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NEULICH......ganz allein im Schloß

■ Kinovorführer sind, als letzte auf Erden, zu Wundern fähig / Und manchmal wirkt einer eines

Sie glauben ja gar nicht, wie es den Abend erleichtert, wenn man ihn schon mittags verbracht hat, wo eh nur die Sonne glotzt im besseren Fall. Ich also ins Kino.

Nämlich in die Pressevorführung! Gratis! Niemals lacht unsereinem freundlicher die Gelegenheit! Nie schmeichelt unsereinem giftiger der Neid! Nie wird es eine Versöhnung geben zwischen den letzten kämpfenden Klassen: hie, liebe Leser, ihr ausgebeuteten Tröpfe, und da wir Flaneure, die umsonst ins Kino dürfen.

Ich also ins Kino...Was? Wie? Pressevorführung war schon, gestern... Ich wieder. Komm, schwarzer Vogel, nach Haus! „Aber wart!“ sagt da mit einemmal H. — „da drüben hockt grad der Vorführer!“ sagt da H. und ruft dem Vorführer zu: „Ach, hol doch mal die Spulen rüber!“ ruft also H. und wendet sich zu mir und sagt: „Setz dich doch einfach rein. Wir zeigen dir den Film...neenee, keine Ursache“, sagt H., weil da bin ich schon, mit einem kleinen Glucksen, zu Boden gesunken.

Ganz allein im Kino: Wissen Sie, wie das ist? Es ist einfach nicht recht. Kino ist fürs Volk. Kino ist Popcorn und Tuscheln und voll. Allein im Kino ist nicht recht. Es ist ein Wunder. Es ist wie allein im Schloß, und nicht einmal die Prinzessin ist da. So saß ich inmitten von leeren Reihen, und es klopfte das Herze, weil ich doch nebenbei all die Menschen, die fehlten, zu vertreten hatte. Ein köstlicher Film! Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Stunden um Stunden muß ich gehockt sein.

Da fing, wie es in solchen Fällen üblich ist, die Blase an, mich zu peinigen. Ich aber blieb sitzen, weitere Stunden, und widerstand fast bis zum Ende, aber auf einmal war es doch nahezu um mich geschehen, und ich stürzte hinaus und traf auf dem Weg den Vorführer, der mich am Ärmel faßte und seinen Blick in den meinen senkte und fragte: „Ist was mit dem Film? Läuft er noch?“ — „Jaja“, rief ich, schon im Weiterlaufen, „ich muß nur mal raus.“

Man versäumt ja nichts am Ende, das Leben geht weiter, aber sputen will man sich doch. Als ich aber zurück eilte, in den dunklen Raum, da lehnte in der Tür der Vorführer und hatte ein Lächeln für mich und sagte die Worte: „Ich hab dir mal eben den Film angehalten.“

Nein! schrie ich, aber kein Ton kam über meine Lippen. In den Ohren rauschte die Zeit. Dreißig Jahre unterwegs; aus den Windeln gekrochen, Wohnungen gewechselt, Menschen gequält; und dann widerfährt es einem auf einen Schlag. Was man sich vom Großen Vorführer im Himmel droben ganz ohne Hoffnung ersehnt, beschert einem sein kleiner Vorführer auf Erden, als wäre es eine Kleinigkeit: „Ich hab dir mal eben den Film angehalten.“

Manfred Dworschak

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