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Montagsinterview"Der Islam braucht keine Kirche"

Lydia Nofal ist zum Islam konvertiert. Heute engagiert sie sich für den Verein Inssan, der in Berlin-Charlottenburg eine Moschee bauen will.

Interview von Alke Wierth

taz: Frau Nofal, was sind Sie eigentlich für eine komische Konvertitin? Statt ein Kopftuch zu tragen, waren Sie vor unserem Termin extra beim Friseur. Sie entsprechen nicht dem Konvertiten-Klischee.

Lydia Nofal

Konvertiten zum Islam, so lautet das gängige Klischee, sind strenger als "geborene" Muslime. Lydia Nofal ist das Gegenbeispiel. Die 40-Jährige Mutter von drei Kindern studierte Politologie am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin und bekam in Großbritannien ihren ersten Kontakt zu Muslimen. 1991 konvertierte sie zum Islam. Seitdem engagiert sie sich für den Verein Inssan, der nach zahlreicher Kritik mit seinem Moscheebauprojekt gerade von Neukölln nach Charlottenburg umgezogen ist. Ihr Plädoyer: Transparenz und ein Bekenntnis zu deutschen Gesetzen und zum Grundgesetz. Ihre Kindheit erlebte Lydia Nofal im erzkatholischen Sauerland. Den Glauben an Gott hat sie darüber nicht verloren.

Lydia Nofal: Ich kenne viele Konvertitinnen, die kein Kopftuch tragen. Ich kenne auch Konvertiten, die gar nicht auffallen in ihrem Umfeld. Wer es nicht so vor sich her trägt, dass er Muslim ist, wird gar nicht wahrgenommen, wenn von Konvertiten die Rede ist. Ich passe vielleicht nicht in das gängige Klischee, aber ich würde behaupten, dass ich der Normalfall bin.

Was meinen Sie mit "Normalfall"?

Ich meine damit, dass wir den Islam annehmen, ohne die Brücken zu dieser, zur deutschen oder europäischen Kultur abzubrechen. Ich empfinde diese Kultur weiterhin als meine. Und ich glaube, dass das die Mehrheit der Konvertiten auch tut.

Wie ist denn Ihre Herkunftskultur? Woher kommen Sie?

Ich komme aus einem kleinem Dorf im Sauerland, in NRW. Ein streng katholisches und sehr konservatives Dorf. Die Ecke ist schwärzer als Bayern: In die Kirche ging man dreimal in der Woche. Die SPD trat bei den Kommunalwahlen nicht einmal an.

Haben Sie damals gegen das katholische und konservative Milieu rebelliert?

Anfangs nicht, ich war auch in der Kirche sehr aktiv. Ich habe Bibellesungen gemacht. Ich kann mich erinnern, wie ich aus den Paulus-Briefen gelesen habe und dabei dachte, was liest du da eigentlich für ein Zeug? Mit 17 bin ich aus der Kirche ausgetreten und habe mich politisch eher links orientiert. Ich war taz-Leserin. Jetzt bin ich in der SPD.

Später sind Sie nach Berlin gekommen und haben am Otto-Suhr-Institut Politik der Freien Universität studiert. Wie kommt man denn nach einer katholischen Jugend und als OSI-Studentin zum Islam?

Das war eine ganz lange Entwicklung. 1987 war ich ein Jahr lang in England. Dort habe ich zum ersten Mal Kontakt zu Muslimen gehabt. Ich habe mir eine Moschee angeschaut - ich war auch in einem buddhistischen Zentrum, ich wollte einfach möglichst viel Kulturen und Religionen kennen lernen. Aber mit den Menschen in der Moschee hatte ich den intensivsten Kontakt. Wir haben viel diskutiert. Das hat das Bild vom Islam, das ich bis dahin hatte, verändert.

Warum brauchten Sie eine andere Religion? Hatten Sie nicht die Nase voll davon?

Was heißt brauchen - braucht man das? Man kann natürlich auch als Agnostiker durch die Welt gehen. Aber das ist eigentlich schade, weil man vieles dann gar nicht in der Lage ist wahrzunehmen, finde ich.

Was denn zum Beispiel?

Das finde ich sehr schwierig, in Worte zu fassen. Die ganze sprituelle Ebene ist sehr schwer wahrzunehmen, wenn man nicht an Gott glaubt. Im Koran ist die Rede von den Zeichen Gottes, man erkennt also nicht Gott selbst, aber man erkennt die Zeichen Gottes.

Aber wenn ich an Gott glaube, die Zeichen Gottes erkennen möchte - brauche ich dann eine Religion, die mir Regeln vorschreibt? Die mir beispielsweise sagt: Du darfst jetzt bei Tageslicht nicht essen?

Es geht ja nicht darum, ob ich eine Religion brauche. Ich finde einfach, wenn man an Gott glaubt, dann weitet das den Blick. Und die Regeln sind ja nichts weiter als eine Hilfe, um Gott näher zu kommen. Das Fasten hilft uns zum Beispiel, uns von den alltäglichen Dingen etwas zu lösen und uns mehr auf das Wesentliche im Leben zu besinnen.

Man hat bei vielen gläubigen Menschen nicht das Gefühl, dass der Glaube ihren Blick weitet. Unabhängig von ihrer Religion.

Das mag sein.

Bekommen Sie nie von anderen Muslimen vorgeworfen, dass Sie kein Kopftuch tragen?

Nein. Das habe ich nie erlebt. Das ist auch so ein Bild. Ich gehe in die Moscheen hinein, und da guckt mich keiner schief an.

Haben Sie als Deutsche da ein bisschen Narrenfreiheit?

Nein. Das hat damit zu tun, dass die Muslime sich ein bisschen weiterentwickelt haben. Vor 20 Jahren, als man das gar nicht so kannte, dass Deutsche und Frauen ohne Kopftuch in die Moscheen gehen, hätte das vielleicht irgendwie Beachtung gefunden. Aber heute ist es normal, dass Frauen ohne Kopftuch in die Moschee gehen.

Wie kam es nach Ihren ersten Kontakten mit Muslimen in England zur Konversion?

Ich habe seit meinem Aufenthalt in England immer in einem sehr multikulturellen und multireligiösen Umfeld gelebt. Und wenn man in so einem Umfeld lebt, dann ist einem das Christentum nicht mehr automatisch näher als der Islam oder irgendeine andere Religion. Ich fand im Christentum so einige Sachen nicht nachvollziehbar, nicht annehmbar. Dass Jesus auf die Welt kam, um die Menschen von der Erbsünde zu erlösen - das entspricht nicht meinem Menschenbild. Im Islam ist es anders, im Judentum auch: Dort wird der Mensch frei geboren, er muss nicht erlöst werden. Er ist als freier Mensch voll verantwortlich für seine Taten. Im Islam ist dadurch, dass zwischen dem Menschen und Gott keine Kirche steht, der Einzelne viel freier. Der Papst hat in seiner Regensburger Rede eine Verbindung zwischen griechischer Vernunft und katholischer Kirche hergestellt. Ich finde nicht, dass der katholische Glaube mit Vernunft vereinbar ist. Ich finde aber, dass Islam mit der Vernunft vereinbar ist. Um das zu begreifen, muss man aber erst mal zu den wirklichen religiösen Aussagen vordringen. Und sich damit auseinandersetzen.

Jetzt entsprechen Sie doch einem Konvertiten-Klischee: Man sagt, dass die sich intensiver mit der Religion befassen als die, die in sie hineingeboren wurden. Erleben Sie auch Momente, in denen Sie die "geborenen" Muslime als starr, unbeweglich, an traditionellen Denkweisen festhaltend erleben? Nervt Sie das manchmal?

Ja. Aber ich kenne das nicht nur aus diesem Umfeld. Wenn ich mich als Mutter darum bemühe, mehr Sportangebote an die Schule zu holen, dann sehe ich, dass da Verantwortliche genauso wenig in der Lage sind, sich zu ändern, etwas anders zu machen, als sie es eben immer gemacht haben. Ich kenne Menschen, die zum Islam konvertiert sind, und wenn sie dann sehen, wie manche Muslime im Alltag sind, wie sie leben, haben sie ein Problem damit. Aber mein Glaube ist nicht abhängig von dem Verhalten der anderen Muslime. Selbst wenn alle Muslime Terroristen wären, das wäre natürlich furchtbar, aber es würde trotzdem meinen Glauben nicht berühren. Der hat nichts mit anderen Menschen, sondern mit mir und Gott zu tun. Da bin ich nicht beeinflussbar. Was mich wirklich mehr nervt, ist die Ausgrenzung von Muslimen und ihren Organisationen.

Sie vertreten den Verein Inssan im Berliner Islamforum. Neben diesem runden Tisch auf Landesebene gibt es auch den Islamgipfel des Bundes - von einer Ausgrenzung der Muslime kann keine Rede sein.

Das Islamforum ist eine gute Einrichtung, sie ist sehr konstruktiv und bringt wirklich etwas. Vom Islamgipfel bei Schäuble höre ich anderes. Und es gibt trotz solcher Einrichtungen immer noch eine große Angst davor, mit muslimischen Organisationen zu kooperieren. Ich bin aber der Meinung, dass es ganz wichtig ist in diesem Land, dass man ein enges Netzwerk hat zwischen muslimischen Organisationen und Einrichtungen der Mehrheitsgesellschaft. Dass man viele persönliche Kontakte hat, dass man vieles gemeinsam macht, dass man gemeinsame Ziele definiert und so ein starkes zivilgesellschaftliches Netz aufbaut. Das geht nur, wenn man die Muslime einbezieht, wenn man ihre Aktivitäten fördert, und davor haben offenbar alle Angst. Uns als Verein hat zum Beispiel noch nie jemand vorgeworfen, wir seien extremistisch oder würden schlechte Arbeit machen. Trotzdem werden wir angegriffen, und zwar wegen der Kontakte, die wir zu anderen muslimischen Einrichtungen haben.

Ihr Verein Inssan hat ja für viele Aktionen - wie zum Beispiel die gegen Zwangsheirat - auch immer viel Lob bekommen. In die Kritik sind Sie geraten, weil Sie beim Kauf des Grundstücks für Ihren geplanten Moscheebau in Neukölln mit einem Mann zusammengearbeitet haben, der im letzten Verfassungsschutzbericht als Repräsentant der Muslimbrüder auftaucht. Ist denn Ihr Verein extremistisch?

Außer der staatlich-türkischen Organisation Ditib laufen wir doch eigentlich alle unter "islamistisch", oder? Ganz grundsätzlich: Ich bin der Meinung, man kann Integration in Deutschland nicht schaffen, wenn man nicht muslimische Organisationen einbezieht. Und wenn andere sich nicht trauen, die einzubeziehen, dann machen wir das trotzdem. Es gibt ja auch in der muslimischen Community jede Menge Bewegung, es gibt Öffnung, es gibt Kontroversen, und ich finde, man muss diese Bewegung auch nutzen. Man muss die Dinge steuern, man kann sie nicht boykottieren. Diesen Boykott finde ich fatal. Wir hätten als Verein unseren Kram auch ganz isoliert machen können, als kleiner, letztendlich unwichtiger Verein ohne irgendwelche Relevanz für die Masse der religiösen Muslime. Das wollten wir aber nicht.

Sie würden mit allen zusammenarbeiten?

Nicht mit allen.

Es gibt also Gruppen, mit denen Sie nicht zusammenarbeiten würden? Welche denn?

Mit Gruppen, die nicht so ein offenes Islamverständnis haben wie wir. Wir haben für unsere Kooperationen mit anderen auch Bedingungen, das ist klar. Das fängt damit an, dass man hiesige Gesetze akzeptiert, dass man das Grundgesetz akzeptiert. Wobei es vielleicht immer einzelne Stimmen in einem Verein gibt, die damit nicht daccord gehen. Aber von einer einzelnen Stimme in einem großen Verband machen wir das nicht abhängig. Uns ist wichtig, dass die Linie des Verbandes klar definiert wird. Es muss klar sein, dass wir Deutsche sind, dass wir uns an der hiesigen Lebenswirklichkeit, der hiesigen Kultur, den hiesigen Problemen orientieren bei unserer Arbeit.

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