Nach Beginn der Bodenoffensive:: Die UNO-Kriegsziele gelten nicht mehr
■ Ursprünglich ging es darum, die irakischen Truppen aus Kuwait zu vertreiben. Doch damit will sich kaum noch ein Mitglied der Anti-Saddam-Koalition begnügen. Syrien will Saddam Husseins Sturz, in Washington wird erwogen, ihn gezielt umzubringen, und der einflußreiche US-Abgeordnete Les Aspin fordert sogar, den Süden Iraks für längere Zeit zu besetzen.
Wenn Saddam Hussein bei Kriegsende immer noch an der Macht ist, sollten die alliierten Truppen den Süden Iraks einschließlich Basra besetzt halten. Wir sollten die Ölausfuhren Iraks kontrollieren und die Wirtschaftssanktionen aufrecht erhalten. Das wäre ein Druckmittel, um Saddam und die regierende Baath-Partei von der Führung des Landes zu entfernen.“
Es war keiner der zahlreichen „Experten“ und pensionierten Militärs, die in diesen Tagen rund um die Uhr die Fernsehschirme bevölkern, sondern der einflußreiche demokratische Abgeordnete Les Aspin, Vorsitzender im Streitkräfteauschuß des Repräsentantenhauses, der am Sonntag mit diesen Bemerkungen eine neue Wegmarke im schleichenden Prozeß der Erweiterung der Golfkriegsziele setzte. Zahlreiche Parteifreunde Aspins äußerten sich in den letzten zwei Tagen ähnlich. „Wir können Saddam Hussein nicht einfach davonkommen lassen“, erklärte Senator Alan Dixon. Auch sein Senatskollege Joseph Biden beruft sich auf Volkes Stimme: „Die Amerikaner haben zu einem frühen Zeitpunkt dieses Krieges verstanden, daß die Wiedereinsetzung des Emirs von Kuwait nicht das Leben eines einzigen GI wert ist und daß das eigentliche Ziel der ganzen Operation die Entmachtung Saddam Husseins ist.“
Die Demokraten sind erheblich unter Druck. Schon der bisherige Verlauf des Golfkonflikts ist von vorentscheidender Bedeutung für die Präsidentschafts- und Kongreßwahlen im Herbst 1992. In vielleicht wenigen Tagen dürfte Präsident Bush als strahlender Sieger in einem (für die eigenen Streitkräfte) äußerst verlustarmen Krieg dastehen. Bis dahin soll der 12. Januar aus dem Bewußtsein der WählerInnen getilgt sein. Damals hatte Bush für seinen Kriegskurs wegen der demokratischen Gegenstimmen im Senat nur 53 Prozent und im Abgeordnetenhaus 60 Prozent der Stimmen erhalten.
Jetzt, nach dem „überragenden Erfolg“ (Apsin) des fünfwöchigen Luftbombardements und der ersten 24 Bodenkriegsstunden heißt die Strategie der Demokraten für das politische Überleben „Flucht nach vorn“. So versuchen sie, sich an die Spitze einer öffentlichen Meinung zu setzen, die von Bush und seinen Getreuen seit Wochen systematisch geschürt wurde: durch eine Personalisierung des Konflikts mit Saddam Hussein sowie durch zweideutige Formulierungen über die Kriegsziele und die diesbezüglichen Aussagen der UNO-Resolution 678. 70 Prozent der US-AmerikanerInnen sind laut der am Montag veröffentlichten jüngsten gemeinsamen Umfrage von 'Washington Post‘ und Fensehnetzwerk ABC für eine Entfernung Saddam Husseins von der Macht in Bagdad.
Vor diesem Hintergrund wagte sich am Sonntag auch James Baker aus der Deckung. In den letzten drei Wochen hatte sich der Außenminister nicht zuletzt aus Skepis, ob Bushs Strategie der „totalen Niederlage“ für Saddam Hussein aufgehen würde, auffällig zurückgehalten. Jetzt erklärte Baker unter Bezug auf die entsprechende Fomulierung in der UNO-Resolution 678: „Die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität in der Golf-Region wäre sehr viel einfacher, wenn sich Saddam Hussein und seine Führungsriege nach Ende des Krieges nicht mehr an der Macht befänden.“
Mit nennenswertem internationalen Protest oder gar Widerstand gegen die Erweiterung der Kriegsziele über die UNO-Resolution hinaus bzw. gegen deren extensive Interpretation wird in Washington auch nicht mehr gerechnet. Das Ziel einer möglichst vollständigen Zerstörung des irakischen Militärpotentials bzw. die Entwaffnung der Streitkräfte Saddam Husseins ist längst Konsens unter den für die kriegsführung gegen Irak wesentlichen Mitgliedern der „Koalition“ und wird derzeit täglich ein Stück weiter implementiert.
Der UNO-Sicherheitsrat ließ zu, daß Präsident Bush in seinem Ultimatum die einzig nach dem Ziel der Entwaffnung ausgerichteten engen Fristen für den irakischen Truppenrückzug festlegte. Das UNO-Gremium ließ damit ebenso die Interpretation eigener Resolutionsformulierungen („schneller Rückzug“) durch Washington zu, wie es im Dezember/Januar der Bush-Administration überlassen hatte, die angebliche Unwirksamkeit der gegen Irak verhängten Wirtschaftssanktionen festzustellen.
Daß eine Verlängerung zumindest des Waffenembargos, wenn nicht sogar anderer Sanktionen gegen Irak auch über das Kriegsende hinaus notwendig und mit den UNO- Resolutionen vereinbar sei, ist eine Auffassung der Bush-Administration, der innenpolitisch fast überhaupt nicht und international bislang nur schwach widersprochen wird.
Einzig umstritten sind in den USA eine längerfristige Besetzung irakischen Territoriums sowie die physische Vernichtung Saddam Husseins. Die Debatte hierüber ist aber weniger von grundsätzlichen Positionen und dem Hinweis auf internationales Recht, als durch taktische Überlegungen bestimmt. Die Schwelle einer Invasion irakischen Territoriums wurde bereits in den ersten Stunden des Bodenkrieges ohne Kritik überwunden. Doch einer längeren Stationierung US-amerikanischer Bodentruppen stehen Haushaltsbedenken sowie öffentliche Festlegungen Präsident Bushs entgegen.
Auf die Frage, ob die Tötung Saddam Husseins nun ein Kriegsziel der USA sei, antwortete der Führer der Demokraten im Abgeordnetehaus, Tom Foley, am Montag nicht mit einem grundsätzlichen Nein. Er gab lediglich zu bedenken, es sei mit Blick auf die arabische Welt „vielleicht unklug, den irakischen Führer zum Märtyrer zu machen“. „Die größte Strafe für Saddam Hussein“, so Foley weiter, „könnte sein, ihn weiter über den zerstörten Irak präsidieren zu lassen“. Völkerrechtlich sieht die Administration keine Probleme, falls Saddam Hussein ums Leben kommt.
Die Exekutivverfügung Nr. 12333 von Präsident Gerald Ford, die es der CIA verbietet, ausländische Staatschefs umzubringen, wird vom Justizministerium derzeit so interpretiert: „Dieses Verbot gilt nicht, wenn ein ausländischer Staatschef getötet wird als unbeabsichtigte Folge einer von der US-Regierung unternommenen oder unterstützten Aktion.“ Der zuständige Senatsausschuß ließ diese Interpretation im letzten Hebst unwidersprochen. Andreas Zumach, Washington
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