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Montagsinterview"Zuhause erzeugt das Fremde Unmut"

Der Berliner Schriftsteller Sherko Fatah, Sohn einer Ostdeutschen und eines irakischen Kurden, beschreibt in seinem neuen Roman "Das dunkle Schiff" die Flucht des Kurden Kerim aus einem Islamistencamp in den kurdischen Bergen nach Berlin. Damit ist Fatah für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. INTERVIEW ALKE WIERTH

taz: Herr Fatah, drei Ihrer bislang vier Bücher spielen teilweise in Kurdistan, im Nordirak. Haben Sie selbst dort gelebt?

Sherko Fatah

Geboren am 28. November 1964 in Ostberlin, 1975 nach Westberlin übergesiedelt. Sherko Fatah hat Kunstgeschichte und Philosophie studiert. Er lebt heute in Kreuzberg.

Geschrieben hat Sherko Fatah schon während seines Studiums. Sein erster Roman, "Im Grenzland", der die Geschichte eines Schmugglers in den Bergen zwischen Iran, Irak und der Türkei erzählt, erschien 2001. 2002 folgte "Donnie", eine vorsichtige Erzählung über einen früheren Fremdenlegionär. In "Onkelchen" (2004) versucht der Berliner Michael die Fluchtgeschichte eines alten Mannes, den er auf merkwürdige Weise kennengelernt hat, nachzuerleben. Auch "Das dunkle Schiff" erzählt die Geschichte einer Flucht, die in Berlin endet, wo der Protagonist von den Ereignissen der Vergangenheit eingeholt wird.

Gewürdigt wurde bereits Fatahs erster Roman mit dem "Aspekte"-Literaturpreis 2001. 2002 erhielt er den Sonderpreis des Deutschen Kritikerpreises für das bemerkenswerteste Prosa-Debüt, 2007 den Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil. Mit "Das dunkle Schiff" ist der 42-Jährige neben vier anderen AutorInnen, darunter Feridun Zaimoglu und Ulrich Peltzer, für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Der mit insgesamt 45.000 Euro dotierte Preis wird am 13. März verliehen.

Sherko Fatah: Ich war schon während meiner Kindheit im Nordirak, auch für lange Zeiträume. Mein Vater stammt von dort. Aber wir sind immer zurückgekehrt - in die DDR, hieß das damals für uns noch. Mein Vater durfte ein- und wieder ausreisen, weil er kein DDR-Bürger war. Er lebt heute wieder im Nordirak, ich besuche ihn oft.

Wie kam Ihr Vater in die DDR?

Als Student. Die DDR hatte damals Stipendien ausgeschrieben extra für Kurden. Mein Vater hat meine Mutter kennengelernt, eine Familie gegründet und ist geblieben. Er arbeitete als Übersetzer für die Nachrichtenagentur ADN. Wir hatten im Vergleich zu den normalen DDR-Bürgern ein relativ freies Leben, auch ein internationales, weil die Freunde von ihm ja auch kommen und gehen durften. Es ging bei uns relativ wenig abgeschottet zu, wir haben Westfernsehen geschaut, das war ganz selbstverständlich. Das war nicht so diese drückende DDR-Stimmung. Die habe ich durch meine Schulkameraden erfahren: Sie durften wenig und wussten dadurch auch wenig.

Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben von Ihren damaligen Reisen in den Nordirak?

Zum einen das freundliche, schöne Leben dort: Für mich als DDR-Kind war es etwas ganz Besonderes, in diese orientalische Welt zu kommen. Andererseits war da auch die ständig in der Luft liegende Gewalt. Es gab gefährliche Zonen, die man nicht betreten durfte. Man plante zum Beispiel eine Reise in die Berge, die man dann nicht machen konnte, weil gerade Kampfhandlungen stattfanden. Mitgenommen habe ich auch meine Liebe zu dieser Landschaft, die nicht klassisch schön ist, eher karg, und mich darum gerade fasziniert.

Hat das Ihr Bild von Ihrem Vater verändert, ihn in diesem gefährlichen Gebiet zu sehen, aus dem er stammt?

Es hat dem eine Dimension hinzugefügt. Wenn ich immer nur seine Erzählungen gekannt hätte oder die Geschichten von meinem Onkel, der in den Bergen war und kämpfte: Das wäre wirklich nur Karl May gewesen. So aber bekam es eine reale Dimension. Und es hat dieses Leben zwischen den Kulturen, was ja auch ihn betraf, deutlich gemacht. Mein Vater hatte sehr intensiv Deutsch gelernt, er wirkte wie ein Teil der Gesellschaft, in der wir lebten. Aber das war natürlich eine Illusion, denn letztlich war er aus einer anderen Welt. Die beiden Welten kamen dann für mich zusammen.

Ihre Familie lebte ab 1975 in Westberlin. Als die Mauer fiel und es zu rassistischen Ausschreitungen kam, hat Sie das überrascht? Oder knüpfte das an Erfahrungen an, die Sie oder Ihr Vater in der DDR gemacht hatten?

Das hat mich in dieser Heftigkeit schon überrascht. Dass es eine gewisse untergründige Ausländerfeindlichkeit gab, dass wusste man in der DDR, dass wussten die Leute dort auch von sich selbst. Die richtete sich etwa gegen Polen, während die Ausländer, die ich kannte, Sudanesen, Angolaner beziehungsweise deren Kinder, eher als Exoten galten und nicht unter einer flächendeckenden Fremdenfeindlichkeit litten. Dass es so heftig hervorbrach, muss zu tun gehabt haben mit dem Zusammenbruch der alten Ordnung. Was ich von der DDR kannte, hatte nicht diese Züge. Das war nicht so gewalttätig und gefährlich.

Sie haben die DDR als Elfjähriger verlassen und wurden vom kleinen Ostberliner Exoten zu einem der vielen Weddinger Bengels mit Migrationshintergrund.

Ja, das war auffällig. Es gab dort mehrere wie mich, Türken, Araber, Palästinenser. Das Interessante daran war, dass ich mich denen irgendwie nahe fühlte - und auch wieder nicht. Viele von ihnen konnten nur sehr schlecht Deutsch, und da meine Muttersprache Deutsch war, war die Verbindung zu ihnen gestört.

Wurden Sie rumgeschubst von den türkischen und arabischen Jungs?

Man musste durch eine gewisse Hierarchie gehen. Es gab viele Schlägereien in der Schule. Auch mit Deutschen.

Weil die auch gedacht haben, dass Sie keiner von ihnen sind?

Zumindest nicht selbstverständlich.

Wenn Sie heute durch Kreuzberg gehen, wo Sie leben: Wofür werden Sie gehalten?

Schwer zu sagen. Ich werde manchmal auf Türkisch angesprochen, aber ich merke bei den Türken eine gewisse Zurückhaltung, irgendwas sehen sie an mir, was sie nicht an sich erinnert. Ich werde öfter von Arabern angesprochen, aber das kann auch daran liegen, dass viele mich kennen. Wenn ich im Irak, in Kurdistan bin, erkennt man mich sofort als Ausländer. Es gibt überhaupt keine Chance, sich unters Volk zu mischen.

Woran liegt das?

Das hab ich mich auch gefragt! Meine Verwandten sagen, es ist der Rucksack, es ist der Gang, es ist irgendwas, was sie wahrnehmen. Es ist eben eine ganz andere Welt, und ich habe nie das Gefühl, da integriert zu sein.

Welche Sprachen sprechen Sie außer Deutsch? Arabisch? Kurdisch?

Arabisch spreche ich nicht. Als Kind habe ich angefangen, Kurdisch zu lernen, es hat sich aber ein bisschen verloren. Ich muss die Sprache immer wieder neu aufnehmen, immer wieder ankurbeln. Ich käme nie auf den Gedanken, in einer anderen Sprache als Deutsch zu schreiben. Im Kurdischen fühle ich mich wie ein Tourist. Aber es ist faszinierend, eng verbunden zu sein mit einem Land, das einem trotzdem fremd bleibt. Und ich bin sehr eng damit verbunden, wenn ich dort bin, bin ich bei einem Teil meiner Familie. Ich habe Zugang zu Orten und zu Menschen, die andere nicht finden würden. Es ist ja auch viel Fassade dort, wie in allen nahöstlichen Ländern, und da komme ich schon hinter. Andererseits bleibt immer dieses Oberflächengefühl. Es ist nie wirklich nah.

Liest man Ihre Bücher, spürt man, dass Sie das, was Sie beschreiben, sehr gut kennen. Gleichzeitig bleibt man auf Distanz zu Ihren Figuren. Man wird nicht überredet, Sympathie für sie zu empfinden.

Das ist gut! Den Effekt will ich erzeugen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das etwas mit meiner Herkunft zu tun hat. Es ist auch für mich nicht mehr ganz leicht auseinanderzuhalten, was literarisches Projekt und was mein eigenes biografisches ist. Das mischt sich sehr.

Distanz behält man nicht nur zu dem Kurden Kerim, der Hauptfigur in Ihrem neuen Roman, sondern auch zu dem Deutschen Michael aus Ihrem älteren Buch "Onkelchen". Haben Sie zur deutschen Gesellschaft die gleiche Distanz, bleiben Sie da auch Außenseiter?

Die gleiche vielleicht nicht, aber eine gewisse Distanz ist da. Ich will so erzählen, dass es nicht restlos aufgeht, weil ich das nicht als meine Lebenserfahrung bezeichnen würde, dass etwas restlos aufgeht. Ich habe halt Fragen. Es gibt Dinge, die Menschen tun, die werde ich nie verstehen. Deshalb will ich sie aber trotzdem beschreiben.

Sowohl in "Onkelchen" als auch in Ihrem neuen Buch geht es um Fluchtgeschichten, die nach Berlin führen. Wenn man als BerlinerIn Ihre Bücher liest, zuckt man ein bisschen zusammen, man duckt sich beinahe, weil der Rest der Welt so mächtig nach Berlin hereinkommt. Es entsteht das Gefühl einer Verantwortung, die nicht wahrgenommen wird. Niemand geht hin und fragt, was los ist und wie es den Leuten geht.

Ja, das ist in der Tat so. Man lebt so nebeneinander her, sehr stark separiert. Der Versuch, zu verstehen, was man denn damit eigentlich für eine Situation hat, der wird jetzt erst gemacht. Das ist für mich vielleicht leichter gewesen, das zu sehen, weil ich dem öfter begegnet bin oder aufmerksamer war darauf, weil ich ja selbst ein wenig davon betroffen war. Wobei es ja schon erstaunlich ist, wie oft man seinen Hintergrund erklären muss, wie wenig die Leute wissen über den Nahen Osten, über alles, was außerhalb der Grenzen ist. Das fasziniert mich, wie wenig der Bewusstseinsstand dem entspricht, was gesellschaftlich Fakt ist.

Ihre Figur des Michael hat eine interessante Methode, etwas über die Flüchtlinge zu erfahren, die er kennengelernt hat. Er interessiert sich im Prinzip überhaupt nicht für die politischen Hintergründe. Stattdessen geht er los und versucht, die Fluchtgeschichte nachzuerleben - bis dahin, dass er sich einmauern lässt.

Ja, das ist die Möglichkeit, die die Fantasie dem Schriftsteller gibt - das entspricht natürlich nicht der Forderung an den normalen Menschen. Michael ist eine Art Heiliger, der versucht, in diesem Mitleid eine Erkenntnis zu bekommen, was Leid ist. Das ist eine Konstruktion, die fast schon etwas mit einem religiösen Motiv zu tun hat, denn er tut dies ja, um der Geschichte, der er auf der Spur ist, noch mehr Erkenntnis abzuringen. Das ist vielleicht nicht der empfehlenswerte Weg, er ist ein bisschen abenteuerlich. In der Realität gibt es eher einen Mangel an Interesse. Das werfe ich niemandem vor, aber ich stelle es fest. Im Urlaub, wenn man in der Ferne ist, interessiert man sich durchaus für die Kultur der anderen. Aber sind sie hier bei uns, erlahmt das Interesse sehr schnell.

Warum?

Vielleicht, weil es keinen Glanz hat in der eigenen Welt, nicht den Glanz des Fernen und Abenteuerlichen. Es ist doch offensichtlich, dass es in Deutschland ein ungeheures Interesse daran gibt, andere Kulturen kennenzulernen. Es wird hier so viel an Literatur übersetzt wie in keinem anderen Land. Wir kennen die indonesische Literatur besser als die Indonesier, wir sind Reiseweltmeister und all das. Aber die Kulturen, die hier versammelt sind, und das sind eine Menge, die sind nicht interessant. Das hat wahrscheinlich etwas mit Eskapismus zu tun, mit der Tatsache, dass man es toll findet, wenn man selbst in der Fremde ein Abenteuer erlebt, aber nicht so toll, wenn einem die Fremde zu Hause im Supermarkt begegnet. Dann erzeugt es doch eher Unmut. Und dann sehen sie auch noch so anders aus, dann kommen die Kopftücher dazu, dann kommt all das dazu, was sich der westlichen Kultur ja auch ein bisschen verweigert, was oll und unattraktiv wirkt und kein Flair hat. Dann sind die eigenen Ressentiments plötzlich wichtig.

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