Montagsinterview mit Johannes Hengstenberg: "Der Klimaschutz braucht vom Theater die Fähigkeit, sich zu inszenieren"
Johannes Hengstenberg ist ein Klimaschützer der etwas anderen Art. Er klettert nicht auf Bäume und kettet sich nicht an Gleise. Hengstenberg hat sich dem Alltag verschrieben: dem Energieverbrauch in Wohnungen. Und da gibt es einiges zu bewegen.
taz: Herr Hengstenberg, wann haben Sie zuletzt etwas getan, das schädlich für das Klima ist?
Johannes Hengstenberg: Ich bin vor drei Wochen nach Stuttgart geflogen. Das war ein Lapsus.
Wieso ein Lapsus?
Kohle: Die Ressource liegt in der Familie. "Mein Großvater hat mit Kohlen gehandelt, mein Vater hat aus Kohle Strom gemacht, und ich versuche, die Nutzung von Kohlestrom überflüssig zu machen", sagt Hengstenberg, der am 12. August 1944 geboren wurde. An der Wand seines Büros hängen Erinnerungen an den Kohlenhandel des Großvaters.
Freiheit von Kohle: Hengstenbergs Unternehmen co2online hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Energieberatungen den Energieverbrauch in Haushalten zu reduzieren. Etwa durch den Austausch von alten Elektrogeräten und Heizungen. Die Firma ist eine gemeinnützige Gesellschaft, die Beratung kostenlos. Die Förderung kommt vor allem vom Bundesumweltministerium. Pro Jahr beraten Hengstenberg und sein Team nach eigenen Angaben 2 Prozent der Haushalte in Deutschland. "Wenn wir in dem Tempo weitermachen, sind wir in 50 Jahren durch", sagt er. Nach eigenen Berechnungen haben sie bislang zu einer Minderung von rund 3,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid beigetragen.
Aktivist gegen Kohle: Hengstenberg wohnt mit seiner Frau in München und unter der Woche in Berlin. Der Volkswirt hat über Marxsche Mikroökonomie promoviert und eine Weile das Münchner Theaterfestival geleitet.
Weil ich sonst eigentlich immer mit der Bahn fahre und mit dem Fahrrad, wenn es sein muss gelegentlich mit dem Taxi. Aber Bahn zu fahren war da terminlich nicht möglich.
Aber normalerweise sind Sie der perfekte Klimaschützer?
Ich weiß gar nicht, ob es einen perfekten Klimaschützer gibt. Ich versuche einfach, die Fehler, die wir von morgens bis abends beim Umgang mit Energie machen, zu reduzieren. Wenn ich morgens aufstehe und von meinem Bett zum Zähneputzen gehe, dann vergesse ich gelegentlich, die Nachttischlampe auszuschalten. Also gehe ich zurück, mache die Lampe aus und gehe durch einen dunklen Flur zum Zähneputzen. Dann greife ich zum falschen Wasserhahn und mache mir die Zahnbürste mit warmem statt mit kaltem Wasser nass. Das ist eigentlich nicht nötig. Das Problem ist die Summe dieser vielen kleinen Fehlentscheidungen, die einem auch leicht gemacht werden.
Inwiefern?
Warum braucht denn jedes Waschbecken eine Warmwasserzapfstelle? Ich bin in einer Welt groß geworden, wo das überhaupt nicht nötig war. Der Komfort, den wir jetzt haben, der schafft die Probleme.
Klimaschutz ist also Reduktion von Fehlentscheidungen?
Das ist zumindest meine bescheidene Vorstellung. Eine Zauberformel gibt es nicht, sondern es sind Millionen von kleinen Dingen.
Mit Ihrem Unternehmen beraten Sie andere Menschen, wie sie diese Fehlentscheidungen reduzieren können. Wie machen Sie einem Menschen klar, dass er sein gesamtes Haus sanieren muss?
Wir rechnen den Leuten vor, dass viele Dinge, die sie in ihrem Haus oder Haushalt machen können, langfristig gesehen wirtschaftlich sinnvoll sind.
Es geht also nur übers Geld?
Wir haben herausgefunden, dass das Geldmotiv bei Leuten, die wir beraten, fünfmal schwerer wiegt als das ökologische Motiv.
Ist das nicht frustrierend?
Nicht unbedingt. Wir nutzen diesen Hebel der Ökonomie, um Leute zu überzeugen, ökologisch rücksichtsvoll zu handeln.
Wenn es danach geht, brauchen wir Rahmenbedingungen, die klimaschädigendes Verhalten teuer machen.
Genau. Ich schließe mich dem Jammern über hohe Energiepreise nicht an. Wenn ich sehe, wie verschwenderisch Menschen mit Energie umgehen, dann denke ich, dass die Preise dieses Fehlverhalten noch viel zu wenig bestrafen.
Kann denn nur der Preis etwas bewirken?
Ein weiteres Problem ist, dass der Nutzer die Konsequenzen viel zu spät mitbekommt. Wenn ich den Warmwasserhahn aufdrehe, bekomme ich die Rechnung erst im nächsten Jahr. Daher brauchen wir viel kurzfristigere Feedbackmechanismen wie Zähler, die einem sofort sagen, was man verbraucht hat.
Wie steht es mit Berlin in Sachen Klimaschutz?
Sie haben Glück, dass sich die Frage überhaupt beantworten lässt. Wir haben die Heizenergieverbräuche der deutschen Kommunen gemessen. Ganz schlecht sind Städte wie Hamburg, Lübeck und Kiel. Das liegt daran, dass es dort so windig ist. Berlin liegt im schlechtesten Viertel.
Das heißt als Schulnote?
4 bis 5. Also durchaus verbesserungswürdig.
Wo sind die Defizite?
Eine riesige Altbausubstanz, die noch nicht saniert wurde. Und Häuser mit Hausverwaltungen, die sich nur um die Vermietung kümmern, aber nicht um die Instandhaltung. Diese Häuser sind erfahrungsgemäß im schlimmsten Zustand.
Sie waren nicht immer der Klimaschützer, haben eine wechselvolle Vergangenheit. Sie haben Volkswirtschaft studiert, über Marxsche Mikroökonomie promoviert, das Münchner Theater-Festival geleitet.
Ja, ich bin immer wieder fasziniert, wie ich meine eigene Biografie hin und her biegen kann, dass es irgendwie passt. Aber das Energiethema ist in meiner Familie schon da. Mein Vater hat ein Kraftwerk betrieben. Ich will nun, dass Energie gespart wird.
Aber wie sind Sie zum Klimaschutz gekommen?
Nicht zielstrebig. Ich habe mich von vielem leiten lassen. Menschen, die ich durch Zufall kennengelernt habe. Als ich Ende der 80er-Jahre eine Umweltorganisation mit gegründet hatte, war gerade Gorbatschow auf die politische Bühne getreten. Wir hatten die Hoffnung, dass die Gelder, die zuvor von Militärs verbraten wurden, in sinnvolle Umweltprojekte investiert würden. Aber daraus wurde nichts.
Und dann?
Dann kam der Katzenjammer. Und wir haben gesagt, lassen wir mal die ganzen Träume beiseite und versuchen, eine Heizkostenabrechnung zu verstehen und es anderen zu erklären. In einem Schuhkarton haben wir Heizkostenabrechnungen gesammelt und alle ausgewertet. Jedem Einzelnen der 200 Leute haben wir danach sagen können, du liegst über dem Durchschnitt oder darunter. Und das haben wir dann Tage und Nächte computerisiert, ohne je einen Pfennig Geld daran zu verdienen. Daraus hat sich aber langsam mein heutiges Unternehmen entwickelt.
Wieso Heizkostenabrechnungen?
Es war eine Nische. Jedes Jahr gibt es in Deutschland 17 Millionen, und trotzdem versteht sie kein Mensch. Für den Klimaschutz haben sie aber sehr wertvolle Inhalte. Und die Vision war, diese Beratungen kostenlos für alle anzubieten, mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologie. Das hat ja auch geklappt.
Wie lange hat das gedauert, bis Sie so eine Abrechnung wirklich verstanden haben?
Anfang der 90er hatte ich so ein Dokument noch nie wirklich in der Hand gehabt. Aber mittlerweile könnte ich es auch nachts um drei durchdeklinieren.
Bekommen Sie immer noch Abrechnungen in die Hand, die Sie nicht verstehen?
Natürlich. Es gibt immer wieder Erstaunliches. Und es ist ein Unding, dass jeder Dienstleister auf diesem Gebiet sich die Freiheit nimmt, andere Formulare zu entwerfen. Wer eines verstanden hat, versteht die anderen noch lange nicht.
Sie haben aber nicht immer nur Heizkostenabrechnungen studiert.
Ja, ich hätte auch Theatermann werden können. Mein Vater hat Kabarett in Wiesbaden gemacht, ich habe lange Zeit mit dem Living Theatre in Berlin verbracht, das Theater-Festival in München geleitet.
Was hat der Klimaschutz, was das Theater nicht hat?
Der Klimaschutz braucht vom Theater die Fähigkeit, sich zu inszenieren. Und was ich beim Theater gelernt habe, hat mir später sehr geholfen. Es hat mir gezeigt, wie wichtig Dramaturgie ist, auch die Dramaturgie einer Beratung.
Wie sieht die aus?
Der Duktus des Gesprächs muss stimmen. Ich imaginiere immer den Theaterzuschauer, der aber mit uns spricht. Es ist ein Dialogtheater. Die Leute sollen nicht von Zahlenfeldern erschlagen werden, sondern die richtige Dosierung an Informationen bekommen, in den richtigen Schritten, sodass langsam die Apotheose erreicht wird. Am Ende steht dann nicht Goethes "Faust" oder die Läuterung oder so etwas, sondern: Machen Sie das und das, dann wird es besser.
Glauben Sie, die Leute erkennen und schätzen das?
Ich wünsche es mir. Und ich sehe, dass wir sehr viel positives Feedback bekommen.
Warum haben Sie Ihr Unternehmen eigentlich in Berlin?
Wir saßen in München in der Pampa, da war absolut nichts los. Und ich habe einen engen Partner, einen Berliner, der seit 20 Jahren mein Mitstreiter ist, und der hatte einfach Heimweh. Das war mein einziger Ingenieur. Ich hatte keine andere Wahl.
Es war also keine bewusste Entscheidung?
Rückblickend muss ich sagen, dass ich in meinem Leben eigentlich keine strategischen Entscheidungen getroffen habe. Ich bin immer Sympathien gefolgt und mal hierhin und dorthin gegangen. Vielleicht müssen sich die Leute heute ihren Lebensweg klarer vorstellen. Bei mir war es eher so ein Pendeln, ohne große Zielstrebigkeit.
War das gut?
Es war kräftezehrend. Sich immer wieder in eine neues Thema einzuarbeiten ist unheimlich aufwändig. Und ich bin froh, dass ich jetzt seit 20 Jahren dem Thema Verbraucher- und Klimaschutz treu geblieben bin.
Wären Sie auch gerne bei etwas anderem geblieben?
Ja, zum Beispiel war ich in den 70er-Jahren Forschungsstipendiant am Max-Planck-Institut. Das Institut wurde aufgelöst, und wir saßen auf der Straße. Und dann war es Zufall, dass ich gefragt wurde, ob ich das Theaterfestival machen wollte.
Ihr unsteter Werdegang hat immerhin dazu geführt, dass Sie jetzt mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurden. Hat sich mit dadurch etwas verändert?
Es hat sich nichts geändert. Wir hatten ein schönes Fest, und ich habe mich aufrichtig darüber gefreut, aber natürlich runzelt man so ein bisschen die Stirn und fragt sich: Wie weit ist es mit mir gekommen, dass mich dieser Staat so auszeichnet? Für jemanden, der gegen die Notstandsgesetze auf die Straße gegangen ist und der jahrelang ein sehr prekäres Verhältnis zu seinem Staat hatte, kommt das auch etwas überraschend.
War es schwierig, das anzunehmen?
Das nicht. Es war ein Anlass, zurückzublicken zu den Anfängen. Und mein Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland war in den Anfängen so schlecht, wie es schlechter nicht sein konnte. Es war massiv gestört.
Warum?
Nach dem Mauerbau war ich mit meiner Schule in Ostberlin. Und ich habe die Mahnungen meiner Lehrer, dass man die Teilung überwinden soll, beherzigt. Ich habe Bücher gesammelt, die man in der "SBZ", wie man das damals nannte, nicht bekam, und die in Schuhkartons gepackt und rübergeschickt. Und wir bekamen Bücher zurück, zum Beispiel von Anna Seghers. Das ging so einige Monate hin und her, bis ich eines Mittags nach Hause kam und mein Zimmer war ausgeräumt. Das Landesamt für Verfassungsschutz und die Staatsanwaltschaft hatten mich zum Staatsfeind erklärt.
Wegen der Büchersendungen?
Genau. Ich wurde noch vor meinem Abitur wochenlang zur Staatsanwaltschaft nach Moers zitiert. In unserem Dorf war ich der Staatsfeind Nummer eins. Die hatten mich offen observiert, ich war total isoliert in dieser antikommunistischen Zeit unter Adenauer. Meine Freunde sind von mir abgefallen, meine Verwandten, alles. Es war das schlimmste Trauma, das mir dieser Staat zugefügt hat. Das war der Tiefpunkt. Immerhin ging es seitdem aufwärts. Aber das war ein langer Weg.
Ist der Staat jetzt ein anderer?
Es ist nicht mehr dieser Duckmäuserstaat und dieser repressive Staat der 50er- und 60er-Jahre, als noch Nazis in der öffentlichen Verwaltung saßen. Ich bin sicher, dass die Polizei in der "SBZ" mit der Polizei bei uns zusammengearbeitet hat. Ich habe mich gewundert darüber, wie prima sie informiert waren. Aber das war das alte Deutschland, das jetzt versunken ist.
Das neue Deutschland ist derzeit in Kopenhagen bei der Klimakonferenz. Glauben Sie an einen Erfolg?
Nein, ich bin da pessimistisch. Ich denke eher darüber nach, was passiert, wenn die Konferenz in einem Desaster endet und kein Vertrag zustande kommt.
Was passiert dann?
Die Tendenz abzuwarten wird wohl noch stärker. Das ist eine Haltung, die ich absolut verwerflich finde. Denn das bedeutet, den eigenen Lebensraum und den der Kinder zu zerstören, nur weil die anderen es auch tun.
Wird das Ergebnis der Konferenz einen Unterschied für Ihre Arbeit machen?
Wir arbeiten hier im Alltag für die kleinen Erfolge, mit kleinen Schritten. Umgekehrt müsste die Bevölkerung die Politik starkmachen. Denn wie kann eine Regierung für so ein Thema eintreten, wenn es eine solche Indifferenz der Bevölkerung gibt? Um Politik zu machen, reicht die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen nicht. Es braucht die ökologische Einstellung eines jeden Einzelnen, die der Regierung den Rücken stärkt, um nicht wirtschaftlichen Einzelinteressen nachzugeben. Und das haben wir derzeit nicht.
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