: Moskauer ZK warnt vor Spaltung der KPdSU
■ In offenem Brief wird Radikalreformern mit dem Ausschluß aus der Partei gedroht / Kritik aber auch an Konservativen / Radikale Wirtschaftsreformen sollen am Wochenende beschlossen werden / Stellvertretender Ministerpräsident Abalkin sieht Politbüro entmachtet
Moskau (ap/taz) - Das Zentralkomitee der KPdSU hat in einem offenen Brief an alle Kommunisten des Landes eindringlich vor einer Spaltung der Partei gewarnt und Vertretern des radikalreformerischen Flügels mit einem Parteiausschluß gedroht. Namentlich genannt wird in der am Dienstag abend veröffentlichten Erklärung die Demokratische Plattform um den populären Reformpolitiker Boris Jelzin. Von Gewährsleuten der Demokratischen Plattform war zu erfahren, daß die Spaltung der KPdSU am 22. April erfolgen soll. Gleichzeitig kündigte Michail Gorbatschow Entscheidungen über radikale Wirtschaftsreformen für das Wochenende an.
Kritik des ZK richtete sich auch gegen konservative Kräfte in der KPdSU, denen die Reformen von Parteichef Gorbatschow zu schnell gehen. Der Demokratischen Plattform wirft das ZK in seinem offenen Brief vor, die Partei in einen „formlosen Zusammenschluß mit freien Fraktionen und Gruppierungen“ umwandeln zu wollen und sie somit praktisch zu spalten.
Die Demokratische Plattform ist ein im Januar gegründeter Zusammenschluß von Parteimitgliedern, denen der wirtschaftliche und politische Reformkurs nicht radikal genug vorangetrieben wird. Ihr gehören neben Jelzin auch der Historiker Juri Afanassjew und der Wirtschaftswissenschaftler Gawriil Popow an.
In dem ZK-Schreiben heißt es ferner, man müsse sich überlegen, wie mit den Parteimitgliedern zu verfahren sei, die hartnäckig und zielstrebig die Spaltung der Partei betrieben und innerhalb der KPdSU Fraktionen bildeten, die sozialistische Orientierung des sowjetischen Volkes negierten. Weiter erklärt das ZK, eine Abgrenzung von denen, die gegen die Partei aufträten, sei keine Säuberung und auch keine Unterdrückung Andersdenkender. Zum Programm der Demokratischen Plattform vermerkt das ZK in der Erklärung, die dort zum Ausdruck gebrachte ernste Besorgnis über die Lage in der Gesellschaft und in der Partei sowie das Streben nach rascher Veränderung seien verständlich.
Derweil will Präsident Gorbatschow die Wirtschaftsreformen in der Sowjetunion beschleunigen. Umwälzende Vorschläge der Regierung sollen am Samstag in einer gemeinsamen Erklärung des Präsidialrates und des Föderationsrates erörtert werden, die seit zwei Wochen Gorbatschow zur Seite stehen. Seither ist nach den Worten des stellvertretenden Ministerpräsidenten Leonid Abalkin das Politbüro entmachtet worden. Es treffe jetzt schon keine Entscheidungen mehr. „Entscheidungen können nur noch vom Präsidenten, vom Obersten Sowjet und vom Kongreß der Volksdeputierten getroffen werden. Das sind jetzt die Beschlußgremien.“
In bezug auf die Wirtschaftsreform erklärte der für Wirtschaftspolitik zuständige Abalkin, die Einführung der Marktwirtschaft sei unumgänglich , auch wenn sie auf „mächtigen Widerstand stoßen“ würde.
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