Multimedia-Szene in Bremen: Raus aus dem Mittelmaß
■ Bremens erstes Multimediazentrum ZMeC in Horn-Lehe hat eröffnet
Josef Hattig hatte es eilig. Und da kam es dem christdemokratischen Wirtschaftssenator gar nicht gelegen, daß die Moderatorin zu Beginn der Pressekonferenz anläßlich der Eröffnung des „Zentrums für Multimedia und Electronic Commerce (ZMeC)“ den anwesenden Journalisten das erste Wort erteilte. Mit dem eher spröden Charme eines Dortmunder Bierbrauers bügelte er die verdutzte Dame kurz ab und hielt ein Statement, um das ihn zu dem Zeitpunkt niemand gebeten hatte.
Stolz sei die Stadt, das ZMeC, einen Firmenpark für momentan 19 Jungunternehmen, in Horn-Lehe nach einer nur wenige Monate dauernden Planungszeit einweihen zu können. Zwar wisse er nicht, sagte Hattig, ob die von den Philosophen verkündete Informationsgesellschaft wirklich kommen werde. Aber zumindest wisse er, daß in diesem Wirtschaftszweig Deutschland generell Nachholbedarf habe und speziell Bremen mal wieder zu spät auf die Datenauto-bahn Richtung Welt-von-morgen eingebogen sei. „Bremen muß raus aus dem Durchschnitt“, rief der Senator mit Inbrunst. Und das gelänge, indem Mittelständler wie die Mieter im Planet ZMeC Nischen der Multimediaindustrie besetzten. Mehr als eine Million Mark hat die Bremer Wirtschaftsförderungsgesellschaft (BfG) in die Infrastruktur von ZMeC investiert, das zuvor der Telekom als Aus- und Fortbildungszentrum diente. Zudem ist geplant, an der Faulenstraße für größere Unternehmen ein weiteres branchenspezifisches Zentrum zu schaffen. Maßnahmen, um Bremens Status des „führenden Softwarestandorts im nordwestdeutschen Raum“, wie Hattig stolz betonte, zu festigen. Sollte der Bedarf groß sein, ist ein weiterer Ausbau des Firmenparks an der Leher Heerstraße möglich. Bei Quadratmeterpreisen von 11 Mark und dem Zugang zum Landesbreitbandnetz, das den Transport großer Datenmengen in kurzer Zeit erlaubt, geht WfG-Geschäftsführer Harald Matys davon aus, daß das ZMeC sich zu einem attraktiven Standort für Multimediafirmen entwickeln wird.
Im Anschluß an Hattigs Auftritt dominierte im Foyer, untermalt von einer Handyklingelsinfonie in d-moll, das gepflegte Kurzsatzspiel der anwesenden Jungunternehmer – darunter auch jene fünf, die zuvor noch nicht in Bremen ansässig waren sowie drei Neuunternehmer. Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran: Der hemdsärmelige Fortschrittsoptimismus war allerorten zugegen. Mehr als 60 Arbeitsplätze sind in dem 5.000 qm großen Komplex angesiedelt. Und „es könnten mehr sein, wenn wir geeignetes Personal fänden. Massenarbeitslosigkeit und wir finden keine Leute: Muß man sich mal vorstellen“, forderte Ralf Mayer von der BfG. Offenbar kommen die Lebensentwürfe der Menschen mit den ständig wechselnden und wachsenden Anforderungen der Industrie nicht mehr mit. Vorstellbar aber auch, daß so mancher Arbeitsloser gar nicht weiß, was man im ZMeC überhaupt tun kann. Beispiel gefällig? Laut Eigenwerbung ist die im ZMeC ansässige Firma TourisLine „ein Management Buy Out mit dem Ziel des Aufbaus eines multilingualen PremiumInternetDienstes, der im Sommer 1998 im World Wide Web mit assoziierten Partnern im Internet als Onlinedienst touristische Informationen und Dienstleistungen als Direktvertriebsmarketingplatt-form anbieten wird.“ Sowas überfordert – arbeitslos oder nicht – selbst Philosophen. Obwohl sie so gern über die Informationsgesellschaft reden. zott
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