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Archiv-Artikel

NAZIS UND ZU DICK GESCHNITTTENER KNOBLAUCH – ES GIBT VIELE VORURTEILE ZWISCHEN BRITEN UND DEUTSCHEN. WAS KANN MEIN SOHN DAFÜR? Die Paranoia vor dem Angebrannten

JACINTA NANDI

Engländer und Deutsche haben viele Vorurteile gegeneinander. Ihr denkt zum Beispiel, dass wir Engländer alle nicht kochen können. Ich finde es ein bisschen unfair, dass wir uns darüber aufregen. Denn wir denken, dass ihr alle Nazis seid.

Ich bin 2008 nach Neukölln gezogen, danach sind mir alle anderen in Berlin lebenden Engländer gefolgt. Ich sitze bei einer britischen Nachbarin, die heute Abend für deutsche Freunde Abendessen macht – und voll Lampenfieber hat. Ich helfe ihr, Knoblauch dünn zu schneiden.

„Nichts darf schiefgehen“, sagt sie. „Das muss perfekt werden. Nichts darf anbrennen. Du weißt, wie paranoid Deutsche werden, wenn etwas nur ein kleines bisschen angebrannt ist.“

„Ja“, sage ich. „Die deutsche Angst vor angebranntem Essen ist fast Aberglaube.“

„Und dann werden sie sagen, dass wir Engländer nicht kochen können! Das nervt mich voll, wenn sie das sagen. Nervt das dich auch, Jacinta?“

„Ja“, sage ich. „Na ja. Ein bisschen. Aber weißt du, Tina … Es muss die Deutschen auch voll nerven, wenn wir immer sagen, dass sie das mit dem Holocaust gemacht haben.“

Tina hört mir nur halb zu, sie studiert ein Rezept von Jamie Oliver und starrt liebevoll auf ein Bild von ihm, auf dem er zufrieden eine silberne Tasse schmutziger Karotten hochhebt und grinst. „Ja, ja“, sagt sie abwesend, „ich denke, das mit dem Holocaust war keine so gute Idee.“ Sie guckt hoch und bemerkt, wie ich Knoblauch schneide. „Schneide das Knoblauch noch dünner, Jacinta! Für Deutsche kann Knoblauch nie dünn genug geschnitten werden!“

Es regt mich nicht wirklich auf, wenn die Engländer und die Deutschen sich gegenseitig diskriminieren. Wir sind beide stark genug und hässlich genug, um uns selbst zu verteidigen. Denke ich.

Aber mein deutscher Sohn tut mir schon manchmal leid, wenn wir bei Verwandten zu Besuch sind. Er singt „Wer will fleißige Handwerker sehen?“, und meine Stiefschwester fragt ihn, was für ein Nazilied er singen würde. Hört meine Mama, dass er ins Ferienlager fährt, fragt sie: „Aber hoffentlich nicht von der Hitlerjugend?“

Ryan war ein Baby, als er zum ersten Mal Nazi genannt wurde. Drei Monaten alt, ein Schreikind. Man musste ihn fest gegen die Schulter drücken und hin und her tragen – keine Sekunde Pause war erlaubt. Meine Eltern waren zu Besuch, fest überzeugt, dass ich ihn schreien lassen sollte, um ihm das Schreien abzugewöhnen. Ich hörte aber nicht auf sie und marschierte – aber irgendwann wurde ich müde, und mein Vater nahm ihn mir ab.

„Warum schreist du so, Kleiner?“, flüsterte er zärtlich. Ryan beruhigte sich etwas, und mein Papa hielt ihn in seinen Armen und schüttelte ihn ein bisschen zu hart. Ryan hörte dann plötzlich ganz auf zu weinen.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

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Mein Papa schaute zu mir hoch: „Ich denke, dass ihm das mit dem Holocaust total leidtut“, sagte er. „Ach was“, sagte meine Stiefmutter. „Er ist nur sauer, weil er den Krieg verloren hat.“

Daraufhin fing Ryan wieder an zu heulen. Mein Papa lachte.

„Sei nicht so traurig, Kleiner“, sagte er. „Du hast ihn sowieso halb gewonnen. Eigentlich.“