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Moralischer Imperativ –betr.: „Straffreiheit für AntifaschistInnen?“, taz vom 14.5.94

[...] Entgegen Nowakowskis Vorwurf unterschlug der Aufruf zur antifaschistischen Demonstration diese Diskussion keineswegs, sondern betont gerade die Notwendigkeit der kritischen Auseinandersetzung über Form und Inhalt antifaschistischer Aktionen. [...] Die Forderung nach unbedingter Solidarität mit den gefangenen AntifaschistInnen mit dem Verweis auf den deutschen Rechtsstaat abzuschmettern kommt darüber hinaus implizit der Vorverurteilung der Angeklagten noch vor Prozeßbeginn gleich. Auch für die taz sollte gelten, daß momentan überhaupt nichts klar ist im „Fall Kaindl“.

Wer an den Verhaftungen im „Fall Kaindl“ nur die „Rechtslastigkeit“ von Polizei und Justiz kritisiert, übersieht den eigentlichen Skandal: Die formal postulierte Gleichheit des bürgerlichen Rechts als radikale Gleichgültigkeit gegenüber den gesellschaftlichen Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnissen. Antifaschistische Selbstschutzaktionen und Naziterror werden vom bürgerlichen Recht gleichermaßen unter der Leerformel „Gewalt“ subsumiert. Diese Rechtsgleichheit zielt notwendigerweise als besondere Gewalt gegen alle, die faschistischen Terror und die ihn hervorbringenden gesellschaftlichen Verhältnisse bekämpfen. Solange die deutsche Justiz auf ihr reformistisches Korrektiv zählen kann, das ihr diese Ungleichbehandlung im Namen der illusorischen Allgemeinheit und Gleichheit vorrechnet, ist alles in bester demokratischer Ordnung. Solange der systematische Zusammenhang von prügelnden und mordenden FaschistInnenhorden und bürgerlicher Vergesellschaftung ausgeblendet bleibt, wird sich an dieser Ordnung nichts ändern. [...] Der Debattier-Klub

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