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Mutter auf der Flucht

■ Cuxhavener Jugendamt entzog vorläufig das Sorgerecht für einen vierjährigen Jungen Von Katrin Wienefeld

Die Frau, die am 4. August mit ihren beiden Kindern in Hamburg ankommt, hat Angst. Gabi S. (alle Namen von der Redaktion geändert) ist mit dem vierjährigen Tim und dem zehn Jahre alten Daniel auf der Flucht vor einer Behörde, dem Jugendamt Cuxhaven. In der Hansestadt versteckt sie Tim bei Freunden. Dort ist das Kind auch noch, wenn morgen vor dem Landgericht Stade über den Sorgerechtsentzug wegen Vernachlässigung vorläufig entschieden wird. „Eine reine Machtfrage“, kommentiert ihr Hamburger Anwalt Jan Mohr. Ohne triftigen Grund werde eine Familie zerstört.

Das Drama beginnt an einem Abend im Juli. Die alleinerziehende Mutter, die auf einem Resthof bei Cuxhaven lebt, läßt einen Abend Tim schlafend allein. Später wird er herumstreunend aufgegriffen, „von einer Nachbarin, die nach drei Stunden die Polizei benachrichtigt“, erzählt Gabi S.

Polizisten bringen den Vierjährigen zum Jugendamt, das ihn tags darauf in eine Pflegefamilie steckt. 15 Tage lang wird der Mutter jeder Kontakt verwehrt, erst dann erlaubt man ihr mit Daniel den Besuch. „Er war voller Hautmale und entzündeten Stellen“, so Frau S. Der Bruder schnappt sich den Kleinen zum Spielen, er läuft er mit seinem kleinen Bruder weg. Später findet Gabi S. die Kinder, fährt nach Hamburg und sucht Hilfe.

„Die beiden Kinder sind fit und menschenfreundlich“, sagt sie, „sie kommen im Kindergarten und in der Schule gut klar. Jeder macht mal was falsch, ohne das gleich so reagiert wird“. Ein Arzt attestierte, daß Tim unter psycho-somatische Beschwerden leidet und rät, den Jungen bei der Mutter zu lassen. Der Kindergarten bestätigt die gute Mutter-Kind-Beziehung. Mohr und Gabi S., die “bereit ist, sich helfen zu lassen“, so Mohr, suchen einen geeigneteren Pflegeplatz für den Vierjährigen. „Ständig baten wir Gespräche, doch das Jugendamt verweigerte die Zusammenarbeit“. Auch gegenüber der taz wollte das Jugendamt keine Stellung zu dem Fall nehmen.

Für den Hamburger Kinderpsychologen Dieter Kretzer vom Amt für Jugend ist der vorläufige Sorgerechtsentzug der schärfste Eingriff in die Familie: „Das ist nur gerechtfertigt bei körperlicher oder sexueller Mißhandlung und bei starker Vernachlässigung“. Unterstützung der Erziehungsberechtigten sei die zentrale Aufgabe der Jugendhilfe. „Kindererziehung ist anstrengend, da macht jeder mal Fehler.“

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