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■ ÖkolumneMuß brummen Von Jörg Götting-Frosinski

Armer Berliner Bär. Jemand ist ihm mit der Kamera auf den Pelz gerückt. Fotografiert, vereinnahmt, verkauft. Das Recht am eigenen Bild kann Petz nicht geltend machen. Und so muß er herhalten für die saudumme CDU-Wahlkampfparole, daß Berlin brummen müsse. Klingt so gemütlich und gleichzeitig geschäftig. Eine Geschäftigkeit, vor der man sich nicht fürchten soll.

Deswegen werden auch die tonnenschweren Ungetüme, die einem mit ihrem schwarzem Qualm die Luft zum Atmen nehmen und die Gläser in Vitrinen zum Scheppern bringen, gerne als „Brummis“ bezeichnet. Vorm Wahlkampfplakat der CDU wird klar, was die Diepgen-Truppe wirklich meint. Die Räder müssen rollen, die Stadt braucht mehr Verkehr, flüssigen Verkehr. Autoverkehr, versteht sich.

Rollende Reifen stehen synonym für eine blühende Wirtschaft – in den maßgeblichen Köpfen der Hauptstadt. Mag doch die Opposition meckern, fünf Jahre schwarzrote Verkehrspolitik in Berlin seien eine Katastrophe gewesen, CDU- Verkehrssenator Herwig Haase der größte Versager in einer eh selten über Provinzniveau hinauswachsenden Senatsmannschaft. Da lacht doch der CDU-Bär.

Was mancher Kritiker in den fünf Jahren nicht begriffen hat: Haases Politik ist kein Versagen, sie hat System. Den öffentlichen Nahverkehr attraktiver gestalten? Klar: Leistungen vermindern, Preise erhöhen. 80 Prozent öffentlichen Verkehr als Ziel für die Innenstadt vorgeben? Denkste. „Die Engpaßbeseitigung bei den Straßenverbindungen zwischen den bisherigen Stadthälften sowie dem Umland muß mit Vorrang betrieben werden“.

Haases Un-Taten sind schnell aufgezählt: Grüne Pfeile im Westen montiert, Busspuren und Tempo-30- Zonen verringert; Bahnhöfe und Straßen umbenannt, Millionenbeträge aus Bonn für S- und Straßenbahn durch konsequente Nicht-Planung verfallen lassen; den vierspurigen inneren Stadtring für den Autoverkehr passierbar gemacht, aber auf die Tram verzichtet; den Ausbau der Straßenbahn im Osten blockiert, im Westen Null ouvert. Von Ost nach West eine 2,5 Kilometer Tramverbindung geschaffen – in fünf Jahren.

1.300 km Autobahnen und Schnellstraßen sollen bis 2010 gebaut werden, Planzahlen für Radwegkilometer hat die Verkehrsverwaltung nicht. Fußgängerbelange sind ihr völlig unbekannt. Die 67 getöteten Kinder, die in Haases Amtszeit in Berlin zu beklagen sind? Seine Beamten fahren ihre Kinder sicher mit dem Auto zur Schule und Klavierstunde. Und als der kleine Haase auf der Straße spielte, war's noch nicht so gefährlich.

Das System Auto gilt anderswo als auslaufendes Modell. Es von heute auf morgen abzuschaffen ist zwar unmöglich, damit anzufangen aber nötig. Doch in Berlin macht man das Gegenteil, und offenbar mit Lust. Geradezu ein Run auf erste Spatenstiche hat kurz vor den Wahlen eingesetzt. Gestern schwang Diepgen mit Kohl die Schaufel, um Milliardenbeträge in einem Tunnel unter dem Tiergarten unterzubringen, für Donnerstag kam Bausenator Nagel (SPD) ihnen mit der Einladung zum Anstich der Stadtautobahn von Berlin-Tempelhof nach Berlin-Neukölln zuvor.

Gestört bei solch weihevollen Tätigkeiten, werden die Herren von der CDU allerdings ungemütlich. Im Nazi-Jargon werden Protestierende zu kriminellen Chaoten erklärt, deren „Zusammenrottungen“ „mit allen Mitteln verhindert werden“ müssen. Denn Protestaktionen sind „demokratie- und verfassungsfeindlich“, meint die CDU, „weil sie das Versammlungsrecht und die Wahlwerbung einer demokratischen Partei beeinträchtigen“. Und die hat ja das Versammlungsrecht für sich gepachtet.

Nicht mal Pfiffe werden bei solchen Anlässen geduldet. Prügelnde Polizisten repräsentieren die Staatsgewalt, deren Abwehr erfüllt den Tatbestand des Widerstands gegen dieselbe. 1.500 Mark kann es kosten, sich von einem Prügelcop die Nase blutig schlagen zu lassen. Das Gericht zeigt Verständnis für den Polizisten.

„Da brummt der Bär“, stellt die CDU auf anderen Wahlkampfplakaten sinnig fest. Am Wahlsonntag wird sich zeigen, ob aus Lust oder aus Frust.

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