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Archiv-Artikel

NICHT NUR BERLIN-TOURISTEN WOLLEN FREILEBENDE SCHWULE GERNE EINFACH, SCHNELL UND SAUBER ALS SOLCHE IDENTIFIZIEREN Penis an der Wand, rote Tische im Café

ERWACHSEN

Gestern kam es zu einer etwas schrägen Verwechslung im öffentlichen Raum. Ich saß bei schönem Herbstwetter vor dem taz-Café in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße. Weil die Redaktion unweit des ehemaligen Grenzübergangs „Checkpoint Charlie“ gelegen ist, promenieren allerhand Touristen vorbei – manche wollen sogar gezielt das taz-Gebäude inspizieren. Es sind „Pimmel-Touristen“, also solche, die das Penis-Relief von Peter Lenk („Pimmel über Berlin“) an der Fassade sehen wollen. Es kann sehr amüsant sein, diese Touristen zu beobachten – besonders drollig: das unbewusste, verunsicherte Sich-in-den-Schritt-Fassen mancher Jungmänner.

Eine solche Gruppe Jungmänner passierte nun das zur Abendzeit recht leere taz-Café, wobei der Anführer mit großer Geste hineinzeigte und erklärte: „Schaut her, Leute, hier sind sie, die Schwulen!“. Mich selbst nahmen sie gar nicht wahr – und drinnen war ja nun niemand. Ich fand keine Erklärung. Lag es daran, dass das taz-Café über rotes Mobiliar verfügt? Kombiniere: Penis an der Wand und rote Tische in der guten Stube = homosexuell?

Nun muss man ja als Angehöriger einer Minderheit stets verständnisvoll mit der Mehrheit umgehen. Die Menschen sind verunsichert. Womöglich haben sie in einem Reiseführer gelesen, dass es in Berlin sehr viele „bekennende Homosexuelle“ gibt, die sich hier in freier Wildbahn bewegen. Die will man dann halt auch mal sehen. Aber wie soll man sie erkennen? Dieses Problem haben nicht nur Touristen, sondern auch Staaten: In Kuwait wird diskutiert, ob man in Zukunft mit Hilfe von medizinischen Untersuchungen feststellen will, ob Einreisende homosexuell sind – um dann deren Einreise zu verhindern. Medizinische Untersuchung? In Nordafrika üblich sind Untersuchungen des Anus, die zwar von der Kenntnis zeugen, dass man selbigen aktiv sexuell nutzen kann, und doch die passive Erkenntnis ignorieren, dass solcherlei Gebrauch keineswegs messbare Spuren hinterlässt.

In Europa ist es nun genau andersherum. Wer einreisen will, muss erst mal beweisen, dass er homosexuell ist. Zumindest wenn man aufgrund seiner Homosexualität Asyl beantragen möchte. In Tschechien konzentriert man sich diesbezüglich auf den Penis. Beim „phallografischen Test“ wird ein Messgerät am Penis des Asylbewerbers befestigt, das während der Vorlage entsprechender Bilder die Anschwellung des Organs misst. In Großbritannien wiederum wird in Zweifelsfällen nach Bild- und Videomaterial gefragt, das eine homosexuelle Orientierung beweisen soll, dem Vorbild der türkischen Armee folgend, die von Wehrdienstverweigerern Aufnahmen fordert, auf denen eindeutig erkennbar wird, dass sie sich penetrieren lassen.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Donnerstag

Ambros Waibel

Blicke

Freitag

Meike Laaff

Nullen und Einsen

Montag

Josef Winkler

Wortklauberei

Dienstag

Jacinta Nandi

Die gute Ausländerin

Mittwoch

Matthias Lohre

Konservativ

Gut nur, dass man es als „bekennender Homosexueller“ in dieser Hinsicht etwas leichter hat. Wenn unsereins bei jeder Kontaktaufnahme auf aufwendige medizinische Rektaluntersuchungen oder DVD-Austausch angewiesen wäre – oder gar auf stetige Mitnahme phallografischer Elektrogeräte –, wären wir nie so weit gekommen, wie wir heute sind. Wie weit eigentlich?