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Montagsinterview mit Fußballer Andreas Neuendorf"Eine große Klappe habe ich schon immer gehabt"

Andreas "Zecke" Neuendorf ist Herthas Publikumsliebling. Im vergangenen Winter lief er im Olympiastadion auf, um das Team nach drei Niederlagen aufzurichten. Eigentlich soll er in der Nachwuchsmannschaft U23 Talente führen.

Zeckes Arbeitsgerät: Jeder Spieler der U23 hat beim Training seinen eigenen Ball. Bild: Rolf Zoellner
Uwe Rada
Interview von Uwe Rada und Torsten Landsberg

taz: Zecke Neuendorf, Sie sind vor einem Jahr zurück zu Hertha gekommen, zu Ihrem Verein, in Ihre Stadt. Was war Ihr Auftrag?

Andreas Neuendorf: Ich habe ja nie ein Hehl draus gemacht, dass Hertha mein Verein ist. Michael Preetz wusste das, als er das Management übernommen hat. Sein Slogan war: Aus Berlin, für Berlin. Also hat er viele ehemalige Herthaner wieder an den Verein gebunden. So war es auch bei mir. Ich sollte in der U23 spielen und für die erste Mannschaft als Stand-by-Spieler zur Verfügung stehen. Und ich sollte mich um die jungen Talente kümmern.

Welches Verhältnis haben Sie zu den jungen Spielern?

Man sagt mir nach, dass ich die Sprache der Jungen spreche. Manchmal denke ich natürlich: Okay, das ist relativ. Ich bin ja mittlerweile auch schon 36 und doppelt so alt wie die meisten in der Kabine. Da denke ich manchmal: Ui. Aber es macht Spaß. Ich selbst hätte in meiner Jugend auch gerne so einen Typen als Vorbild gehabt.

Mit dem Vorbild können Sie nicht Ihre letzte Karte meinen.

Das war ein Pokalspiel in Ingolstadt. Wir lagen 1:2 zurück. Ich wurde im Strafraum gefoult. Der Schiedsrichter hat nicht gepfiffen. Ich bin zum Schiedsrichter gelaufen und hab gesagt: Du, hast du nicht mitbekommen, der hat mich umgehauen. Ich rede und rede, aber der ignoriert mich. Ich sag: Hallo, hörst du nicht? Er sagt: Ich schreibe grade. Da hab ich ihm den Stift weggenommen und gesagt: So, jetzt schreibst du nicht mehr. Da guckt er, gibt mir Rot, nimmt den Stift und sagt: Is meiner!

Wie viele Talente gibt es derzeit beim Hertha-Nachwuchs?

Andreas "Zecke" Neuendorf

Der Fußballer: Andreas Neuendorf wurde am 9. Februar 1975 in Berlin geboren. Seine Karriere begann auf den Bolzplätzen in Steglitz. Mit 18 spielte er bei den Reinickendorfer Füchsen, kurz darauf wechselte er in die Bundesliga zu Bayer Leverkusen. In der Winterpause 1997/98 wechselte er auf Leihbasis zu Hertha. 2000 holte ihn Leverkusen zurück, ehe er ein Jahr später ablösefrei nach Berlin zurückkehrte. Für Hertha absolvierte er 150 Bundesligaspiele. 2007 ging er zum FC Ingolstadt, wo er seine Karriere beenden wollte. 2010 holte ihn Hertha zurück.

Der Spitzname: "Zecke" wird Neuendorf nach einem Zeckenbiss und anschließender Blutvergiftung in Leverkusen genannt. Nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus rief sein Mitspieler Ulf Kirsten ihn Zecke. Seither unterzeichnet der Offensivspieler Autogrammkarten mit dem Kosenamen. Den wollte Neuendorf bei Hertha auch auf seinem Trikot tragen. Der Deutsche Fußball-Bund wollte Namen auf den Trikots zulassen, die auch im Pass stehen. Deshalb malte Neuendorf zwei Bilder, ließ sie über die Vereinshomepage für einen guten Zweck versteigern und beantragte beim Einwohnermeldeamt den Künstlernamen "Zecke". Seit 2002 sind seine Trikots mit dem Spitznamen beflockt.

Der Nachwuchsspieler: Der 36-Jährige spielt in der Regionalliga Nord, mit Hertha BSC II, der Nachwuchsmannschaft U23. Dort dürfen maximal drei Spieler über 23 Jahren antreten.

In der letzten Saison haben ja viele den Sprung in die Profimannschaft geschafft. Derzeit ist es wieder so, dass einige nach oben drängen. Das verfolge ich mit großem Interesse und sehe natürlich auch, wie sich immer wieder die gleichen Fehler wiederholen.

Was sind das für Fehler?

Je höherklassiger du spielst, desto schneller wird das Spiel. Nicht der Ball wird schneller, nicht der Schuss - die Schnelligkeit findet im Kopf statt, bei den Bewegungen, den Abläufen, den Angriffszügen. In der Jugend machst du einen Hackentrick. Das sieht gut aus, wenn du dann auch noch den Torwart veräppelst. Wenn die Jungs dann ein Profispiel im Olympiastadion sehen, sagen sie: Wie sieht das denn aus? Dass du mit so einem Spiel schnell einen Konter einfängst und ein Gegentor, interessiert die nicht. Das ist also mein Job, denen das klarzumachen.

Als es in der Zweitligasaison nicht so gut lief, wurden Sie in der ersten Mannschaft reaktiviert. Warum?

Nach den drei Niederlagen gab es einen kleinen Bruch in der Truppe. Bei uns in der U23 lief es dagegen ganz freundlich. Die im Verein wussten, dass ich einen guten Draht zu den Jungs hatte, sie vielleicht pushen kann. Gerade auch, weil der ein oder andere von den Älteren einen kleinen Hänger hatte. Als ich kam, wurde ein wenig der Druck von den anderen genommen, weil es in den Medien plötzlich hieß: Zecke ist wieder da!

Was war das für ein Gefühl, als Sie gegen Aue im fast vollen Olympiastadion aufliefen?

Es war ein Riesenglücksgefühl. Freude pur. Aber eine unerwartete Freude. Ich hab damit nicht gerechnet, vielleicht war es deshalb so überwältigend für mich. Ich hatte mit dem Kapitel Hertha-BSC-Profimannschaft abgeschlossen.

In der vergangenen Saison hat die Mannschaft einen Medienboykott beschlossen, nachdem Torwart Maikel Aerts in der Kritik stand.

Da kommt es immer drauf an, wie man über so was schreibt. Und wen es trifft. Maikel ist ein positiv verrückter Typ, der sich für andere einsetzt. Ich fand das super, dass sich die Mannschaft so für ihn einsetzt. Die haben gesagt: Halt, Moment, da wird einer von uns angegangen. Das war perfekter Teamgeist, das ist eine super Truppe.

Trainer Markus Babbel ist drei Jahre älter als Sie. Hat es ein junger Trainer schwerer mit der Autorität?

Für mich ist es selbstverständlich, dass ich meinen Vorgesetzten sieze. Ich sage dann ja nicht "Herr Babbel" oder so. Ich sage "Trainer". Das gleiche gilt für Karsten Heine, den Trainer der U23, den ich auch schon gefühlte hundert Jahre kenne. Wenn da jetzt die 17- oder 18-Jährigen dabei sind, duze ich ihn nicht, sondern sage auch "Trainer". Genauso halte ich es mit Michael Preetz, mit dem ich zusammengespielt habe. Wenn jemand dabei ist, sage ich "Manager".

Das hat mit Respekt zu tun. Wie steht es damit bei den Jungen?

Als ich mit dem Fußball angefangen habe, gab es die älteren Spieler, und da hieß es: Halt die Klappe, du bist noch jung. Heutzutage erwarten manche mit 18 oder 19, dass sie Stammspieler sind. Die werden in den Jugendakademien auch ganz anders vorbereitet.

Und sind fußballerisch weiter entwickelt als charakterlich?

Vielleicht. Fußballerisch sind sie auf jeden Fall weiter als damals zu meiner Zeit. Den Charakter versucht man natürlich auch mit zu schulen. Aber da wird es immer Unterschiede geben.

Wenn da einer mit 18 gerade seinen Führerschein gemacht hat und fährt nun mit dem Porsche vor, kriegen Sie da einen Hals?

Nein. Wer würde nicht gerne mit 18 einen Porsche fahren? Ich würde ihm aber raten: Hol dir einen A3, da denken die Leute, der ist vom Kopf her klarer. Wenn es aber so ist, dass einem ein Statussymbol so viel bedeutet, dass er sagt: Ich habe es geschafft, dann merkst du das ganz schnell an den Leistungen. Die werden dann schlechter.

Junge Talente leben komplett anders als Gleichaltrige außerhalb der Fußballwelt.

Das gilt nur vier oder fünf Jahre lang. Bei einer normalen Ausbildung bist du mit 18 oder 19 fertig. Beim Fußball ist es nicht anders. Auch da solltest du in dem Alter wissen, wo der Weg hingeht. Wenn du mit 20 oder 21 noch keinen Profivertrag hast, wird es schwer, einen zu kriegen.

Ist das Leben eines Profis nicht ein Leben im goldenen Käfig?

Warum? In der Regel hast du einmal am Tag Training. Da bist du um neun da, bleibst auf dem Gelände, isst was. Spätestens um 13 Uhr ist Feierabend. Was Schöneres kann man doch gar nicht haben! Und was ist gelaufen? Hast mit ein paar Freunden auf dem Platz rumgekickt.

Wird heute beim Nachwuchs auf Persönlichkeit Wert gelegt oder auf Stromlinienform?

Wenn ich was von mir höre, dann immer das: Zecke ist einer der letzten Straßenfußballer. Das hört man aber in zehn Jahren auch noch. Dann wird es vielleicht Tunay Torun sein, von dem man das sagt. Die werden nicht aussterben. Genauso wenig wie Typen wie Arne Friedrich, also solche, die aus der Sicht des Vereins die Idealvorstellung eines Profis verkörpern. Vorzeigbar für die Medienwelt, interessant für die Sponsoren. Also perfekt.

Manager Preetz hat in der letzten Saison einem Talentsucher der Konkurrenz Stadionverbot erteilt, weil er auf dem Hertha-Gelände gewildert hat. Ist das die Ausnahme oder die Regel?

Die jungen Spieler sind für einen Verein in der Wertigkeit extrem gestiegen: Wenn du bei einem Spiel der U19 bist, der U17 oder der U23, gibt es da mindestens 30 Berater, die wegen elf Hertha-Jugendlichen kommen.

Wie war das, als Sie mit 18 nach Leverkusen gegangen sind?

Ich hatte keinen Berater. Das hat der Vereinspräsident der Reinickendorfer Füchse geregelt. Als es darum ging, bei Reiner Calmund in Leverkusen den Vertrag zu unterschreiben, hat er gesagt: Warte, ich komm mit.

Wie fühlte sich Ihr Abschied vom Straßenfußball an?

Ich war damals 18 und hatte von allen 18 Bundesligisten ein Angebot. Und das, obwohl ich in der C-, B- und A-Liga in der Saison meistens nach vier Monaten aufgehört habe. Ich wollte lieber im Käfig kicken, so freizeitmäßig, Straßenfußball eben. Auf Training hatte ich keine große Lust, ich wollte bloß spielen. Ein halbes Jahr später saß ich dann mit Bernd Schuster in der Kabine.

Der Weltklassespieler und der Neuling. Wie ging das damals zusammen, Alt und Jung?

Ich war erst zwei Tage in Leverkusen, kannte da niemand, hab in einem Hotel gewohnt. Dann kam ich beim Training in die Kabine rein und dachte: Wo setz ich mich jetzt hin? Erst mal habe ich Hallo gesagt. Da sah ich, erster Platz, erster Spind war frei, den nehm ich. Also Tasche hingestellt, bis einer meinte: Oh, da sitzt du falsch! Ich: Wieso sitz ich denn hier falsch? Antwort: Na ja, da sitzt Bernd Schuster. Da hab ich geguckt, aber da stand kein Name. Also hab ich gesagt: Jetzt sitz ich hier, jetzt kann er sich einen neuen Platz suchen. Da haben alle gelacht. In dem Moment kam er mit seiner blonden Mähne reingelaufen, baute sich vor mir auf. Ich meinte nur: Dein Platz, wa? Er hat nur genickt, dann bin ich aufgestanden und hab gesagt: Hab ihn dir nur warm gehalten. Die haben das dann verbucht unter Berliner Schnauze. Eine große Klappe habe ich schon immer gehabt.

Nehmen sich die Jungen heute mehr raus, weil sie wichtiger geworden sind?

Sagen wir so: Der ein oder andere, der weiß, dass er gut ist, der zeigt das dann auch. Aber das ist ein schmaler Grat. Wenn sie es nicht übertreiben, ist es gut, dann ist es auch gewollt, weil wenn du von dir überzeugt bist, dann kannst du mehr leisten, als wenn du Zweifel hast.

Es heißt, der Abstieg von Hertha in die Zweite Liga war nötig, um sich neu zu erfinden: Demut statt Größenwahn. Wie krisenfest ist dieser neue Geist?

Hertha hat es verstanden, auf Berlin zuzugehen. Davor hat man jahrzehntelang gedacht, Hertha sei in Berlin das Nonplusultra. Durch den Abstieg war Wiedergutmachung nötig, und das hat Gefallen gefunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hertha noch mal einen anderen Weg gehen wird.

Und wenn ein paar Spiele verloren werden?

Das ist auch eine Frage der Ansprüche. Markus Babbel sagt: Wir wollen uns in der Bundesliga erst mal wieder etablieren. Das ist ein Signal, an die andern und an die Fans. Wenn Du kämpfst und Gas gibst, dann sehen das die Leute. Auch dass nun so viele Junge auf dem Platz stehen, darunter viele Berliner. Dann verzeihen sie dir auch eine Niederlage, anders als es vor ein paar Jahren gewesen wäre. Und Hand aufs Herz: Fußball ist zwar die schönste Nebensache der Welt. Aber Fußball ist nicht alles.

Sie sind jetzt 36. Wie lange wollen Sie noch auf dem Platz stehen?

Wenn Gott will, noch mal 36 Jahre. Es gibt auch U40, U50, Alte Herren.

Und bei der U23?

Früher haben wir immer gesagt, wir entscheiden das von Jahr zu Jahr. Jetzt sprechen wir von halbjährlichen Schritten. Ich bin unbefristet angestellt. Was die Jugendarbeit angeht oder die Amateurabteilung, denke ich, dass ich da schon gerne weiterarbeiten möchte. Meinen Trainerschein will ich auch machen. Ich sehe mich aber weniger als Bundesligatrainer. Ich könnte nicht so hart und ernst sein zu den Jungs. Eher wäre ich ein guter Co-Trainer.

Nach 200 Bundesligaspielen für Bayer Leverkusen und Hertha BSC und Ihrer Zeit in Ingolstadt: Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Ich bin mit meinem Fußballerleben extrem glücklich, wie es gelaufen ist. Andersrum sagt man mir nach, ich habe mein Talent vergeudet …

weil Sie trainingsfaul waren?

Nur, ich sag auch wieder: Hätt ich alles anders gemacht, wer weiß, wie es gekommen wäre. Wenn ich nicht so faul gewesen wäre, hätte ich mich vielleicht schwer verletzt und könnte heute nicht mehr spielen.

Dann hätten Sie auch weniger Leben gehabt?

Exakt.

Sind Sie vielleicht eine Art Vorbild, das zeigt: Weniger ist auch okay?

Auch wenn ich kein Nationalspieler wurde: Ich hatte nicht nur ein gutes Fußballerleben. Es war ein sensationell schöner Lebensabschnitt. Da kann man gar nicht tauschen wollen.

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