: Morpho-gähnetische Felder?
Was das Gähnen anbelangt, so hat Rupert Sheldrake mit seinen morphogenetischen Feldern sicherlich recht. Den Beweis dafür kann der geschätzte Leser jetzt selber führen. Ihm sei gesagt, daß ich, da ich diesen Satz schreibe, gähne. Visualisier dies. OK. Gähnst Du jetzt auch? Noch nicht? Na warte!
Was ist das Gähnen? Ein durch Ermüdung des Nervensystems und Anreicherung von Kohlendioxyd im Blut hervorgerufenes tiefes Einatmen, bei dem der Mund bzw. das Maul, Nase sowie Stimmritze weit geöffnet und die Gaumensegel gehoben sind. Offenbar gähnen alle Tiere, die Kiefer haben. Sowohl beim Tier wie auch beim Menschen ist das Gähnen eigentümlicherweise ansteckend. Wie das ?
Entgegen landläufiger Vorurteile reicht schlechte, also sauerstoffarme Luft nicht aus, um einen Gähnreiz hervorzurufen. Eine experimentelle Veränderung des CO2O2-Gehaltes der Luft blieb ohne Einfluß auf die Gähnhäufigkeit. Außerdem fehlt dem Menschen die Fähigkeit, durch die Nase zu gähnen. Also muß etwas anderes dahinterstecken.
Mehrere Forscher sehen im Gähnen einen Aufruf zum kollektiven Schlafengehen. So könnten Ruhe- und Aktivitätszeiten der einzelnen Gattungen korreliert werden, was wiederum ein Evolutionsvorteil wäre, sagen sie. Vom Stamm der Baikiri in Brasilien ist uns eine andere gruppensynchronisierende Funktion des Gähnens überliefert: „Wurde ihnen das Geplauder zuviel, so gähnten alle aufrichtig und ohne die Hand vor den Mund zu halten. Daß der wohltuende Reflex auch hier ansteckte, ließ sich nicht verkennen. Denn einer nach dem anderen stand auf und ging.“ In der Hoffnung, daß die geschätzte Leserschaft nun zwar schon gegähnt hat, aber trotzdem noch weiterliest, sei mir eine Frage erlaubt. Warum hält der Mensch beim Gähnen die Hand vor den Mund? Ist es ein überkommender Reflex aus vergangenen magischen Zeiten, in denen einem der Buhl böse Geister in den geöffneten Schlund zaubern konnte? Angst vor dem eigenen ekelhaften Mundgeruch? Ausdruck von Peinlichkeit, dem Partner potentielle Langeweile zu dokumentieren? Oder gar Ausdruck einer instinktiven Urangst, daß dieser Mund mit seinen Zähnen, wie in längst vergangenen Zeiten üblich, zuzubeißen droht? Immerhin schlug man noch im Mittelalter nach jedem Gähnen ein Kreuzzeichen vor dem Mund.
Das Gähnen ist ein so mächtiger Vorgang, daß selbst Gelähmte, die sonst keiner willkürlichen Mundbewegung mächtig sind, beim Gähnen die Zähne auseinanderreißen. Dich hat's inzwischen hoffentlich auch erwischt. Wenn noch nicht, dann tu's jetzt willkürlich. Na also, es klappt doch. Das Verblüffende beim Gähnen ist, daß man es jederzeit hervorrufen, aber auch unterdrücken kann. Wie Sex. Werner Pieper
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