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Motorradfahrer machen Lärm und Lärm kommt aber auch von überall. Haben wir ein Recht auf Ruhe?Biker haben Spaßauf Kosten der anderen

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Einer in meiner Facebook-Timeline hat einen Bericht geteilt, in dem sich eine Frau über den Lärm von Motorrädern echauffiert. Es ging um mangelnde Lärmkontrollen, um irgendwelche Deckel auf dem Auspuff, um die Harley Days. Es ging um Rücksichtslosigkeit, um Nichtschlafenkönnen oder Aufgewecktwerden, um sowas halt. Da hat dann ein anderer druntergeschrieben, es wäre wohl an der Zeit, mal wieder die Kiste rauszuholen, und dahinter hat er zwei dicke, angewinkelte Arme gepostet.

Das sind wohl so ungefähr die zwei Positionen, die es gibt. Vielleicht gibt es noch die EgalFraktion oder die Fast-egal-Fraktion, aber die ist klein, glaube ich. Ich weiß nicht genau, wo ich sein soll, was richtig ist. Ich habe keine Affinität zu Autos und schon gar nicht zu Motorrädern, ich halte diese Hobbys für männliches Posertum, aber das wäre ja nicht so schlimm und man will ja tolerant sein, also ich will das sein, und im Allgemeinen, denke ich, sollten wir das alle versuchen, tolerant zu sein.

Wir sollten die anderen in ihrer Andersartigkeit, in ihren Vorlieben und ihrer Freizeitgestaltung hinnehmen. Die Anwohner in der Region im Deister zeigen sich nicht mehr tolerant, sie haben gegen den Motorradverkehr am Wochenende demonstriert, weil sie keine Ruhe haben. Die Motorräder fahren da nicht einfach von A nach B, sie fahren da hin und her und her und hin, weil es nämlich dort so schöne, interessante Fahrstrecken gibt, so kurvig und ein bisschen bergig, da macht das Motorradfahren nämlich Spaß. Und wenn denen das Spaß macht, sollte man das dann nicht o. k. finden, weil man ja, wenn man tolerant ist, anderen Menschen ihren Spaß gönnen sollte?

Die Motorradfahrer finden nämlich, dass sich die Leute nicht so haben sollen, die finden, das sind Spießer, die nur ihre Ruhe haben wollen. In Hannover ist gerade ein ehemaliger Polizist verurteilt worden, weil er auch einer Sache nachgehen wollte, gewaltsamem Sex nämlich, die ihm Freude bereitet hat. Bei solchen Dingen sind sich allerdings die meisten Leute einig, dass das nicht zu tolerieren ist, wenn anderen Leuten Gewalt angetan wird. Wenn sich einer freudig auslebt und andere dabei verletzt oder tötet, dann gilt man nicht als intolerant und spießig, wenn man das nicht toleriert, dann herrscht da Konsens darüber, dass man das ablehnen kann, ohne selbst abgelehnt zu werden.

Wenn man das ganze Wochenende über von Lärm belästigt wird, dann wird einem nur Lärmgewalt angetan, und Lärmgewalt haben die Menschen offensichtlich hinzunehmen, das ist allgemein nicht so gut angesehen, wenn man das nicht toleriert. Das gilt eigentlich gar nicht als Gewalt in unserer Gesellschaft.

Lärm kommt ja von überall. Wenn irgendwelche mir unbekannten Umstände dies erfordern, dann fliegen die Flugzeuge den Flughafen Fuhlsbüttel über mein Haus an und das wird dann ungefähr im Zweiminutentakt auch für mich laut, sehr laut, und ich habe da schon vor ohnmächtiger Wut geweint. Aber ich habe offensichtlich kein Recht auf Ruhe. Ich habe seit vier Jahren eine Baustelle gegenüber meinem Haus, mittlerweile die dritte Baustelle, und das ist von sieben Uhr morgens an auch ziemlich laut.

Gerade jetzt wird etwas gemacht, was sich wie schrilles Schleifen anhört. Ich muss damit leben. Ich sehe ein, dass gebaut werden muss, denn Leute brauchen Wohnungen. Leute brauchen kaum Motorradfahren. Aber sie wollen es. Sie wollen sich dem Vergnügen, ihrer Freizeitgestaltung, hingeben, und fordern ein, dass andere das tolerieren.

Aber es macht, das kann sich ein Motorradfahrer vielleicht schwer vorstellen, nur Spaß, wenn man selbst auf dem Motorrad sitzt und die Geschwindigkeit einen berauscht. Wenn man dagegen im Garten sitzt, fühlt sich das anders an und man wird irgendwie plötzlich intolerant. Schwierig ist das.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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