Mythos Werte : Rechte sind lieber links als liberalAUS PARIS RUDOLF BALMER
„Gallier, Gallierinnen, habt ihr es satt, die dümmste Rechte der Welt zu haben? – Wir auch.“ Dieser masochistisch gefärbte Slogan stand 1998 auf einem Plakat der Gaullisten-Partei RPR, die damals mit dem Projekt „L’Alliance“ wieder einmal einen Versuch unternahm, die verschiedenen Tendenzen der parlamentarischen Rechten unter einem Dach zu vereinen. Um so zu verhindern, dass der Streit zwischen Konservativen, Zentrumsdemokraten, Gaullisten und Liberalen an den Wahlurnen der gegnerischen Linken nutzen.
Das mangelnde Selbstwertgefühl der französischen Rechten entspringt nicht bloß einer späten Einsicht in taktische Notwendigkeiten. Die konservative Rechte hatte sich in der Kollaboration mit dem Dritten Reich kompromittiert und zweifelt seither an sich.
Der Gaullismus bekannte sich – trotz der zutiefst konservativen Grundwerte von Charles de Gaulle – nie klar zum rechten Lager. Die französischen Intellektuellen standen in der Nachkriegszeit fast ausnahmslos links. Noch heute gilt das vernichtende Urteil aus dem Mai 68: Rechts ist reaktionär, und somit der erste Schritt zum Faschismus.
Es verwundert darum nicht, dass auch über die Grundhaltung von Präsident Chirac immer wieder gerätselt wurde. Ist er ein Rechter oder ein verkappter Linker? Seine Wahlversprechen blieben stets Makulatur. In den anstehenden Reformen der Sozialversicherungen gingen seine Regierungschefs aus Angst vor heiligen Kühen nur in Trippelschrittchen vor. Die „Reformen“ bestanden in einer revanchistisch anmutenden Demontage des Werks der linken Vorgänger – wie etwa bei der 35-Stunden-Woche –, die sich nur schwer als Fortschritt verkaufen ließ.
Der heutige Parteichef der regierenden UMP (Union pour un Mouvement Populaire), Innenminister Nicolas Sarkozy, grenzt sich immer wieder rhetorisch von dieser zimperlichen Politik ab. Irgendwelche Minderwertigkeitskomplexe kennt er nicht. Er versucht im Gegenteil, den von Chirac enttäuschten Parteigängern ein neues rechtes Selbstwertgefühl zu vermitteln. Als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen von 2007 gilt er so als Hoffnungsträger der Bürgerlichen. Der Innenminister macht sich mit markigen Worten gegen Vorstadtgangs stark. Bei seinem kurzen Intermezzo als Wirtschafts- und Finanzminister fiel er mit mutigen Reformen nicht auf. Rechte Sprüche klopfen, das konnte schon Chirac. Ob Sarkozy sie auch in die Tat umsetzt, ist weniger sicher.