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NACHRUFVerraten, verlassen und verkauft

■ Zum Ableben der Ostberliner Kunstzeitschrift 'bildende kunst'

Auf 45 Jahrgänge kann die Redaktion der in Ost-Berlin erschienenen 'bildenden kunst‘ zurückblicken. Damit waren der einzigen DDR- Kunstzeitschrift fünf Jahre mehr beschert, als dem im vergangenen Oktober angeschlossenen Arbeiter-und-Bauern-Staat. Mit der in diesen Tagen ausgelieferten Nummer 3/91 dürfen die 5.000 Abonnenten Abschied nehmen von einer Zeitschrift, die in ihrer widersprüchlichen Geschichte getreuer Spiegel der nicht minder widersprüchlichen Kulturpolitik in der DDR war. Zugleich aber, abhängig von den je verantwortlichen Redakteuren und Autoren, befand sich die Zeitschrift auch immer wieder im Konflikt mit den ideologischen Gralshütern aus dem Künstlerverband und der SED-ZK- Abteilung für Kultur. Wohl jeder Jahrgang hatte mindestens einen Eklat, der damals nur den Verbandsfunktionären und einer kleinen Zahl von Eingeweihten und heute niemandem mehr verständlich ist. Die im letzten Heft nachgereichten, ehemals unterdrückten Beiträge belegen nur die bornierte Buchstabengläubigkeit analphabetischer Zensoren. Im September 1990 übernahmen die Kunsthistoriker Matthias Flügge und Andreas Freitag die Redaktion der Zeitschrift.

Flügge, in Vorwendezeiten vom langjährigen Chefredakteur Dr. Peter Michel gefeuert, weil sich in seinem aufgebrochenen Schreibtisch eine Ausgabe des 'Spiegel‘ fand, sah sich im Versuch einer Neuprofilierung der 'bildenden kunst‘ neuen und alten Problemen gegenüber. Die Schnelligkeit der sozialen Veränderungen im Einzugsgebiet der Zeitschrift lähmte die Autoren und entwertete immer wieder die anfangs retrospektiven Konzepte, die Flügge in seinem letzten Editorial so beschreibt: »Das Unterfangen des Neubeginns war zwiespältig von Anfang an. Es war nur als ein kollektives Experiment denkbar — in Interaktion von Lesern, Künstlern, Autoren und Redaktion. [...] Es sollte darum gehen, den Prozeß des ‘Zusammenwachsens‚ [...] zu begleiten«. Wo kein Zusammenwachsen stattfand, war aber die Begleitung unnötig. Flügge: »Die Gefahr der Ghettoisierung war nahegerückt. Eine veränderte Konzeption ist notwendig geworden.« Der allerdings widersetzt sich eine Verlagsleitung, die die an die Stelle alter ideologischer Prämissen kurzatmiges Marktwirtschaftsdenken setzt und im langgeübten vorauseilenden Gehorsam darin die Zeichen der Zeit zu erblicken glaubt. So wurden vom Verlag — über die Köpfe der Redakteure hinweg — die Abonnentenkartei und der Name der Zeitschrift 'bildende kunst‘ an die 'art‘ verkauft. Ein Vorgang, den der Verlagsleiter Kuno Mittelstädt in wunderbare, von Verantwortung getragene Worte zu fassen versteht: »Auf der Suche nach einer Möglichkeit, für die bisherigen Leser der 'bildenden kunst‘ die Kontinuität von Information und Kritik zu sichern, hat sich der Henschel Verlag GmbH entschlossen, der Zeitschrift 'art‘ ... die Möglichkeit zu geben, die Abonnenten der Zeitschrift 'bildende kunst‘ für sich zu gewinnen. Diese Monatszeitschrift gilt als führende Publikation zu allen Bereichen der bildenden Kunst im deutschen Sprachraum.« Das Angebot für die 'art‘, einen ostdeutschen Service-Teil, schlugen Flügge und Freitag aus, weil »die Unterschiedlichkeit der kunstpublizistischen Intentionen fest stand«.

Ihre Hoffnungen ruhen jetzt auf 300.000 DM, die Stiftung Kulturfond einer »Freien Initiative 'bildende kunst‘« als Anschubfinanzierung für eine neue Zeitschrift zur Verfügung stellte. Beide Redakteure sehen das Ende der 'bildenden kunst‘ auch als Chance, »den Blick frei zu bekommen« und über die deutsche Ost-West-Auseinandersetzung hinaus sich als Fachblatt für internationale Kunstkritik »breiten Leserkreisen« zu öffnen. Im September 1991 soll die erste Nummer dieser 'neuen bildenden kunst‘ auf den Markt kommen. Dr. Jürgen Kuttner

Den Artikel über den Ex-Autoperforationsartisten, Maler und Bildhauer Rainer Görß entnahmen wir aus aktuellem Anlaß und mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der letzten Ausgabe der 'bildenden kunst‘. Das Heft ist für 10 DM an allen aufrechten Kiosken des Postzeitungsvertriebs und in der hauseigenen Buchhandlung des Henschel Verlages in der Oranienburgerstraße 67—68 in 1040 Berlin erhältlich. Grußadressen und Solidaritätsbekundungen sind ebenfalls an diese Adresse zu senden.

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