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Montagsinterview mit dem Ethnologen Markus Schindlbeck"Das Paradies der Südsee war immer ein Mythos"

Bei 37 Grad im Schatten werden Südseeträume wach - die man gut im Ethnologischen Museum Dahlem ausleben kann. Viele Dinge dort gibt es so in der Südsee gar nicht mehr, sagt der Ethnologe Markus Schindlbeck.

"Man muss Glück und Begeisterungsfähigkeit haben, sonst hält man es nicht durch." Markus Schindlbeck, Leiter der Südsee-Ausstellung im ethnologichen Institut in Dahlem. Bild: Santiago Engelhardt

taz: Herr Schindlbeck, fühlen Sie sich reif für die Insel?

Markus Schindlbeck: Bei der derzeitigen Hitze wäre eine kühle Meeresbrise nicht schlecht.

Was schwebt Ihnen vor?

Markus Schindlbeck

Der Vielgereiste: Schindlbeck wurde 1949 im Schwarzwald geboren. Aufgewachsen ist er in Sizilien. Von 1969 bis 1978 studierte er in der Schweiz an der Universität Basel Ethnologie, Geschichte und Geografie. Als junger Mann führte er zwei längere Expeditionen nach Neuguinea durch. In den Dörfern der Bergvölker war er damals der einzige Weiße.

Der Wissenschaftler: Seit 1984 ist Schindlbeck am Ethnologischen Museum in Dahlem tätig. Im Jahr 2001 und 2004 hat der Leiter des Fachreferates "Ozeanien und Australien" die Dauerausstellung "Südsee" neu gestaltet. Sie gilt als eine der bedeutendsten Ausstellungen ozeanischer Kunst der Welt. Sein persönlicher Werbespruch lautet: "In der Ausstellung kann man Dinge sehen, die man in der Südsee nicht mehr sehen kann."

Der Glückspilz: Markus Schindlbeck ist immer noch verheiratet. Viele Ethnologen-Ehen gingen wegen der vielen Reisen in die Brüche, sagt er. "Bei mir war es nicht so. Ich habe Glück." Sein 20-jähriger Sohn studiert Jura.

Palau oder Yap in der Südsee. Dort sind wunderschöne kleine Inselwelten, die man an einem Tag umwandern kann.

Also auf ins Paradies, wie der jahrhundertealte Mythos besagt?

Ja, ja. In der Südsee wachsen den Menschen Bananen und Kokosnüsse in den Mund, sie leben freie Liebe, sind glückselig und so weiter - alles Quatsch. Das sind immer europäische Träume gewesen. Die Indigenen mussten stets hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Als ethnologisches Museum profitiert man natürlich davon. Mit dem Traum von der Südsee kann man Besucher anlocken. Deshalb haben wir unsere Abteilung auch bewusst Südsee und nicht Ozeanien genannt.

Von einem Besucherandrang ist aber nichts zu spüren.

Das stimmt leider. An manchen Tagen kommen nur 50 bis 100 Leute. Früher war das anders. Vor 20 Jahren waren es noch bis zu 2.000 am Tag.

Worauf führen Sie das zurück?

Im Jahr 2000 kam die Diskussion auf, dass das Ethnologische Museum ins Stadtschloss umziehen soll. Seither wird in den Standort Dahlem nichts mehr investiert. Dabei wird der Wiederaufbau des Schlosses ständig verschoben. Ursprünglich war von 2013/14 als Eröffnungszeitpunkt die Rede. Dann hieß es 2017. Letzte Information ist, dass im Jahr 2013 Spatenstich und 2020/22 Eröffnung sein soll.

Glauben Sie noch daran?

Allmählich werde ich skeptisch.

Wie wirkt sich diese Unsicherheit auf den Standort Dahlem aus?

Manchmal hat man den Eindruck, der Ort ist schon aufgegeben. Das Gebäude hat massive Baumängel. Teilbereiche mussten schon wegen Einsturzgefahr geschlossen werden. In neue Ausstellungen wird kaum noch investiert. Wenn man über Jahre keine attraktiven Angebote macht, verkommt ein Ort. Ich würde hier gerne noch eine Neuguinea-Ausstellung machen, auch um den Standort Dahlem wieder ins Bewusstsein zu rufen - aber wovon?

Sie waren selbst in Neuguinea?

Ja. Ich habe zwei große Expeditionen von jeweils eineinhalb Jahren gemacht. Die erste war 1973. Da war ich 23 Jahre alt, das zweite Mal war ich 1979 nach meinem Studium dort.

Wo genau waren Sie?

In einem Sumpfgebiet und einer Bergregion im nordöstlichen Teil von Neuguinea. Das war früher mal deutsche Kolonie. In den Jahren 1912/13 hat es dorthin schon eine große Expedition gegeben, die vom Berliner Museum ausgerichtet worden ist. Damals wurden Primärerkundungen gemacht, der Flusslauf wurde zum Beispiel kartografiert. Ich war in demselben Gebiet, habe aber ganz anders gearbeitet.

Was haben Sie gemacht?

Ich habe Mythen gesammelt.

Das müssen Sie erklären.

Die Leute sind ganz anders als wir. Man muss ihr Vertrauen gewinnen. Das geht nur, wenn man lange mit bei ihnen wohnt. Ich bin mit ihnen in die Gärten gegangen und im Einbaum durch die Sümpfe gefahren.

Wie muss man sich die Verhältnisse vor Ort vorstellen?

Die Leute hatten schon Eisenwerkzeuge, aber in mancher Weise haben sie noch gelebt, wie in der Zeit vor den Europäern. Die kamen dorthin ja erst um 1900, zum Teil sogar noch später. Ich war einmal in einem Gebiet in Neuguinea, da waren die ersten Weißen sogar erst um 1950 herum gekommen. Dort gingen die Menschen noch ohne Kleidung. Die Frauen hatten Grasröckchen an. Die Männer trugen nicht mal - wie andernorts üblich - Peniskalebassen. Das ist ein Tropengewächs, das man aushöhlen und über den Penis stülpen kann.

Wie haben Sie dort gelebt?

Ich war in den Dörfern der einzige Weiße. In dem einen Dorf hat man eine Hütte für mich gebaut. In dem anderen durfte ich in eine leer stehende einziehen. Ernährt habe ich mich von mitgebrachtem Reis und Konserven, manchmal auch von Gemüse, das die Leute angepflanzt haben. Aber das habe ich nur eingeschränkt getan. Sie haben selbst nicht immer genug zu essen.

Haben Sie auch sich kleidungsmäßig angepasst?

Nein. Ich habe Shorts und Hemden getragen. Aber ich habe mit Speer und Federbusch in den Haaren auf dem Tanzplatz getanzt.

Wie haben Sie sich verständigt?

Es gibt dort eine Fülle von Sprachen, das erschwert die Sache sehr. Man eignet sich einen Grundwortschatz an. Erst nach einem halben Jahr haben die Leute angefangen, mir Dinge zu erzählen, die sie mir vorher nie gesagt haben. Sie erzählen sehr bildlich. Ich habe das dann aufgeschrieben.

Zum Bespiel?

Wie die Welt geschaffen worden ist: von Krokodilen, die mit ihrem Rachen Himmel und Erde umspannen. Oder von Adlern, die Menschen fressen. Es gibt auch Gesänge, in denen Mythen vorkommen. Manches habe ich auch auf Tonband aufgenommen.

Können Sie sich noch an eine Begebenheit erinnern?

Einmal sind wir mit dem Einbaum durch den Sumpf gefahren. Das Wasser war ganz ruhig. Plötzlich fing das Boot an zu schaukeln. Da flüsterte einer der Männer: "Du, das ist der Sotmeli, der sitzt jetzt mit im Boot."

Wer ist das?

Ein Vorfahre. Die Lebenssituation der Leute ist so, dass die Toten immer mit einbezogen sind. Sie sind da. Das ist kein dummes Gerede. Die Angst, die sie vor den Geistern haben, kann einen ganz krank machen.

Existieren diese Dörfer noch?

In der Weise wie vor 30 Jahren sicher nicht. Inzwischen waren viele Forscher und Missionare da. Es gibt Radios. Die Zivilisation hat Einzug gehalten.

Manche Exponate in der Südseeausstellung sind viele hundert Jahre alt. Auch von den Reisen des britischen Seefahrers James Cook gibt es Dinge. Ist das seinerzeit nicht alles geraubt worden?

Das kann man so generell nicht sagen. In den meisten Fällen wurde getauscht.

Gegen die berüchtigten Glasperlen und Spiegel?

Nein, gegen Gebrauchsgegenstände. Dabei handelte es sich meistens um Eisen, damit haben die Indigenen ihre Werkzeuge gebaut. Das kann man in den Expeditionsberichten nachlesen. So ein Tausch scheiterte oft daran, dass die Leute nicht ein, sondern drei Eisen für eine Maske oder eine Schnitzerei haben wollten. Es hat aber auch Fälle von stummem Tausch gegeben. Da haben die Europäer etwas hingelegt und dafür etwas mitgenommen, wenn keiner da war.

Die Einheimischen wurden also beklaut.

Mit diesem Terminus könnte man das noch am Ehesten umkleiden.

Müsste man die Dinge nicht zurückgeben?

Wir haben viele Kontakte zu Südseebewohnern, auch zu dortigen Regierungsstellen. Im Allgemeinen sind die Leute froh, dass die Sachen so gut in den europäischen Museen aufgehoben sind. Sie wissen genau, vieles davon wäre sonst verloren gegangen. Wir Europäer sollten die Südseeinseln aber mehr darin unterstützen, eigene Museen aufzubauen. Das geschieht zu wenig.

Gibt es für Sie Tabus, gewisse Dinge auszustellen?

Als ich die Berliner Südseeausstellung im Jahr 2001 neu konzipiert habe, habe ich einige Dinge entfernt. Zum Bespiel die berühmten Tjuringa. Das sind Steine und Holzgegenstände der Aborigines in Australien, die heute noch sehr sehr heilig gehalten werden. Mir war bekannt, dass es deshalb Konflikte gegeben hat.

Wo befinden sich diese Gegenstände jetzt?

Im Depot im Untergeschoss des Museums. Dort befindet sich der größte Teil unserer Sammlung. Nur knapp fünf Prozent sind ausgestellt.

Die meisten Sachen verstauben also im Keller?

Überhaupt nicht. Leute, die ein begründetes Interesse haben, dürfen das Depot selbstverständlich benutzen. Das geschieht vor allem zu Studien- und Forschungszwecken. Aber auch Besucher, die deshalb eine weite Reise gemacht haben, dürfen rein.

Wer könnte das sein?

Neulich war der Vizepremierminister von Samoa hier. In Samoa gab es früher sehr fein geflochtene Matten aus den Blättern der Pandanuspalme. Diese Matten gibt es schon lange nicht mehr. Sie sind sehr wertvoll. Ich habe ihm im Depot eine gezeigt. Er durfte sie auch anfassen. Er war ganz glücklich. Solche Dinge werden nicht mehr möglich sein, wenn wir in das Stadtschloss umziehen.

Warum nicht?

Ausstellung und Depot werden nach dem Umzug getrennt. Die Sammlung kommt nach Friedrichshagen. Das ist sehr weit weg. Mal eben schnell ins Depot gehen, wird dann nicht mehr möglich sein. Das ist das eigentliche Drama an dem Umzug ins Stadtschloss.

Ist das wirklich so schlimm?

Ja. 1970, als das ethnologische Museum in Dahlem eröffnet hat, war es eine große Errungenschaft, dass man beides an einem Ort konzentriert hatte. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hatte auch versprochen, dass wir unsere gesamte Sammlung mit ins Stadtschloss nehmen können. Das wurde dann gestrichen, mangels Geld. Unser Vorbild, das neue ethnologische Museum in Paris, Musée du Quai Branly, hat den größten Teil seiner Sammlung auch im Museum.

Was möchte Sie den Besuchern vermitteln?

Die meisten Leute interessieren sich nur für die eigene Kultur. Ich möchte dazu beitragen, den eurozentristischen Blick zu öffnen. Dass die Menschen eine Ahnung bekommen, wie vielfältig und spannend Kulturen in anderen Welten sein können.

Seit wann steht für Sie fest, dass Sie Ethnologe werden wollten?

Seit meiner Kindheit und Jugend. Ich bin in Sizilien aufgewachsen. Mein Vater war im Auswärtigen Amt tätig. Als ich zwei Jahre war, gingen wir nach Sizilien. In den 50er Jahren gab es noch keine EU. Palermo war sehr arm und die Mafia regierte. Da wurden die Leute wirklich noch auf der Straße erschossen.

Haben Sie das selbst erlebt?

Nein, aber es war allgegenwärtig. Auch die subtropische Vegetation, speziell die Palmen haben mich inspiriert. Über die Sagopalme habe ich auch meine Doktorarbeit geschrieben.

Was fasziniert Sie an Palmen?

Das sind sehr stolze, hoch aufragende Gewächse. Sie produzieren ungeheuer viel Material. Fast alles, was herunterfällt, kann man auch nutzen. Aus den Palmenblütenhüllblättern kann man Gefäße machen, die Früchte sind Nahrung, die Blattstiele werden als Malgrundlage genommen. Viele Boote, die wir in der Ausstellung zeigen, sind mit Kokosschnüren zusammengehalten.

Die Boote sind das Highlight der Ausstellung. Was passiert mit den Schiffen beim Umzug ins Stadtschloss?

Zurzeit ist die Planung noch so, dass wir alle Boote auch im Humboldtforum ausstellen können. Die Räume haben die Höhe und Breite, die die Schiffe brauchen.

Haben Sie Ihre Berufswahl jemals bereut?

Nie. Der Museumsdirektor von Basel …

Sie haben in der Schweiz studiert …

… hat mich zwar gewarnt, machs nicht. Ethnologie sei ein brotloser Beruf. Aber mir war klar: Egal was der sagt, das ist total spannend, das musst du machen. Aber es ist wirklich brotlos. Man muss Glück und Begeisterungsfähigkeit haben, sonst hält man es nicht durch. Und man muss vieles opfern. Feldforschungen sind mühsam, man wird oft krank.

Sie demnach auch?

Ich war schwer krank. Wenn man Gelbsucht hat und nicht mehr stehen kann, sieht es schlecht aus. Ich kenne Leute, die sind in Neuguinea auf dem Boden zum Boot gekrochen, um wegzukommen. Auf den Expeditionen sind auch viele gestorben. Impfen war damals noch nicht so verbreitet.

Können Sie nachempfinden, wie es den Kolonisatoren gegangen sein muss?

Die Leute sind zum Teil regelrecht an Malaria und Schwarzwasserfieber verendet. Ich selbst hatte auch Malaria. Das hält man fast nicht aus. Die Einheimischen haben das Fieber auch. Sie sitzen zitternd am Feuer. Je nachdem, wie schlimm sie es haben, sterben sie auch.

Würden Sie gern noch mal nach Neuguinea fahren?

Ja, wegen der Leute würde ich gern noch mal hin. Wenn man einmal das Vertrauen gewonnen hat, können sie sehr direkt sein, unmittelbar, und dadurch auch sehr anhänglich. Diese Nähe vermisst man in unserer Gesellschaft.

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