piwik no script img

Archiv-Artikel

NEBENSACHEN AUS MOSKAULEITFADEN ZUR LEITKULTUR Der „Kodex des Moskauers“

VON KLAUS-HELGE DONATH

NEBENSACHEN AUS MOSKAU

Ab nächstem Jahr plant Moskau, seine Besucher mit einer Broschüre willkommen zu heißen. Mit dieser kleinen Aufmerksamkeit bittet der Gastgeber die Gäste, bevor sie die Tore der Hauptstadt passieren, um Gehör. Das Büchlein enthält den „Kodex des Moskauers“. Es ist ein Leitfaden zur Leitkultur, der den Fremden die Orientierung in der Metropole erleichtern soll.

Einige sehen in dem Unterfangen eine wohlgemeinte Integrationshilfe, andere wiederum eine Fibel des russischen Alltagsrassismus. Der federführende Kodierer ist der Nationalitätenbeauftragte der Stadtregierung, Michail Solomentsew. Wer es sich von vornherein mit dem Beamten verscherzen will, der flaniere über die hauptstädtischen Boulevards in Nationaltracht, setze die hohe kaukasische Pelzmütze Papacha auf und hülle sich in die kleidsame Tscherkeska, den im Kaukasus verbreiteten Mantel mit aufgesetzten Patronentaschen. Nationale Kostüme möchte Michail Solomentsew grundsätzlich aus dem Stadtbild der Hauptstadt des Vielvölkerimperiums verbannen. Ausgenommen folkloristische Applikationen aus den Häusern Armani bis Zegna.

Auch das negidalzische, nganasanische, tajmyrische oder kalpakische Idiom, um nur einige der Hunderte von Sprachen Russlands zu nennen, soll auf den Straßen nicht mehr erklingen. Denn in Moskau spreche man schließlich Russisch. Wer mit einem Landsmann in seiner Muttersprache kommuniziert, macht sich irgendwie verdächtig. Denn von den Trägern der Leitkultur könne man nicht auch noch erwarten, dass sie die Sprachen der kolonialisierten Ethnien beherrschten.

Ob die Auflage auch Touristen aus Europa empfohlen wird, ist im jetzigen Stadium des Brainstormings noch nicht geklärt. Der Kanon richtet sich vor allem an die nichtslawischen Völker des Reiches und die „gastarbaiter“ aus dem zerfallenen Sowjetimperium. Vermutlich kommen Franzosen, Engländer oder Deutsche vor einer Reise um einen Sprachkurs herum.

„Das hohe kulturelle Niveau der Moskauer“ gelte es zu wahren, meint der Beauftragte selbstgefällig. Wie in fast jeder Metropole überwiegen auch in Moskau nicht die alteingesessenen Bewohner. Es sind die Zugereisten, die mit dem Dorf und der Provinz im Koffer einst in die Stadt kamen. Der Metropole ist das anzumerken, vor allem ihren Beamten.