NEBENWIRKUNGEN : Nase läuft
Jetzt ist die Zeit, wo mir beim Fahrradfahren eigentlich immer die Nase läuft, wegen der Kälte. Es ist auch die Zeit, wo ich häufig zu spät komme, weil mein Fahrradschloss zugefroren ist oder weil ich schnell noch mal zurückgelaufen bin, um Handschuhe zu holen. Das mit dem Zuspätkommen finde ich nicht so schlimm, aber die Sache mit dem Rotz ist mir manchmal ein bisschen unangenehm. Es ist irgendwie gefährlich, beim Fahrradfahren Taschentücher aus der Tasche zu holen, und extra stehen bleiben mag ich eigentlich nicht dafür. Ich bin ja fast immer sowieso schon spät dran. Also fahre ich meistens einfach weiter und hoffe dabei, dass mir niemand so genau ins Gesicht schaut. Es wird ja sowieso so früh dunkel. Da sieht man so ein bisschen Rotz nicht so schnell.
Ich schließe mein Fahrrad vor der Haustür ab und freue mich ganz riesig darauf, mir die Nase zu putzen. Ich hoffe, dass mir niemand ins Gesicht schaut. „Entschuldigen Sie, kennen Sie sich hier aus?“ – Hilfe, nein, ich wohne hier nicht, oder sieht es so aus? Wahrscheinlich schon. Ich schäme mich für den Rotz und mag die Frau nicht angucken, die mich angesprochen hat. „Äh, ja, was denn?“ – „Ich suche die Charité, wo muss ich denn hier lang?“ Na gut, ich erkläre ihr den Weg. Rechts, geradeaus, wieder rechts, fertig. Sie starrt mich an. „Sie sehen aber auch nicht gerade gesund aus“, sagt sie. „Haben Sie Fieber? Haben Sie sich gegen die Schweinegrippe impfen lassen?“ Wie oberflächlich von ihr. „Das ist keine Schweinegrippe, das ist Fahrradrotz.“ Sie hat Mitleid mit mir. „Ach so, vom Radfahren, ja. Brauchen Sie ein Taschentuch?“ Hab ich selber. Ich hätte mich ja auch längst wieder in Ordnung gebracht, wenn sie mich nicht angequatscht hätte. Egal, denn es hat alles auch eine gute Seite: Wenn nämlich endlich die Zeit gekommen ist, wo beim Fahrradfahren die Nase läuft, dann ist bald Weihnachten.
MARGARETE STOKOWSKI