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„Mutter aus Passion“

■ Bremer Uraufführung eines Dokumentarfilms über Memmingen während der Abtreibungsprozesse

Das Recht, über Körper und Lebensweise zu bestimmen, wird dem weiblichen Geschlecht bekanntlich von der patriarchalen Justiz nicht ansatzweise gewährt, geschweige denn garantiert und geschützt. Die historisch gewachsene Gewöhnung an diesen Zustand bestimmt das (unser) Denken und wird in dem Dokumentarfilm „Mutter aus Passion“ verschwenderisch vor dem Kinopublikum ausgebreitet. Die Memminger Frauen sind nicht wütend, nicht lebensfroh, nicht subversiv, laut, lustvoll, beißend und zynisch in diesem Film. Es sprechen Frauen, die als Angeklagte und Zeuginnen gegen Dr.Theissen in die Mangel geraten sind, Frauen,

die im Memminger Frauenzentrum arbeiten, als auch Passantinnen der Einkaufszone mit den LebensschützerInnen -Infoständen. Scharfsinnig und tiefgründig kommen Spezialistinnen für Männerrecht und Frauenalltag zu Wort: Frau Sadrozinski und Frau v. Paczensky von Pro Familia in Hamburg und eine feministische Juristin. Der Film ist kein Augenschmaus für einen netten Abend. Es ist ein Sprechfilm, eine Zustandsbeschreibung unseres Lebensraumes. Er glänzt durch kampfgeistfreies Ernüchtertsein, das sich im Fehlen der Polemik niederschlägt. Er leistet, was wenige FilmemacherInnen beabsichtigen: das zum Sprechen

Bringen ganz „normaler“ Frauen. Enttäuschung, Geschichtslosigkeit, Mutter-Beruf, Verhütung, Sexualität, Job, Medizin, Recht und Öffentlichkeit sind Eckpfeiler dieser Situation. In diesem Film kann jede(r) seine eigenen Entdeckungen machen. Ich fragte die beiden in Hamburg lebenden Filmemacherinnen Ingrid Molnar und Anne Geils vor der Uraufführung des vom Bremer Film-und Fernsehinstituts unterstützten Films:

Habt Ihr einen politischen Film gemacht?

Molnar: Wir versuchen, mit dem Film Politik zu machen.

An welches Publikum habt Ihr ge

dacht?

Molnar: An meine Mutter. Die sagte, wenn der Arzt im Spital (Ingrid kommt aus Wien, Anm. Red.) bei der Versorgung eines Kindes versagte und die Mutter es verlor, hieß das 'ein Kunstfehler‘. In der Nazizeit, als meine Mutter fruchtbar war, wäre sie eine Mörderin gewesen, wenn sie abgetrieben hätte. Sie sagte, sie habe auch das Recht, einen Kunstfehler zu machen.

Geils: Auch mir war meine Mutter dabei ganz wichtig, auch, daß sie sich den Film anschaute. Die Memminger Frauen sollen mit dem im Film komprimierten Material weiterarbeiten können. Der Film soll benutzbar sein. Deswegen wurde er auf Video kopiert. Außerdem versuchen wir, ihn ins Fernsehen zu kriegen. Dafür ist aber auch eine bestimmte Produktionsweise gefragt - das Feature-Strickmuster. Das muß stringent sein, ordentlich und ohne Unsicherheiten, Zwischenräume.

Was haben eure Klimaforschungen in Memmingen ergeben? Haben sie Euch verändert?

Geils: Das gängige Bild, daß in so kleinen Städten in Bayern andere Gesetzte gelten, stimmt wohl. Auf der anderen Seite habe ich diese pauschale Haltung revidiert. Es gibt dort sehr viele mutige Frauen und eine Solidarität, die in der Großstadt so nicht ist. Es gab zwar auch viel Medienrummel und verbale Solidarität aus den Großstädten, aber vor dem Memminger Amtsgericht standen immer neue einzelne angeklagte Frauen alleine da. Da war keine Öffentlichkeit, kein Beistand. Wir beide waren oft die einzigen im Saal.

Die Mütterlichkeit gegenüber den angeklagten Opfern fehlte?

Molnar und Geils: Ja, so könnte man das ausdrücken. gür

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