NOCH IMMER ATTRAKTIV : Ein Roman, ein Buch
Wir haben uns für ein Café in der Nähe des Senefelder Platzes entschieden. Wir haben uns sehr lange nicht mehr gesehen, vielleicht könnten wir von mehreren Silvesterfeiern erzählen.
Hier hatten wir mal ein Buch gefeiert. Hier saßen wir wenig später, er beruflich zwischen einigen Stühlen – und die Stühle hatten keine Rückenlehnen. Und ich mit einem langen Text, der so dringend, ich wünschte es so sehr, ein Roman, ein Buch werden sollte.
Er hatte den Text gelesen, er redete sehr vorsichtig darüber, dann lobte er eine Szene, eine einzige. Ansonsten solle ich noch mal dies und das überdenken, das Personal anders strukturieren. Wie, dachte ich, strukturiert man Personal? Ich wusste es nicht, ich war gekränkt und verzweifelt, ich fragte nicht.
Dann bekam er einen Job in einer anderen Stadt. Als ich vor einigen Wochen dachte, dass ich mit diesem Text noch etwas machen könnte, las ich ihn während einer Zugfahrt. Ich las Absätze, die waren unschlagbar, ich las welche, sie waren deutlich in der Mehrheit, die waren schlecht oder albern oder peinlich oder alles zusammen.
Die Bedienung, die schon attraktiv war, während wir damals das Buch feierten, und auch später, während ich nicht wusste, wie man einen Roman schreiben könnte, ist noch immer da und sieht noch immer attraktiv aus. Sie ist älter geworden, ja, so ist das.
Wir sagen, dass Männer besser altern als Frauen. Wir reden nicht darüber, warum Männer, die wir sind, gleichaltrige Frauen, die viel schneller altern, attraktiv finden. Wir reden weiter und verabschieden uns dann. Er steigt auf sein Fahrrad, ich gehe nach links. Es ist windig. Ein dichter, feiner Schnee, der in dem Licht der Laternen aussieht, als würde ein Schwarm von Staren Richtung All fliehen. Ach, Blödsinn. Es ist windig und es schneit und das Licht ist schön. Es kitzelt auf der Nase. BJÖRN KUHLIGK