■ NOCH 3350 TAGE BIS ZUM JAHR 2000: Bizarre Leidenschaften
Eine 22jährige Wuppertalerin ist ganz heiß auf Gummis. Seit sie bei ihrer Einschulung ein blaues Gummi in Form eines Rollschuhs geschenkt bekam, sammelt sie leidenschaftlich Radiergummis. Mittlerweile hat sie 500 Stück. Doch obwohl die Dinger ihrem Namen alle Ehre machen, sind sie noch nie mit einem Bleistiftstrich in Berührung gekommen.
Die Sammler kleiner buntbedruckter Papierschnitzel sind völlig aus dem Häuschen, denn die deutsche Einheit beschert den rund drei Millionen Briefmarkensammlern der Bundesrepublik 1991 ein Superjahr: Rekordzahlen von neuen Sondermarken-Ausgaben wurden von der Post angeküdigt.
Die neue Telekommunikations-technik der Post hat auch eine neue Spezies von Sammlern hervorgebracht. Die bunten Telefon-Plastik-Kärtchen sind heiß begehrte Objekte der seltsamen Begierde. Letzte Woche gab es in Frankfurt sogar eine Telefonkarten-Tauschbörse mit 150 Sammlern aus dem In- und Ausland.
Von einer äußerst bizarren Leidenschaft wird in Amerika ein Mann des Geistes heimgesucht. Den anderen Menschen dreht sich spätestens bei ihrem Anblick der Magen um, Professor George Amelagos dagegen sammelt sie: Kotztüten. Mehr als 100 (unbenutzte) Tüten verschiedener Fluggesellschaften schmücken das Büro des Anthropologen an der Universität von Florida. „Ich hatte keine Lust, Briefmarken oder Baseballkarten zu sammeln“, erklärt er. Sein liebstes Souvenir stammt von der niederländischen Fluglinie KLM. Es zeigt ein Känguruh, das in seinen Beutel kotzt. Aufschrift: „Für ein sauberes Gefühl!“ Die Brechtüten gäben ihm Rückschlüsse auf die Lebensart in den jeweiligen Herkunftsländern, meint der Wissenschaftler. Ganz korrekt gehe es bei den Briten zu: „Nach dem Gebrauch für die Luftübelkeit bitte dem Kabinenpersonal zur Entsorgung überreichen“, heißt es auf einer Tüte der British Airways. „Mit anderen Worten: Nicht auf dem Sitz zurücklassen“, kommentiert Amelagos. Stolz erfüllt den Professor beim Anblick einer mit Goldmasken verzierten Tüte von Air Afrique. Die Beutel von Aero Peru schmücken archäologische Symbole.
Doch auch die Freuden eines Kotztütensammlers sind nicht ungetrübt: Immer mehr Fluggesellschaften führen in letzter Zeit die gleiche Tütenart ein, beklagt sich der Wissenschaftler. „Ich fühle mich betrogen, wenn ich in ein Flugzeug steige und dort die gleichen Brechtüten entdecke wie bei anderen Fluglinien.“ Karl Wegmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen