: Mutter ist doch die Beste
■ Die Philosophen verdrängen sie. Luisa Muraro kämpft dagegen
Luisa Muraro, die italienische Theoretikerin der „sexuellen Differenz“, rief die Philosophinnengruppe „Diotima“ ins Leben, arbeitete im Mailänder Frauenbuchladen mit und war maßgeblich an dem Buch „Wie weibliche Freiheit entsteht“ beteiligt, das der italienischen und auch der deutschen Frauenbewegung entscheidende neue Impulse versetzte. Ihr vor zwei Jahren geschriebenes letztes Werk, „l'ordine symbolico della madre“, liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor. Die leider zu sehr an teutsche Ordnung erinnernde wortgetreue Übertragung seines Titels, „Die symbolische Ordnung der Mutter“, läßt vielleicht manche philosophisch oder feministisch Interessierten vor dem Buch zurückschrecken – zu Unrecht. Denn wir haben es hier mit dem kleinen Wunder zu tun, daß eine hochtheoretische philosophische Abhandlung wie auf Schwingen daherfliegt.
Für Muraro ist die männlich geprägte Geschichte der Philosophie und der Kultur eine Verleugnung der Mütter und ihrer Autorität. Wiewohl auch die Philosophen ihren Müttern die Beigaben zum späteren Erfolg verdanken, nämlich Leben, Sprache, Denken, Fähigkeit zu Vermittlung und symbolischer Verknüpfung, geben sich viele von ihnen alle Mühe, ihre fleischliche Geburt zu verbergen und durch eine symbolische Geburt-aus-sich-selbst-heraus zu ersetzen: „Ich denke, also bin ich.“ „Vielleicht steht“, so schreibt die Philosophin in ihrem Eingangskapitel über „die Schwierigkeit, einen Anfang zu machen“, „am Ursprung unserer Kultur nicht der Vatermord, von dem Freud in Anlehnung an Sophokles' ,Ödipus‘ spricht, sondern ein Muttermord, wie es die ,Orestie‘ des Aischylos nahelegt.“ Mit dem das Patriarchat besiegelnden denkwürdigen Urteilsspruch, Kinder seien nur mit ihren Vätern und nicht mit ihren Müttern verwandt, war der Muttermörder Orest von einem antiken Tribunal freigesprochen worden. Dieser Mord, so legt Muraro nahe, wird in der geistigen Operation reproduziert, die sozial machtlose Mutter zur „matten und formlosen Natur“ zu reduzieren und sie sodann per Denken und Handeln beherrschen zu wollen. Auch sie selbst, so gibt sie freimütig zu, sei der Versuchung fast unterlegen, mittels der Philosophie „symbolische Unabhängigkeit“ von ihrer Mutter zu erlangen – denn das klägliche Leben, das die meisten Mütter ihren Kindern vorführen, vermag den Impuls zum Nachmachen gewiß nicht anzuregen. „Ich fühlte und handelte, als stünde die Frau, die mich zur Welt gebracht hat, meiner symbolischen Unabhängigkeit entgegen, und als müßte diese Unabhängigkeit notgedrungen meine Trennung von ihr und ihr Ende mit sich bringen“, schreibt die Philosophin, die diesen Zustand jedoch für eine „furchtbare symbolische Unordnung“ hält.
Muraros Ausweg, den sie weder im metaphorischen noch im psychologischen Sinne mißdeutet, sondern als Anfang einer neuen Philosophie verstanden sehen möchte: „Ich behaupte, daß das Die-Mutter-lieben-Können symbolische Ordnung schafft.“ Darunter rechnet sie auch die Anerkennung der Tatsache, daß der Beginn unseres Denkens und unserer Muttersprache in der „vitalen Kommunikation“ mit unseren Müttern liegt. „Die Sprache kann uns nur auf dem Wege der Verhandlung gegeben werden, weil sie eben genau deren Ergebnis ist. Sprechen können bedeutet im wesentlichen die Fähigkeit, die Welt zur Welt zu bringen, und dies können wir nur in der Beziehung zur Mutter, nicht getrennt von ihr tun.“ So wird die Sprache zum Mutterersatz, allerdings „mit der Besonderheit, daß für diese Art der Mutterbindung der Ersatz als Rückerstattung, der die Struktur eines originellen Denkens aktiviert, nie Ersatz durch etwas anderes als die Mutter selbst ist. Die Mutter in Fleisch und Blut wird an ihrer eigenen Stelle stehen, in der Art, wie zum Beispiel ein Wort an der Stelle seiner Bedeutung steht ...“ In Anlehnung an eine andere Feministin nennt Muraro ihre Denkfigur den „fleischlichen Kreis“, weil er „die Idee der Mutterschaft und die der Vermittlung miteinander verbindet“. Und in diesem Kreis stellt sich dann für sie das Problem nicht mehr, das Descartes und Marx und all die anderen vom Lebensfrust gehärteten Männer umtrieb: „Die Welt entsteht mit dem vollständigen Kreis der Vermittlung, der mich mit Seele und Körper, Fleisch und Blut umfaßt.“ Ute Scheub
Luisa Muraro: „Die symbolische Ordnung der Mutter“. Campus Verlag, 171 Seiten, 28 DM
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