■ Die anderen: „Moskowskije Nowosti“, „Sewodnja“, „Kommersant“ und „Wremja MN“ zum neuen Ministerpräsidenten Wladimir Putin
Die russische Wochenzeitung „Moskowskije Nowosti“ zum neuen Ministerpräsidenten Wladimir Putin: Putin ist bereit, eine riskante Rolle zu übernehmen. Er ist ein Kandidat, hinter dem Präsident Jelzin steht, der das Vertrauen seines Volkes verloren hat. Ein Kandidat, der den in Verruf geratenen Vertrauten dieses Präsidenten die Unantastbarkeit zugesagt hat. Ein Kandidat mit KGB-Vergangenheit und ohne Unterstützung der Parteien. Ein Kandidat ohne Popularität im Volk. Man braucht kein Wahlkampfexperte zu sein, um zu verstehen, welche gewaltigen Ausgaben erforderlich sind, um einen Mann ohne Gesicht zum Präsidenten zu machen.
„Sewodnja“ (Moskau) zum selben Thema: Der Reformeifer der Regierungen ist mit jedem neuen Ministerpräsidenten ein bisschen geringer geworden und nun logischerweise bei null angelangt. Wieder einmal gibt es bei uns, was in fortschrittlichen Ländern als eine Regierungskrise bezeichnet würde. Bei uns aber ist es nur eine gewöhnliche Rochade. Nichts ist mehr zu hören von Reformen oder Reformkurs. Es ist ja auch gar kein Kurs nötig, denn es wird nur Geld ohne baldige Rückzahlung gebraucht. Kredite aber gibt (der Westen) weiter, auch einem Geheimdienstler, wenn sich die Russen nur bitte nicht zusammen mit ihren Nachbarn in die Luft sprengen.
Und „Kommersant“ (Moskau): Von der Entlassung Stepaschins und der Berufung Putins ist eine härtere Innenpolitik zu erwarten. Im Kreml werden schon seit langer Zeit die härtesten Szenarien erörtert – bis hin zur Verhängung des Ausnahmezustands und der Absage der Präsidentenwahl. Nach Ansicht der Kreml-Strategen passt Putin viel besser als Stepaschin für die Rolle eines Diktators. Wenn man bedenkt, dass es für Putin äußerst schwierig sein wird, bei fairen und freien Wahlen gewählt zu werden, ist es durchaus wahrscheinlich, dass er zu einem ewig amtierenden kommissarischen Präsidenten nach der Einführung eines Ausnahmezustands wird.
Und „Wremja MN“ (Moskau): Erneut ist eine russische Regierung entlassen worden. Nach offizieller Darstellung geschah das, damit Präsident Boris Jelzin seinen Wunschnachfolger vorstellen kann. Der inoffizielle Grund war, dass Sergej Stepaschin die Widersacher des Regimes (Jelzins) nicht hart genug bekämpft haben soll. Vermutlich wurde Stepaschin die Unfähigkeit vorgeworfen, die regionalen Verwaltungschefs unter Kontrolle zu halten, sowie mangelnder Eifer beim Kampf gegen den Moskauer Bürgermeister Luschkow. Die wichtigste politische Priorität ist nicht die kontinuierliche Arbeit des Kabinetts, sondern die Bekämpfung des Gegners.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen