: Museale Unschärfe
Betrachter beim Betrachten zu betrachten: Thomas Struth stellt seine „Museumsbilder“ in der Hamburger Kunsthalle aus
Was wirklich in einem Museum geschieht: Bilder stellen sich öffentlich zur Schau und warten auf Menschen, die ihnen einen Bruchteil ihrer Lebenszeit zum Weiterleben geben. Denn ohne Beachtung blieben alle Werke tot. Bei ständig steigenden Besucherzahlen müßte die Kunst also quicklebendig sein. Doch ob die Museen wirklich Kontakt zu den Bildern aufnehmen, ist keineswegs sicher.
Seit vier Jahren liegt der Düsseldorfer Künstler Thomas Struth tagelang im Museum auf der Lauer, um mit seiner Plattenkamera die Beziehung zwischen Malerei und BetrachterInnen einzufangen. Die fast 700 Belichtungen, in Kunsttempeln rund um die Welt entstanden, unterwarf er im Anschluß daran einer strengen Auswahl. Probedias werden auf Ausstellungsgröße projiziert, dann unter maximaler Ausnutzung des Rollenmaterials meist als zwei Meter zwanzig mal ein Meter achtzig große Ciba-Chrom-Prints hergestellt. Der vollständige Zyklus der „Museumsbilder“ umfaßt am Ende nur 18 Großfotos, die nun ihrerseits die festgehaltene „Aura“ als Bilder einer Ausstellung wieder im Museum repräsentieren. Betrachter sind beim Betrachten zu betrachten, die Fotos können als „Beziehungsprotokoll“, wie Struth es nennt, über die Haltung zu Bildern gelesen werden. Gleichsam kritisieren sie den Ort und verdeutlichen, wie unterschiedliche Präsentationen das Verhalten beeinflussen. Im Pariser Kunst-Bahnhof Musée d'Orsay wirken nicht nur die beiden japanischen Besucherinnen eingeschüchtert und allein, auch die Kunst scheint trotz ihrer großen Ausmaße deplaziert. In Fotos ehemaliger Altarbilder scheint sich der Umgang mit ihnen erneut zu sakralisieren, wenn jemand vor Cima de Coneglianos „Sacra Conversatione“ ungläubig zur beschreibenden Texttafel blickt, so wie seinerseits der ungläubige Thomas zu den Wunden Christi, und sich dabei vor dem Bild verbeugt.
Thomas Struth wartet so lange, bis sich ohne irgendwelche Beeinflussung eine Szene ergibt, die in vielfacher Hinsicht mit dem Werk der Malerei korrespondiert und Analogien zu Form, Inhalt oder Farbe zuläßt. Da lösen sich in der Unschärfe einer zu nahe an die Kamera herangerückten Frau die Haare in eben jene Farbpunkte auf, aus denen wiederum ein Seurat-Bild aufgebaut ist; da entspricht die Frisur einer anderen Frau genau dem Porträt von van Gogh dahinter; eine weitere Frau scheint nur kurz zu verharren, bevor sie mit ihrem Kinderwagen gleich in den gemalten Pariser Regen tritt, und alle Menschen auf dem Bild aus der Academia in Venedig scheinen mit der dort gezeigten raumfüllenden Abendmahlsszene Veroneses verbunden.
Selbst im Museum ist der „Besucher an mehreren Orten zugleich: in der Ausstellung der Museumsbilder von Thomas Struth, im abgebildeten Museum in Chicago oder Paris – und im imaginären Raum der dargestellten Malerei. Die fotografisch stillgestellten MuseumsbesucherInnen verstellen den Blick auf die Malerei, so wie die Kunstgeschichte und die Medienexistenz der Bilder auch sonst schon den Kontakt mit den Originalen überlagert. Die Distanz zwischen Foto und Malerei, der alte Streit zwischen den Künsten, ist aufgehoben und erzwingt eine neue Distanzierung in der Frage nach dem seltsam altmodischen Ritual der Kunstrezeption als solcher. Da mögen im schräg gehängten Deckentondo Veroneses die Laster vor Jupiters Blitz aus dem Himmel stürzen, die ebenfalls im Oval und in stark ähnlich farbiger Kleidung am Boden hockende Schulklasse hat nur den Zeigefinger ihrer Lehrerin zu fürchten. Solch doppelter Blick ist dabei allein das Verdienst der Fotografie von Thomas Struth. Aufgrund seiner Ausbildung selbst in der Spannung von Malerei und Fotografie stehend, liefert der ehemalige Schüler des fotorealistischen Malers Gerhard Richter und der Dokumentarfotografen Bernd und Hilla Becher mehr als einen einfachen Text zur Bilderklärung: die Serie ist ein fotografischer Metatext zum Sehenlernen.
Struth hat die Serie der Museumsbilder begonnen, als er sich für seine Porträtaufnahmen bei der alten Malerei nach deren Methoden zur Darstellung von Personen umschaute. Selbst diese Verfahrensweisen kehren wieder: In Struths fast intimem Foto aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum scheint ein farblich genau abgestimmter älterer Herr mit einem Porträt aus der Rembrandt-Zeit ins Gespräch vertieft, in seiner Hamburger Auswahl findet sich ein 1646 erstellter Kupferstich Rembrandts, auf dem der Prediger Jan Cornelius Sylvius seine realistisch auf die Umschrift Schatten werfende Hand aus dem Bildmedaillon streckt – eine nachdrückliche Aufforderung zur Wahrnehmung, wie sie mehr oder weniger alle Kunst seit Jahrhunderten in die Welt ruft. Hajo Schiff
Bis 16.1. in der Hamburger Kunsthalle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen