NILPFERD KUNZELMANN Von Helmut Höge

Ein Gedicht des ehemaligen Berliner AL-Abgeordneten Dieter Kunzelmann — über „Rohwedder, Hanno Klein und Diepgen“ — sollte eigentlich die Werbung für eine Ausstellung des Werkbundarchivs über „die Situationistische Internationale, die Gruppe Spur und die KommuneI“ einleiten. Doch es schien, spätestens als 'Bild‘ es als Mordauruf an Diepgen interpretiert hatte, den Ausstellungsmachern zu heikel. Kunzelmann, um dessen politische Biographie sich genaugenommen die ganze Ausstellung drehte, zog daraufhin wütend seine Exponate zurück. Nachdem dann auch noch ein anonymer Drohbrief auftauchte, zog auch der zweite Exponat-Besitzer, H.P. Zimmer, seine wertvollen Stücke zurück. Übrig blieb ein Torso, der dann auch gar nicht mehr im Gropius-Bau, sondern in einer Kreuzberger Werkstatt zur Schau gestellt wurde. Der Ausstellungskatalog Nilpferd des höllischen Urwalds (Anabas-Verlag, Gießen) ist trotzdem lesenswert. Aber in ihm wurde noch weniger als in der Ausstellung der Anspruch der Aussteller eingelöst, die Spuren des Situationismus und der KommuneI bis zu den letzten Westberliner und den jüngsten Ostberliner Hausbesetzern zu verfolgen. Dieses ganze Kapitel fehlt. Es gibt gute Gründe dafür, zu bestreiten, daß Hausbesetzungen — also die außerplanmäßige Immobilisierung eines Teils der jungen Generation — überhaupt zu ihrer Mobilisierung, im Sinne einer sozialen Bewegung, taugen. Dennoch muß der Verzicht, sie in der Situationismus- Ausstellung zu thematisieren, eher mit der fortgeschrittenen Selbstbeschränkung der Museumsleute erklärt werden: Sie trauten sich ganz einfach an diese noch nicht ganz erkalteten Spuren nicht heran.

Zum Glück gibt es dazu jetzt einen weiteren Katalog: Bewegungslehre — Botschaften aus einer autonomen Wirklichkeit, herausgegeben von der Agentur Bilwet (Edition ID-Archiv Berlin-Amsterdam 1991). Es geht darin um die Amsterdamer Hausbesetzer, um verschiedene „Highlights“ ihrer Bewegung, einschließlich einer unaufdringlichen Verallgemeinerung ihrer Aktionen — Bewegungslehre eben. In diesem Katalog sind es vor allem zwei Kapitel, die hier auf geschärftes Interesse stoßen dürften: einmal das über die „Anti-Medien-Bewegung“ und zum anderen das Kapitel über die Amsterdamer „Nolympic-Kampagne“, die so erfolgreich war, daß am Schluß das IOC auf seiner entscheidenden Tagung mit 125 zu fünf Stimmen gegen Amsterdam votierte. Dem vorausgegangen waren monatelange Aktivitäten der Anti-Olympia-Gruppen, die an Effizienz und Gemeinheit nichts zu wünschen übrig ließen. Ähnliches könnte ich mir hier nur vorstellen, wenn die Linken es zum Beispiel über sich brächten, zusammen mit den Neofaschos beispielsweise ein ausländerfreies „Olympia 2000“ zu fordern. Dann könnte das Amsterdamer IOC-Abstimmungsergebnis sogar noch überboten werden. Aber vielleicht schafft der neue Olympia-Chef Walter Momper das auch ganz alleine. Übrigens ist dabei auch Kunzelmann wieder mit von der Partie: Wegen Beteiligung an einer Anti-Olympia-Fahrraddemo muß er sich demnächst vor Gericht verantworten. Es gibt sie eben wirklich, die Kontinuität einer sozialen Bewegung von den Anfängen der Situationistischen Internationale bis in die urbanen Konfliktfelder unserer Tage. Aber darüber bräuchte man eigentlich keine Zeile zu verlieren — geschweige denn eine ganze Ausstellung im Gropius-Bau.