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Montagsinterview"Ich habe keine Berührungsängste"

am Dienstag legt sie den öffentlichen Dienst lahm. Dann ruft Susanne Stumpenhusen alle Landesbediensteten zur Demonstration vors Rote Rathaus. Die Ver.di-Chefin kämpft für mehr Kohle, diesmal im öffentlichen Dienst. Gleichzeitig lobt sie Finanzsenator Sarrazin

"Ich setze mich durch und versuche, Kolleginnen zu ermutigen, das Gleiche zu tun": Susanne Stumpenhusen auf dem Balkon der Ver.di-Zentrale an der Schillingbrücke Bild: Bernd Hartung

taz: Frau Stumpenhusen, können Sie das Wort Solidarpakt noch hören?

Susanne Stumpenhusen: Nein. Wir haben das auch nie so bezeichnet.

Aber Klaus Wowereit. Und mit dem haben Sie 2003 den Solidarpakt ausgehandelt. Jetzt wollen Sie frecherweise trotzdem mehr Geld für die Mitarbeiter.

zur Person

Für den nächsten Arbeitskampf ist Susanne Stumpenhusen gut präpariert. Button, Ver.di-Halstuch und orange Jacke liegen griffbereit im Büro der Ver.di-Landeschefin.Am Dienstag könnte sie die gut gebrauchen. Dann ruft die Dienstleistungsgewerkschaft alle Beschäftigten in den Senatsverwaltungen, Bezirksämtern, Erzieherinnen in den Kitas und Schulhorten einschließlich der Lehrkräfte zum Streik. Und natürlich zur Kundgebung um 10.30 Uhr vor dem Roten Rathaus. Es geht um Einkommenserhöhungen im öffentlichen Dienst - Ver.di will 2,9 Prozent mehr für die Beschäftigten plus drei mal 300 Euro. Der Senat bietet einmal 300 Euro. Noch vor der Sommerpause streben beide Seiten eine Einigung an.

Das ist bei weitem nicht die einzige Front, an der Ver.di gerade kämpft. Im Frühjahr organisierte sie den längsten BVG-Streik aller Zeiten, heute ruft sie zum Warnstreik bei T-Systems, und seit anderthalb Jahren schwelt der Tarifkonflikt im Einzelhandel.

Die Verhandlungen führen jeweils Fachkräfte der Gewerkschaft. Die Landeschefin greift erst ein, wenn es nicht mehr anders geht. Dann trifft sich die 53-Jährige etwa zum Hintergrundgespräch mit Klaus Wowereit. Darin hat Stumpenhusen langjährige Erfahrung. Vor genau zehn Jahren wurde sie Berliner Vorsitzende der ÖTV. Als sich die Transportgewerkschaft 1999 mit anderen zur Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di zusammenschloss, übernahm Stumpenhusen auch hier den Landesvorsitz.

Wir waren mit der Lohnsenkung um 8 bis 12 Prozent bei gleichzeitiger Kürzung der Arbeitszeit einverstanden. Das war schmerzlich, aber wir haben damit auch betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Und wir wollten regeln, dass, wenn in anderen Bundesländern Einkommenserhöhungen gewährt werden, wir die auch in Berlin bekommen. Das wollte die andere Seite partout nicht. Also hat man dann morgens um halb vier gesagt, das kommt nicht automatisch, aber es wird dann darüber verhandelt.

Verhandelt wird ja mittlerweile.

Das hat Innensenator Ehrhart Körting anfangs auch gesagt: "Was wollt ihr denn, wir verhandeln doch, aber es wird nichts dabei herauskommen." Das fanden wir unglaublich. Mittlerweile verhandeln wir über eine Einmalzahlung plus einen Sockelbetrag im nächsten Jahr.

Woran hapert es noch?

Es ist für uns nicht vorstellbar, dass wir für dieses Jahr nur eine Einmalzahlung von 300 Euro bekommen, die - zack, zack! - von der Preissteigerung aufgefressen ist. Und der Sockelbetrag darf auch nicht erst im nächsten Sommer kommen. Er soll auf alle Einkommen draufgesattelt werden und hat damit eine soziale Komponente, denn die Beschäftigten in den unteren Lohngruppen profitieren stärker davon.

Wen würden Sie für solche Gespräche bevorzugen? Innensenator Körting, Finanzsenator Thilo Sarrazin oder den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit?

Körting ist sicherlich der Ernsthafteste. Wowereit ist, wie soll ich das sagen, manchmal amüsant, aber er versucht gerne alles ins Lächerliche zu ziehen. Und um Sarrazin auszuhalten, muss man sich sowieso seinen soziologischen Regenmantel überziehen. Aber er hat eine Eigenschaft, die man in dieser Funktion selten findet: Wenn man es schafft, ihn zu überzeugen, dann wird da kein Wort mehr drüber verloren, dann wird das gemacht. Das ist ungewöhnlich.

Die Berliner überzeugen Sie nicht mit ihren Streiks - Sie vergrätzen sie eher. Gerade sind immer mal wieder die Kindertagesstätten dicht, beim BVG-Streik waren die Berliner so aufgebracht, dass Sie am Ende die U-Bahnen wieder fahren ließen.

Natürlich bekommen wir auch mal Briefe von Leuten, die sagen, ich krieg das nicht organisiert, ich hab keine Oma, keinen Opa in Berlin, ich bin berufstätig, und die Kinder wollen nicht in eine Notkita. Aber zum einen ist es schade, wenn diese Briefe immer nur an uns gehen und nicht an den Verhandlungspartner. Zum anderen denke ich darüber nach, welches Mittel adäquat wäre, um hier mehr Unterstützung zu organisieren.

Sehen Sie Alternativen zum Streik, etwa in anderen europäischen Ländern?

Das kann man schlecht vergleichen. In Belgien ist es Usus, dass beim Streik gern die Fahrscheinautomaten zugeklebt werden. Da hat man hier gleich eine Anzeige wegen Sachbeschädigung am Hals. Und wenn wir im Tarifstreit für den Einzelhandel gemeinsam mit Verbraucherinitiativen und kritischen Konsumenten vor Geschäften demonstrieren, bricht gleich die Polizei in Panik aus. Und der Einzelhandelsverband ist der Meinung, wir würden mit Netzwerken von europäischen Kommunisten die Filiale blockieren.

Der Verband hat vor Gericht ein einstweilige Verfügung gegen die Blockade durchgesetzt …

… dabei war die Filiale gar nicht blockiert. Ich war auch da, und es war nicht so, dass da niemand reinkam. Das war ein Streik der Mitarbeiter. Draußen wurden Flugblätter verteilt und die Kunden gebeten, heute woanders einzukaufen. Das ist nichts Anstößiges, im Gegenteil, ich fand das ziemlich großartig.

Der BVG-Streik war nicht so großartig. Es war der bisher längste Arbeitskampf im Berliner Nahverkehr. Doch der Senat hat gesagt: Super, an jedem Tag, an dem Busse und Bahnen nicht fahren, sparen wir Geld. Für die Mitarbeiter sprang am Ende nicht mal ein Inflationsausgleich raus.

Na ja, das stimmt ja so nicht. Die eine Woche zusätzlicher Freizeitausgleich ist beim Fahrpersonal gut angekommen. Den BVG-Streik müssen wir intern noch aufarbeiten. Die Rahmenbedingungen haben sich extrem verschärft. Mir ist es bisher noch nicht begegnet, dass ein Aufsichtsratsvorsitzender …

Thilo Sarrazin …

… ja, dass er gezielt eine Sozialneiddebatte anzettelt und das auch so benennt. Beim Lokführerstreik hat seltsamerweise alle Welt gesagt, ja richtig, die verdienen mehr Geld, aber …

aber warum nicht bei den Busfahrern?

Keine Ahnung.

Die Lokführergewerkschaft hat ein klares Berufsbild, eine Marke. Ver.di streikt mal bei der BVG, mal im öffentlichen Dienst, mal beim christlichen Jugendwerk. Da weiß man kaum noch, worum es geht.

Aber wir profitieren auch vom Zusammenschluss mit Ver.di. Als es mal gelungen ist, die Beschäftigten aus dem Handel und aus den Kitas gemeinsam zu einer Demo zu kriegen, war das richtig gut. Da haben die Leute gesagt, okay, wir haben unsere Kinder in euren Kitas und ihr kommt zu uns zum Einkaufen, wir haben alle das gleiche Interesse: Wir brauchen mehr Kohle.

Warum fällt es selbst einer Gewerkschaft so schwer, diesen Solidargedanken bei den eigenen Mitgliedern stärker zu verankern?

Der ist schon da. Aber die Mobilisierung ist mitunter schwierig. Dafür brauchen wir die Leute vor Ort. Die Vertrauensleute im Betrieb, die sind Ver.di. Und wenn die gut sind und kompetent und sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen, dann ist das das beste Aushängeschild.

Sie selbst haben so angefangen, als ABM-Kraft vor Ort.

Da gab es im Bezirksamt Spandau damals eine sehr kluge Personalrätin, die hat gesagt: Ihr könnt eine eigene Interessenvertretung wählen. Innerhalb von einem Jahr haben wir das dann in allen Bezirken organisiert. Dann haben wir selbst eine Schulung gemacht und haben anschließend die ABM-Interessenvertreter geschult. Ich hatte auch das Glück, dass mich der Amtsleiter immer unterstützt hat. Hat mir immer Spaß gemacht, wenn ich da rauskam nach so einem Nachmittag mit 100 Leuten, die gerade wieder einen Job gekriegt haben und die dann gemerkt haben, dass sie da auch was bewegen können.

Sie haben Politologie, Soziologie, Theaterwissenschaften und Psychologie studiert. Was wollten Sie denn damit werden?

Ich wusste nach einem Praktikum zumindest, Sozialarbeit mache ich nicht. Ich habe damals nicht so zielgerichtet studiert. Heute würde ich das keinem mehr raten. Ich komme aus einer Handwerkerfamilie. Mein Vater war Schmiedemeister, meine Mutter Stenotypistin. Opa war auch Schmied, und vermutlich waren alle Schmied, und ich wäre es auch geworden, wäre ich ein Junge geworden. Mein Großvater hat immer gesagt: Du wirst mal wie Großtante Luise. Sie war Straßenbahnfahrerin in Hannover, ich bin fest davon überzeugt, dass sie Gewerkschafterin war. Opa hat immer erzählt, sie habe oben auf dem Kachelofen gesessen und für die USPD geworben.

War das ein Vorbild?

Ich war zumindest ganz froh, als man mir die Geschichte erzählt hat. Ich hätte gern so jemanden gehabt, so ein Vorbild.

Hatten Sie jemals das Gefühl, dass Sie es als Frau schwerer hatten?

Ich hatte es am Anfang, 1989, ein bisschen schwer als Akademikerin, aber das hat, glaube ich, nichts mit dem Geschlecht zu tun. Da waren so ein paar Kollegen vom privaten Transport und Verkehr, die haben mich erst mal ins offene Messer laufen lassen. Das hat sich dann geändert, als wir ein paar ordentliche Bier zusammen getrunken haben. Heute sage ich: Ich setze mich durch und versuche, Kolleginnen zu ermutigen, das Gleiche zu tun. Ich beteilige mich auch an unserem Mentorenprogramm. Die jungen Frauen sollen sich bewegen und sich durchsetzen.

Das fällt nicht immer leicht, wenn man Kind und Karriere vereinbaren muss. Wie haben Sie das geschafft?

Ich bilde mit meinem Expartner inzwischen eine gut funktionierende Erziehungsgemeinschaft. Das kann man alles organisieren. Die Wochenenden haben wir uns aufgeteilt, und dann spielt mein 14-jähriger Sohn die erste Geige. Gerade waren wir bei Avril Lavigne.

Er schleppt Sie mit auf Rockkonzerte - wann haben Sie ihn das erste Mal auf eine Demo mitgenommen?

Da war er ein halbes Jahr alt. Bisher ist er jedes Jahr mit zum 1. Mai gekommen und immer vorneweg mit einer Fahne.

Doch wohl bei der DGB-Demo?

Selbstverständlich, obwohl ich auch kein Problem damit hätte, wenn er nach Kreuzberg ginge. Ich bin da früher auch immer hingegangen. Und es ist wieder spannend, seit dieser Euro-Mayday-Premiere vor zwei Jahren.

Da engagieren sich junge linke Gruppe gegen das Prekariat.

Das ist doch unser Thema! Wir sollten sehen, was wir gemeinsam machen können, nicht immer gleich abgrenzen. Ich persönlich habe keine Berührungsängste.

Aber interessieren sich junge Leute noch für eine verstaubte Busfahrergewerkschaft?

Man muss schauen, was man denen anbietet. Zeitlich befristete Projekte interessieren eher als ein Landesbezirksjugendausschuss. Wir haben junge Leute, die gute Arbeit machen, in den Fachbereichen Medien und Bund-Länder zum Beispiel. Da, wo ausgebildet wird, laufen Sachen.

Die jungen Menschen kommen also nicht mehr zu Ihnen, sondern Sie müssen die potenzielle Mitglieder umgarnen.

Wir müssen ständig daran arbeiten, dass wir besser werden im Bereich Dienstleistung und Servicequalität. Wir müssen schauen, wie wir mit unseren Ressourcen haushalten - wo ehrenamtliche, wo hauptamtliche -, denn zahlreiche Leistungsträger werden wegen der Altersgrenze in überschaubarer Zeit wegbrechen.

Wann gehen Sie in Altersteilzeit?

Erst wenn es dafür einen neuen Begriff gibt, "dritter Frühling" oder so. Nein, solange ich morgens noch gerne aufstehe … Man muss sich natürlich schon fragen, wie lange man das noch macht. Ich bin immer noch auf der Suche, ob ich ein Talent habe.

Arbeits- und Sozialsenatorin?

Nein, das würde ich nicht aushalten. Dazu bin ich nicht dickhäutig genug. Ich bin ziemlich sensibel. Allein diese ständige Beobachtung, und dann lese ich in den Protokollen, wie die da miteinander umspringen, das finde ich furchtbar.

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