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Moskau: Ein Schritt vorwärts

■ Perestroika–Thesen für die Allunionskonferenz der KPdSU vom ZK einstimmig angenommen

Moskau (rtr/ap/dpa) - Der sowjetische KP–Chef Gorbatschow ist offenbar in Sachen Perestroika ein gutes Stück vorangekommen. Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion hat am Montag einen Entwurf für Reformen gebilligt, der als Grundlage für die am 28.Juni in Moskau beginnende Allunionskonferenz dienen soll. Nach Darstellung des KP–Chefideologen Jegor Ligatschow enthalten die einstimmig vom ZK verabschiedeten Thesen wichtige Vorschläge für eine weitere Wirtschaftsreform, einen Ausbau der Politik der Offenheit und die Entwicklung der Demokratie in der Sowjetunion. Das Dokument soll aber erst in Kürze veröffentlicht und zur Diskussion gestellt werden. Vor dem außenpolitischen Ausschuß des sowjetischen Parlaments erklärte Ligatschow im Anschluß an die ZK–Sitzung, die Thesen bildeten die Basis, von der aus die Allunionskonferenz die Parteiarbeit der vergangenen drei Jahre seit dem Amtsantritt Gorbatschows analysieren werde. Darin seien auch die außenpolitischen Aktivitäten der Partei abgedeckt. Das Dokument konzentriere sich „auf die Entwicklung einer gesunden politischen und moralischen Atmosphäre in der Sowjetunion“, resümierte Ligatschow, der als Hauptkontrahent des Parteichefs Gorbatschow innerhalb des Politbüros gilt. Weitere Einzelheiten des Thesenpapiers wurden bisher nicht bekannt, aus partei–nahen Kreisen in Moskau hieß es jedoch, eine der wichtigsten Empfehlungen des Dokuments beziehe sich auf den Abbau der „Allgegenwart“ der Partei im gesamten Leben der Sowjetmenschen sowie auf den Ausbau der Rolle der Orts– und Regionalsowjets als parlamentarische Entscheidungsgremien. Die Allunionskonferenz gilt als entscheidendes Datum für das Schicksal des Reformkurses. Zur Zeit läuft die Auswahl der Delegierten in den Betrieben und den Parteibezirken. Die sowjetische Presse berichtete dazu wiederholt Fortsetzung auf Seite 2 Zur sowjetischen Kritik an der UdSSR–Außenpolitik von Stalin bis Breschnew: Bericht auf Seite 7 Gastkommentar auf Seite 4 über Erfolge der Gegner der Perestroika, die vorwiegend in der Partei–Bürokratie sitzen, ihre Kandidaten durchzudrücken. Michail Gorbatschow selbst zeigte sich in einem am Sonntag in der Washington Post veröffentlichten Interview zuversichtlich, seine Reformpolitik fortsetzen zu können. Der Verlauf des Öffnungs– und Demokratisierungs– Prozesses gebe ihm die Gewißheit, daß seine Politik „da erfolgreich sein wird, wo Nikita Chruschtschow gescheitert ist.“ Spekulationen über Unstimmigkeiten im Politbüro wies er zurück: „Alle Führungsmitglieder haben sich zutiefst auf die Perest roika festgelegt und nehmen aktiv an der Formulierung und Verwirklichung des Programms teil.“ Gorbatschow bekräftigte sein Interesse an dem Abkommen mit den USA über die Halbierung der Strategischen Waffenbestände (START) und sagte, er sei darüber hinaus der Ansicht, daß ein strategisches Gleichgewicht auch ganz ohne Atomwaffen aufrechterhalten werden könne. Die Auffassung von Politikern aus dem NATO–Bereich sei falsch, ein Rest an Atomwaffen müsse aus Abschrekkungsgründen in Europa verbleiben. Weil der Dialog mit den USA „lebensnotwendig“ sei, habe er die Hoffnung, bei dem Gipfeltreffen mit Reagan Ende Mai ein „neues Niveau des Zwiegesprächs und der Zusammenarbeit“ erreichen zu können. Ebenfalls am Montag beschloß der gemeinsame Ausschuß beider Häuser des sowjetischen Parlaments, den amerikanisch–sowjetischen Vertrag über die Vernichtung der atomaren Mittelstreckenraketen (INF) dem Präsidium des Obersten Sowjets zur Ratifizierung vorzulegen. Das Abkommen war im Dezember in Washington unterzeichnet worden und liegt zur Zeit auch dem US–Senat zur Erörterung vor.

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