piwik no script img

Moskau: Der Oberste Sowjet streckt die Waffen

■ Präsident Boris Jelzin setzt sich durch Verhandlungen mit Parlamentsabgeordneten

Moskau (taz) – Boris Jelzin hat sich durchgesetzt: Nach einem fünftägigen Nervenkrieg gaben die bewaffneten Gegner des Präsidenten nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax 64 automatische Waffen an die Sicherheitsbehörden ab. Gleichzeitig traf sich ein Teil der Abgeordneten des von Jelzin aufgelösten Parlaments gegen den Willen von Parlamentschef Chasbulatow zu Gesprächen mit Vertretern Jelzins. Am Nachmittag demonstrierten rund 15.000 Menschen für Jelzins Entscheidung, das Parlament aufzulösen. Vor dem Weißen Haus, dem Parlamentsgebäude, versammelten sich zwischen fünf- und zehntausend Gegner des Präsidenten.

Zugleich zeigten sich Jelzin und seine Mitarbeiter aber auch kompromißbereit. So schloß Vizeministerpräsident Schachrai nach Verhandlungen mit Vertretern von rund 60 russischen Regionen in St. Petersburg nicht mehr aus, daß die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gleichzeitig stattfinden könnten. Noch einen Schritt weiter ging der Jelzin-Vertraute Michail Poltoranin. Er vertrat die Ansicht, daß der Termin der Parlamentswahl von Dezember auf März verschoben werden könnte. Am selben Tag sollte dann auch der Präsident gewählt werden.

Noch am Samstag hatte es dagegen nach einer Eskalation des Machtkampfes ausgesehen. Zwar erwies sich eine von russischen Agenturen verbreitete Meldung über ein Ultimatum, das Jelzin seinen bewaffneten Gegnern gesetzt hatte, als falsch. Doch gelang es den Volksdeputierten, rund 700 Mann für eine paramilitärische Einheit zu organisieren. Die Polizisten, die das Parlamentsgebäude umstellt haben, ließen keine Demonstranten mehr auf den Platz vor dem Weißen Haus.

Doch während am Wochenende immer mehr Abgeordnete den Absprung wagten – für sie wurde vom Arbeitsministerium sogar ein eigener Arbeitsvermittlungsdienst eingerichtet –, ließ sich Ruslan Chasbulatow nicht beirren: Vor Journalisten kündigte er an, schlimmstenfalls würde er ein Jahr im Parlamentsgebäude ausharren. Am Samstag hatte er dagegen gesagt, das Parlament in eine andere Stadt verlegen zu wollen. Seite 8

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen