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NVA-Chef will Rotarmisten helfen

■ Verteidigungsminister verlangt Übergangsprotokoll zwischen DDR und UdSSR / BürgerInnen reagieren zunehmend gereizt auf Sowjetsoldaten

Berlin (dpa) - Ein kurzfristiges Übergangsprotokoll über die Rechte und Pflichten der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte in der DDR hat Abrüstungs- und Verteidigungsminister Rainer Eppelmann (CDU) verlangt. Damit müsse der veränderten Situation in der „Noch-DDR“ Rechnung getragen werden, bis es im nächsten Frühjahr zu einem neuen Stationierungs- und Abzugsabkommen zwischen einem vereinten Deutschland und der UdSSR komme, sagte Eppelmann gegenüber 'dpa‘. Andernfalls bestehe die Gefahr, daß es in der DDR gegenüber den sowjetischen Streitkräften zu weiterer Verärgerung, Aggression und Eskalation komme. Seit der Wende würden die Bürger des Landes nicht nur ihren eigenen Organen selbstbewußter entgegentreten, sondern auch den Sowjetsoldaten der Westgruppe. Bei einer Demonstration von 1.500 Menschen gegen einen Flugplatz seien Steine und Flaschen geflogen. Ein „weitsichtiger“ sowjetischer Offizier habe den zur Wache antretenden Soldaten die Waffen abnehmen lassen. Aber auch die Zahl der Straftaten - vor allem Beschaffungskriminalität, Körperverletzungen und Vergewaltigungen - von Soldaten seien in diesem jahr, insbesondere nach Inkraftsetzung der Währungsunion zum 1. Juli, erheblich angestiegen. Im vergangenen Jahr waren nach Angaben von Eppelmann 1 600 Straftaten bei der Militärstaatsanwaltschaft der DDR registriert. Allein bis Ende Mai habe diese Zahl um 30 Prozent zugenommen.

Der Minister für Abrüstung und Verteidigung rechnet nicht damit, daß die sowjetischen Streitkräfte in drei bis vier Jahren abgezogen sein werden. Schätzungen gingen davon aus, daß es sich um 360 000 bis 380 000 Uniformierte - handeln könnte. Außerdem müsse das militärische Gerät transportiert werden. Er rechne mit fünf, wenn nicht sechs Jahren, sagte Eppelmann. Und er fügte hinzu: „Es darf nicht nach Flucht aussehen und es darf auch nicht so vollzogen werden, daß Schienenwege, Land- und Wasserstraßen total blockiert sind.“ Ein anderes Problem sei die Lufthoheit der DDR, die nur auf dem Papier stehe: „Wir sind eingebunden in das Luftabwehrsystem des Warschauer Vertrages.“ Es gebe keinen Einfluß darauf, zu welcher Zeit, wie lange und wie hoch sowjetische Kampfflugzeuge fliegen dürften.

Hinsichtlich der vom ausländischen Militär angerichteten Umweltbelastungen gebe es in Moskau noch keine Problembewußtsein, meinte der Minister. Er schilderte: „Wenn Sie durchs Land fahren - ich habe da einen See in der Nähe einer Panzerkaserne vor Augen -, da fallen Ihnen die Haare und Zähne aus. Das läuft Öl blank in das Wasser des Sees.“ Er habe seinen Amtskollegen Dimitri Jasow auf diese Problematik angesprochen. Jasow habe das Gespräch darüber demonstrativ abgebrochen und sei empört aufgestanden. Jetzt gebe es jedoch Anzeichen, daß die Sowjetunion Offiziere benenne, die sich um Umweltfragen kümmerten.

Die NVA, in der die Stimmung nicht gut sei, verfügt nach den Worten von Eppelmann gegenwärtig noch über 98 000 Soldaten ursprünglich waren es 170 000. Nach seinen Angaben dürften in der gemeinsamen deutschen Armee von 370 000 Mann 50 000, höchstens aber 60 000 ehemalige NVA-Angehörige tätig sein. Es werde nur ein Oberkommando geben. Solange sowjetische Soldaten auf dem Gebiet der heutigen DDR stünden, sei es nicht möglich, Verbände der Bundeswehr nach Osten zu verschieben. Allerdings sollten im Führungsstab und in den Führungsstäben der Teilstreitkräfte auf dem heutigen Territorium der DDR auch Bundeswehroffiziere Dienst tun.

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