Excuse me, do you know where the Berghain is? Do you know when it will open? Do you know where the entrance is? Where is this other place, this Panoramabar? Polyglottes Stimmengewirr: wienerisch, portugiesisch, englisch, weißrussisch. Das Berghain dämmert um Viertel nach elf noch gänzlich dunkel vor sich hin, aber eine kleine Kirmes kümmert sich um die vielen Too Early Birds: Ein Kaffeestand, aus dessen fies schlechten Miniboxen Techno blechert hat gut zu tun, die Currywurstpommesbude daneben wird ebenfalls frequentiert. Als ich am nächsten Morgen das Radio anschalte, nölt mich einer der Kalkbrenners an, ob Paule oder Fritze, ganz egal, das stadtmarketingkonforme Clubplucker-Grauen hört auf beide Namen.

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