Montagsinterview mit Simon Kowalewski: "Eigentlich müssten wir Wände einreißen"
Der Pirat hat früher ein veganes Biocafé betrieben, jetzt sitzt er im Abgeordnetenhaus - zwischen geliehenen Möbeln: Vieles ist noch ein Provisorium bei den Neu-Parlamentariern.
taz: Herr Kowalewski, was macht mehr Spaß - im Café hinter der Theke zu stehen oder im Plenum des Abgeordnetenhauses den Reden der Abgeordneten zu lauschen?
Simon Kowalewski: Ich kann gar nicht sagen, was davon mehr Spaß macht. Es sind zwei so unterschiedliche Sachen: Hier im Abgeordnetenhaus ist alles viel strukturierter, als es im Café war, das ich vorher hatte. Aber das Spannende ist gerade, dass man das Gefühl hat, Teil einer völlig neuen Entwicklung zu sein. Einer Entwicklung, der von überall auf der Welt Leute zuschauen.
Ist die Arbeit also nur deshalb spannend, weil die Piraten jetzt im Mittelpunkt stehen?
Nein, auch wenn es tatsächlich neu für mich ist, ständig angerufen zu werden und auf Veranstaltungen von zwei, drei Kamerateams umgeben zu sein. Aber das gehört halt zum Job. Spannend ist für mich vor allem, dass man auf einmal in all den Vorgängen ist, die man sonst nur aus der Zeitung kannte, mittendrin ist. Wenn jetzt überall gesagt wird, dass der Ausschuss zum Wassertisch wirkungslos wird, weil er kein Geld bekommt, dann war man selber live dabei.
Der Pirat: Der 30-Jährige stammt aus Schwerte, einem kleinen Ort im östlichen Ruhrgebiet in der Nähe von Dortmund. 2003 schloss er sein Studium der Informationstechnik ab, Medienwirtschaft und Jura brach er ab. Vor vier Jahren zog er nach Berlin und trat 2009 der Piratenpartei bei.
Das Café: In der Schöneberger Yorckstraße betrieb er ab Mitte 2010 ein veganes Biocafé mit Coworking Spaces.
Der Abgeordnete: Kowalewski kandidierte für die Bezirksverordnetenversammlung in Schöneberg und für das Abgeordnetenhaus auf Listenplatz 14, dem vorletzten Platz. Daher war er je nach Hochrechnung am Wahlabend mal im Abgeordnetenhaus und dann wieder nicht. Als Abgeordneter will er sich - voraussichtlich als frauenpolitischer Sprecher - unter anderem gegen Sexismen im Alltag einsetzen.
Aber etwas ändern konnten die Piraten auch nicht.
Das ist das Problem der Opposition. Bei den ganz großen Entscheidungen, bei denen es der Koalition wirklich um etwas geht, da kann man wenig machen. Aber die Detailarbeit in den Ausschüssen, da kann man Sachen aushandeln und Kompromisse schließen. "Opposition ist scheiße", wie das ein großer SPD-Politiker mal gesagt hat, das finde ich nicht.
Ist es zu viel Struktur?
Es kommt drauf an. Zum Beispiel ist die Verwaltung im Abgeordnetenhaus total flexibel. Wenn man man kurzfristig einen Raum braucht, ist das kein Problem, obwohl die Regularien vorsehen, dass man das eine Woche vorher anmelden soll.
War es schwer, von Cafébesitzer auf Abgeordneter umzustellen?
Das Ganze passierte sehr erdrutschartig. Ich war am Sonntagabend auf der Wahlparty. Und im Laufe des Abends, mit den genaueren Hochrechnungen, wurde irgendwann klar, dass ich ins Abgeordnetenhaus komme. Am nächsten Morgen bin ich in mein Café und hab einen Zettel an die Tür gehängt, dass ich in nächster Zeit keinen Betrieb machen kann. Es war wirklich ein Umstieg von einem Tag auf den anderen. Und zudem ein Umstieg, mit dem man nicht mal richtig rechnen konnte.
Die Entscheidung, Ihr Café zu schließen, fiel also auf der Wahlparty?
Im Grunde schon. Der Montag danach fing so an, dass nach zwei Stunden Schlaf der erste Radiosender angerufen hat, um mich live auf Sendung zu nehmen. Dann hatten wir unsere Pressekonferenz im Abgeordnetenhaus, und dann bin ich in meinem Café vorbei, um den Zettel aufzuhängen. Da saßen schon Leute draußen und wollten rein. Denen musste ich dann sagen: Sorry, geht leider nicht. Das Einzige, was ich da jetzt noch mache, ist die Abwicklung, Steuern zum Beispiel und die Suche nach einem Nachnutzer.
Haben Sie sich vorher Gedanken darüber gemacht, dass es mit der Wahl eine Zäsur geben könnte?
Darüber habe ich zum ersten Mal nachgedacht, als die erste Prognose kam, die uns bei 9 Prozent gesehen hat.
Das war wenige Tage vor der Wahl.
Insofern war absehbar, dass die Möglichkeit bestand. Und jetzt ist es halt so.
Sie klingen so, als wäre das ein Schicksal, das Sie einfach so hinnehmen. Bedauern Sie, dass es so gekommen ist?
Nein, das würde ich nicht sagen. Bedauern ist ohnehin etwas, das ich sehr ungern mache. Wenn ich eine Entscheidung treffe, will ich da auch voll dahinterstehen. Ich hab mir aber diese Frage noch gar nicht gestellt, weil man hier im Parlament einfach so mitgerissen wird von einer Welle, es passieren immer wieder neue Dinge. Den Gedanken, dass ich ja jetzt auch ganz gemütlich am Tresen stehen könnte, den hat man einfach nicht.
Was glauben Sie, wie lange hält diese Welle an?
Gute Frage. Was ja für das nächste Jahr gleich ansteht, sind die Haushaltsdebatten. Ich glaube, die können anstrengend sein. Vielleicht geht dann etwas von der Euphorie verloren.
Und dann?
Na ja, ich habe jetzt hier einen Job für fünf Jahre, einen Auftrag. Ich wurde gewählt, und ich werde das auch machen. Ich hoffe, dass es mir Spaß macht, aber wenn es mir nicht ganz so viel Spaß macht, ist das auch okay. Ich habe mich aufstellen lassen und trage natürlich auch die Konsequenzen.
Worin sehen Sie denn Ihren Auftrag?
Den sehe ich darin, einerseits unsere Wähler zu vertreten, die unser Programm gut finden. Ich sehe mich aber auch als Vertreter aller Berliner, also auch derer, die CDU gewählt haben und unsere Ideen überhaupt nicht gut finden.
Das ist nicht wirklich miteinander zu vereinbaren, oder?
Das ist richtig, da muss man Prioritäten setzen. Grundsätzlich denke ich, dass man schon das große Ganze im Blick haben muss. Das bedeutet auch, die Extrempositionen, die man mal für sich selber und seine Wähler gemacht hat, vielleicht etwas abzuschwächen.
Zum Beispiel?
Wir haben zum Beispiel eine sehr progressive Familienpolitik. Wir wollen ein ganz anderes Familienbild, als es das derzeit gibt. Das fängt bei der Abschaffung des Ehegattensplittings an und geht bis dahin, dass Behörden das Geschlecht einer Person nicht mehr erfassen sollen. Das lässt sich natürlich nicht sofort durchsetzen, das ist klar. Aber man kann sich diesem Ziel schrittweise annähern.
Auf Ihrem Twitter-Profil beschreiben Sie sich als "Mitglied des Abgeordnetenhauses. Veganer. Polyamor. Ingenieur der Informationstechnik. Administrator. Elektronik-Hacker. Nerd. Apple-User. Pirat". Ist die Reihenfolge eine Wertung?
Nein, die ist völlig willkürlich. Es sind einfach ein paar Schubladen, die Menschen helfen sollen, die mich nicht kennen. Was mir wirklich wichtig ist im Leben, das kann ich nicht auf den 140 Zeichen formulieren. Aber es sind natürlich schon Ausprägungen, die klar machen, worüber ich nachdenke. Wenn ich sage, ich bin Veganer, dann sage ich damit einerseits, dass ich hier in der Kantine meistens Beilagen esse. Aber es drückt natürlich auch auch eine Haltung aus. Nämlich dass ich davon ausgehe, dass wir alle unser Verhalten ändern müssen, wenn wir diesen Planeten noch ein bisschen behalten wollen.
Es geht also nicht ohne Schubladen?
Problematisch wird es dann, wenn man die Menschen nur in eine Schublade steckt. Wenn man also sagt, das ist ein CDUler, mit dem brauche ich erst gar nicht zu reden.
Sie waren selbst früher zeitweise bei anderen Parteien, lange bei der PDS und kurz bei den Violetten.
Ja, politisch interessiert war ich schon vor den Piraten. Bei den Violetten war es interessant mitzukriegen, wie das in einer ganz neuen Partei läuft. Und welche Fehler man besser nicht machen sollte.
Welche?
Zum Beispiel, dass man sich keine nationalistischen Strömungen in die Partei holt. Damit hatten wir bei den Berliner Piraten glücklicherweise noch keine Probleme. Trotzdem war natürlich der Landesvorstand hier stark gefordert in den letzten Wochen.
Durch den Mitgliederzuwachs seit der Wahl?
Ja und dadurch, dass Leute, die vorher sehr aktiv im Landesverband waren, jetzt im Abgeordnetenhaus sind oder in den Bezirksverordnetenversammlungen und damit für die Parteiarbeit größtenteils ausfallen. Ich glaube, den ein oder anderen haben wir in letzter Zeit auch ein bisschen verbrannt, weil das Arbeitsaufkommen für ein Ehrenamt eigentlich überhaupt nicht mehr zu leisten ist. Das ist ein echtes Ungleichgewicht zur Fraktion, die doch sehr viel Geld bekommt, sodass wir damit alle möglichen Leute einstellen konnten.
Sie haben kurz nach der Wahl über die Zusammenarbeit in der Fraktion gesagt "das könnte die absolute Psychonummer werden".
Es gibt tatsächlich Punkte, die sind spannend.
Und zwar?
Wir hatten vor Kurzem eine Klausurtagung mit Mediatoren. Eigentlich sollte es um die Raumaufteilung gehen, aber es entzündete sich daran eine Diskussion, die sehr viel tiefer ging, nämlich um die Frage, was eigentlich unsere Werte und unsere Forderungen uns selbst gegenüber sind. Es gab einen Vorschlag, der für einzelne Leute sehr repräsentative Räume vorsah und für andere ein sehr beengtes Arbeiten. Und das entspricht einfach nicht unseren Werten, jemanden, nur weil er gerade eine bestimmte Position hat, solche Privilegien zu geben.
Aber es wirkt von außen betrachtet schon ein bisschen komisch, dass die Piraten seit fast vier Monaten im Abgeordnetenhaus sitzen und es bislang noch nicht mal geschafft haben, sich auf eine Raumaufteilung zu einigen.
Das Problem ist eher, dass die Räume einen bestimmten Zuschnitt haben und trotzdem unsere Zusammenarbeit abbilden sollen. Eigentlich müssten wir dafür Wände einreißen.
Also doch zu viel Struktur.
Ja, an einigen Punkten schon. Aber wir müssen selbst daran arbeiten, die Strukturen aufzulösen, wie bei den Fraktionssitzungen, wo wir jetzt im Kreis sitzen und nicht mehr in der Konferenzordnung.
Sie kommen ursprünglich aus dem Ruhrgebiet. Wäre da ein Erfolg der Piraten wie in Berlin denkbar?
Wir haben letztes Jahr im Wahlkampf einige Piraten in Dortmund besucht, um sie zu unterstützen. Und das ist schon eine andere Stadt als Berlin. Wobei es auch in Berlin vor der Wahl unterschiedlich war: Wenn du hier im Görli stehst und Unterschriften sammelst, dann stehen die Leute Schlange, weil sie unbedingt unterschreiben wollen. Aber wenn man in Griebnitzsee mal rausgeht, stellt man fest, dass 90 Prozent der Leute nicht mal wissen, was die Piraten überhaupt sind.
Und außerhalb Berlins gibt es mehr Griebnitzsee als Görlitzer Park?
Irgendwie schon. Wir haben schon immer gesagt: Wenn wir es irgendwo schaffen, in ein Landesparlament zu kommen, dann in Berlin. Aber genau das sorgt für so ein Echo, dass es mittlerweile auch woanders vorstellbar ist.
Was macht denn bitte schön Spaß daran, Wahlkampf zu machen?
Eigentlich klingt es unlogisch, man steht sich die Beine in den Bauch und muss sich auch noch blöde Kommentare anhören. Aber das Schöne ist: Man kommt mit den Leuten ins Gespräch. Man nimmt Anregungen mit, Kritik. Es ist einfach toll, mit Leuten zu reden. Wenn man hier drin im Büro sitzt, schaut man vor allem auf Akten oder redet immer wieder mit den gleichen Nasen. Dabei sind die Leute, um die es geht, da draußen. Mit denen muss man sprechen, sonst arbeitet man irgendwann an ihnen vorbei.
Wie viel sind Sie derzeit draußen?
Momentan viel zu wenig. Das liegt daran, dass es gerade in der Fraktion so viel zu tun gibt. Allein alle neuen Mitarbeiter kennen zu lernen, das dauert.
Also kaum gewählt, schon ist der Anschluss weg?
Dass es zwischenzeitlich so ist, ist ja durchaus nachvollziehbar. Ein Problem ist es erst dann, wenn man es nicht als Problem erkennt. Wenn man also denkt, na ja, ich hab ja meinen wissenschaftlichen Dienst, der erklärt mir schon, wie die Welt funktioniert. Ich muss also schauen, dass ich mir auch wieder die Zeit nehme, mal rauszugehen oder einen Infostand zu machen. Aber es gibt so vieles, für das ich keine Zeit habe. Eine Beziehung zum Beispiel - das wäre gerade gar nicht machbar.
Und in ein paar Jahren?
Wie es weitergeht, dass weiß ich vielleicht in vier Jahren. Diese typische Frage, wie ich mir mein Leben in fünf Jahren vorstelle, ist eigentlich nicht zu beantworten.
Können Sie sich das Politikerdasein denn längerfristig vorstellen?
Eigentlich ist politisches Arbeiten die einzige Konstante in meinem Leben, ich war immer in irgendwelchen Parteien oder Organisationen. Ich denke, das wird nicht aufhören. Ob das nun eine weitere Runde hier im Abgeordnetenhaus sein wird - keine Ahnung. Aber es wird sicher mit Politik zu tun haben.
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