: NVA-Unterricht in Sachen Bundesrepublik
■ Schweriner Offiziere besuchten staatsbürgerliches Seminar in Hamburg / Abrüstungsgedanke hat sich bei Bundeswehrkollegen noch nicht durchgesetzt / NVAler fürchten um ihre Arbeitsplätze / Verteidigungsministerium will Aussteigewilligen die Umschulung zahlen
Hamburg (ap) - Für den Schweriner Oberstleutnant Hans-Dieter Einbeck stand von Montag bis Mittwoch Nachhilfe in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf dem Dienstplan. Der Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA) gehörte zu einer Gruppe von 15 DDR-Soldaten, die erstmals an einem staatsbürgerlichen Seminar in der Bundesrepublik teilnahmen. Auf Einladung der SPD-nahen Friedrich-Ebert -Stiftung informierten sich die NVA-Offiziere auf dem Seminar in Ahrensburg bei Hamburg auch über die sicherheitspolitische Sichtweise ihrer Bundeswehrkollegen.
Die DDR-Offiziere kamen als Privatleute. „Offiziell ist so ein Seminar bei uns ja gar nicht vorgesehen“, erklärte Oberstleutnant Einbeck, der die Idee für das Seminar hatte. Istvan Szepesi, Seminarleiter bei der Ebert-Stiftung, war begeistert. Der gebürtige Ungar, der seit 15 Jahren ähnliche Veranstaltungen für Bundeswehrangehörige organisiert, kann es auch heute noch kaum fassen, daß die Idee verwirklicht wurde: „Ich denke, ein Wunder ist geschehen.“
Einbeck beeindruckte vor allem, wie offen er von seinen Bundeswehrkollegen empfangen wurde. „Die waren doch für uns noch bis Herbst der Klassenfeind und wir für sie die bösen Kommunisten“, witzelt er. Jetzt diskutierte der NVA -Oberstleutnant mit dem Bundeswehr-Oberstleutnant Roland Klaus an einem Tisch über die gemeinsame militärische Zukunft. Klaus ist dagegen, die NVA in einem geeinten Deutschland in die Bundeswehr zu integrieren.
Trotz aller deutsch-deutschen Offiziers-Eintracht wurden aber vor allem in der Bewertung der Politik der Sowjetunion Unterschiede deutlich. „Daß die Erfolge in der Abrüstung vor allem Gorbatschow zu verdanken sind, ist bei den Bundeswehroffizieren noch nicht so drin“, meinte Einbecks Kamerad, Oberstleutnant Jochen Streichert. Ansonsten könne die NVA von der Bundeswehr eine Menge lernen, vor allem die innere Führung, die Beschwerde-Möglichkeiten hält er für vorbildlich. Und es sei schon interessant gewesen, die Position der Bundeswehr zu abrüstungspolitischen Fragen zu hören. „Wir haben die ja immer aus einer stark gefärbten Sicht wahrgenommen“, erinnert sich Streichert. Auch Oberstleutnant Einbeck will jetzt die friedensichernde Rolle der Bundeswehr nicht mehr bezweifeln. Ein anderer DDR -Offizier hält jetzt sogar die Nato-Strategie der Vorne -Verteidigung, die von offizieller Seite in der DDR immer als Angriffsstrategie gewertet wurde, für „gar nicht so schlimm“ - man müsse sich nur einmal in die Denkweise eines Bundeswehroffiziers hineinversetzen.
Doch mehr als militärische Sandkastenspiele beschäftigen den Offizier im Moment andere Fragen: Der Berufssoldat fürchtet wie viele seiner 65.000 Kollegen um den Arbeitsplatz. In seiner Kompanie sei schon ein Offizier entlassen worden. Das DDR-Verteidigungsministerium plant, aussteigewilligen Berufsoffizieren zwei Jahre lang eine Umschulung zu bezahlen, damit sie im zivilen Bereich leichter einen Job finden.
Einbeck ist im Hauptvorstand des Ende Januar gegründeten Verbands der Berufssoldaten, der vergleichbar dem Bundeswehrverband die Interessen der hauptberuflichen Soldaten vertritt.
Nach Einbecks Angaben hat der Verband in der DDR mittlerweile 35.000 Mitglieder und steht in engem Kontakt mit dem Bundeswehrverband. „Die bundesdeutschen Kameraden haben uns auch schon sehr geholfen“, betonte Einbeck. Es sei erstaunlich, wie spontan vor allem bei sozialen Problemen, die entlassene Berufssoldaten haben, Unterstützung gekommen sei.
Der DDR-Oberstleutnant wünscht sich denn auch mehr solche Veranstaltungen wie diese Woche in Ahrensburg. „Wir haben einfach gesehen, daß uns mit den Bundeswehrkameraden mehr verbindet als trennt“, erklärte er. Seminarleiter Szepesi jedenfalls will solche Bildungsveranstaltungen für DDR -Soldaten als festen Bestandteil ins Tagungsprogramm der Ebert-Stiftung aufgenommen wissen.
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