: Nach Frankenstein
■ Zehn Jahre Freiheit von der Psychiatrie
Am Montag prangte die goldene Jubiläums-Zehn aus einem traurigen und einem schönen Anlaß zugleich auf dem festlichen Frühstückstisch: Otto Schmidt, Gertrud Westphal und Heiko Schröder verließen vor zehn Jahren die ehemalige Psychiatrie im Kloster Blankenburg. „Genau am 28.5.1984,“ sagt Heiko Schröder, der sich Daten merkt wie eine Eins.
Zur selben Zeit stieß Anneliese Pilz, die bis dahin in der „Wohnstation Sebaldsbrück“ gelebt hatte, zum Trio der Ex-Blankenburger in der Stubbener Straße. Bis heute leben die vier dort zusammen in zwei betreuten Wohngemeinschaften, und nun also das Jubiläum, das die vier auf „Dem Schiff“ begingen – auch wenn Heiko Schöder laut lacht, wenn man dazu gratuliert.
Der schmerzliche Anlaß des Jubiläums liegt vor dem 28.5.1984. Lange davor, für Heiko Schröder. 27 Jahre hat er in Blankenburg gelebt, „in diesem Käfig, bei Frankenstein, dem Stachelschwein“. Wenn Heiko Schmidt das sagt, kommt ihm große Wut hoch und ein ganzer Schwall Worte über die Ungerechtigkeiten, das Festhalten und andere „schlimme Sachen“, die er dort erlebt hat, genauso wie Otto Schmidt und Gertrud Westphal. Aber Otto Schmidt sprach darüber gestern nicht, am ersten sonnigen Tag im Juni. Und Gertrud Westphal war so krank geworden, daß sie im Erdgeschoß des lichten Wohnhauses ein Bett gebaut bekam – damit die Wege für alle kurz sind. Nur Anneliese Pilz war von den Jubilaren noch zu sprechen und guter Dinge. „Das Fest war schön“, sagt sie und lacht. „Ich habe so viel gegessen.“ Aber wenn man sie nach den Gästen fragt, dann wird sie traurig. „Weil meine Tochter nicht komen konnte“.
„Die mußte doch arbeiten“, tröstet Heiko. Aber sie ist sich da nicht so sicher: Friseure arbeiten nicht am Montag. „Dann hatte sie Urlaub“, schätzt Heiko und wechselt das Thema. „Anneliese wird am 16. Januar fünfundsiebzig“, verrät er und reimt freundliche Worte über „Anneliese auf der Wiese“ und den „sehr sympathischen und wohlerzogenen Klaus Pramann“ von der Initiative zur sozialen Rehabilitation psychischer Erkrankungen. „Der Klaus mit der Maus“ hat ihn damals aus Blankenburg, „dem Käfigstall“, geholt. Zu dem geht er oft, in die Vegesacker Straße. Gleich zum Beispiel will er aufbrechen, der Heiko Schröder, der „die Menschen mit dem Herzen erkennt“. Und der es haßt, wenn ihm jemand neugierige Fragen stellt. ede
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen