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Montagsinterview Soziologin Petra Lucht"Windräder sind auch eine Geschlechterfrage"

Petra Lucht ist Gastprofessorin der Technischen Universität und weiß, warum die Entwicklung der Windenergie hauptsächlich in Männerhänden liegt. Und warum ausgerechnet die Nanotechnologie unsere Rollenbilder dauerhaft verändern kann.

Petra Lucht hat als Physik-Studentin selbst erlebt, wie Frauen in technischen Studiengängen benachteiligt werden - heute arbeitet sie am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin. Bild: Wolfgang Borrs
Martin Kaul
Interview von Martin Kaul

taz: Frau Lucht, stellen Sie sich bitte einen Menschen vor, der in einem Steinkohlebergwerk Kohle aus der Wand hämmert. Was sehen Sie?

Petra Lucht: Einen Menschen, der mit Staub bedeckt ist, im Dunkeln schwitzt und schwer arbeitet.

Ist es ein Mann oder eine Frau?

Im ersten Moment wahrscheinlich schon ein Mann. Wobei dann im zweiten Moment die Reflexion einsetzt, sich zu fragen: Wie viele Frauen arbeiten eigentlich unter Tage?

Sie würden sofort danach fragen?

Ja, die Berufsskepsis setzt sofort ein.

Die meisten Menschen würden nur den Mann sehen. Warum ist das bei Ihnen anders?

Das hängt schon mit meiner Berufsbiografie zusammen. Und damit, dass mir auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen, aber auch auf Grund der Auseinandersetzung mit Männerberufen klar ist: Es gibt immer auch Frauen in diesen Berufen. Und was es für die Menschen, die diesen Beruf ausüben, bedeutet, wenn dieser als Männerdomäne wahrgenommen wird.

Persönlich

Petra Lucht ist eine Seitenwechslerin. Sie studierte zunächst Physik an der Universität in Kiel. In ihrem damaligen Begleitfach Soziologie schrieb die heute 41-Jährige dann ihre Promotionsarbeit.

Die Physikerin konzipierte in ihrer Diplomarbeit eine Ultraschallmessstrecke für die Medizin.

Die Soziologin nahm in ihrer Doktorarbeit die physikalische Fakultät einer USA-Eliteuniversität unter die Lupe. Heraus kam eine Studie unter dem Titel "Zur Herstellung epistemischer Autorität". Lucht forscht am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität. Aktuell hat sie das Buch "Recodierungen des Wissens" herausgegeben, das die geschlechtlichen Aspekte von naturwissenschaftlichem und technischem Wissen untersucht.

Die angehende Professorin hat noch bis Ende März nächsten Jahres eine Gastprofessur an der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften an der Technischen Universität Berlin. Für ihre Habilitation forscht sie zu den Visionen innovativer Technikentwicklungen.

Zum Beispiel?

Früher waren Arztwitze in Mode, in denen erzählt wurde, dass ein Mensch zum Arzt geht und welche Probleme er hat. Eine Diagnose wird gestellt, und am Ende stellt sich heraus: Es ist eine Ärztin. Diese Witze funktionieren nicht mehr, weil Ärztinnen mittlerweile zum Alltag gehören.

Sie haben mit Physik selbst einen männerdominierten Beruf studiert.

Mir war das als Jugendliche noch nicht so bewusst wie später. Ich habe ganz selbstverständlich das Physikstudium aufgenommen, weil meine Lehrer und auch meine Eltern dem positiv gegenüberstanden.

Was haben Ihre Eltern dazu beigetragen?

Ich bin auf einem ländlichen Betrieb großgeworden. In der industriell geprägten Landwirtschaft der 70er-, 80er-Jahre war es auch für mich ganz selbstverständlich mit Maschinen und Geräten umzugehen. Natürlich gab es auch hier eine Arbeitsteilung im Sinne von Traktor oder Küche, aber meine technische Kompetenz wurde einfach nie in Frage gestellt, sondern sogar erwartet.

Sie waren mehr auf dem Traktor?

Ich war in beiden Bereichen gleich viel unterwegs.

Wann haben Sie selbst angefangen, über Geschlechterrollen nachzudenken?

Irgendwann in der Schulzeit. Genauer kann ich es nicht sagen. Angestoßen wurde das natürlich auch durch Alltagserlebnisse. Aber damals hätte ich Chancenungleichheit noch nicht als Strukturproblem gesehen, das überhaupt eine Relevanz hat.

Zum Beispiel?

Eine Fahrradralley. Alle hatten die gleichen Aufgaben, aber die Gewinne für Mädchen und Jungs waren ganz verschieden. Das, was auf der Jungsseite lag, war einfach toll. Sportgeräte, Zelte, interessante Dinge. Auf der Mädchenseite lagen Ministeck, Schmuckkasten und Regenschirm. Natürlich liebe ich auch Schmuck und Regenschirme - und Ministeck vielleicht auch. Aber ich hätte gern die Wahl gehabt.

Vor Ihrem Physikstudium war Ihnen aber bewusst, dass Sie sich dort eher in der Gesellschaft von Sportgeräten, als im Bereich Schmuckkasten und Ministeck befinden werden.

Ja.

War das für Sie ein Thema?

Nicht wirklich. Ich hatte zum Beispiel in der Mittelstufe meinen damaligen Physiklehrer gefragt, was er denn dazu meinen würde, wenn ich den Physik-Leistungskurs wählen würde. Und da antwortete er: Wer wenn nicht du? Er hat in keiner Weise thematisiert, dass ich ein Mädchen bin. Den Physik-Leistungskurs wiederum hat eine Frau unterrichtet. Sie trat sehr stark ein für Mädchen in Männerberufen und hat damit die Gleichberechtigung stärker thematisiert und problematisiert als ich selbst zum damaligen Zeitpunkt.

An der Uni war die Gleichheitsberechtigung dann nicht mehr so selbstverständlich?

Als Fachschaftsvertreterin musste ich zum Beispiel die Geschichte einer Kommilitonin erfahren, die immer sehr, sehr gute Noten hatte. Ein einziges Mal, das sie in einer Prüfung schlechter abschnitt, führte dann dazu, dass ihr von ihrem studentischen Umfeld die Kompetenz abgesprochen wurde, Physik studieren zu können. Und sie hat dann abgebrochen.

Wie sind Sie selbst damit umgegangen, dass Frauen zum Teil, wie Sie sagen, "die Kompetenz abgesprochen wird"?

Am kritischsten ist das auf der Ebene des Lernens. In den Naturwissenschaften sind Arbeitsgemeinschaften sehr wichtig, das meiste wird hier erarbeitet. Es gab durchaus Gruppen, in denen meine Leistung geschmälert worden wäre - einfach weil ich eine Frau bin. Ich habe mir dann gezielt Arbeitsgruppen ausgesucht, von denen ich nicht den Eindruck hatte, dass es so läuft.

Ahnten Ihre männlichen Kommilitonen, welche Umstände Sie machen mussten?

In meinem näheren Umfeld war das schon ein offen diskutiertes Thema.

Was hätten Sie sich damals gewünscht?

Lehrveranstaltungen, in denen die gesellschaftlichen Aspekte der Physik thematisiert werden. Ich hätte gerne nicht nur Atomphysik gelernt, sondern auch etwas über die Kernenergiepolitik. Ich wollte nicht nur wahrnehmen, es gibt 90 Prozent Männer, sondern ich hätte gern Lehrveranstaltungen besucht, in denen danach gefragt wird, warum das so ist.

Heute gibt es solche Veranstaltungen - von Ihnen selber.

Ja, im Rahmen meiner Gastprofessur biete ich Lehre an zur Wissenschaftssoziologie und zu den Gender Studies in Naturwissenschaften und Technik. Diese Veranstaltungen können die Studierenden im freien Wahlbereich besuchen.

Sie sind also nicht Pflicht?

Bislang nicht.

Das würden Sie sich aber wünschen?

Natürlich.

Ist das realistisch?

Das weiß ich nicht. Ich selbst bin auch von meinem Aufenthalt als Gastwissenschaftlerin am Massachusetts Institute of Technology in den USA geprägt, einer der renommiertesten Universitäten weltweit für naturwissenschaftlich-technische Forschung. Dort war im Physikstudium Pflicht, zu einem größeren Anteil auch gesellschafts- und geisteswissenschaftliche Lehrveranstaltungen zu besuchen. Unmöglich ist es also nicht.

Wie groß ist hier das Interesse der Studenten?

Das hängt auch davon ab, wie gut die Veranstaltungen in die Studienpläne passen. Sehr gut besucht sind Seminare zu soziologischer Theoriebildung, aber auch die Veranstaltung "Sciencefiction und Wissenschaft".

Worum geht es da?

Zum Beispiel darum, wie wir uns Gesellschaft, also auch Rollenbilder, vorstellen, meinetwegen im Weltraum. Und auch, mit welchen technischen Entwicklungen diese Vorstellungen von Gesellschaft verbunden sind.

Nehmen an Ihren Lehrveranstaltungen wirklich Physiker teil? Wer sich für die Gesellschaft und ihre Geschlechterrollen interessiert, studiert doch eher Soziologie …

Doch, es nehmen auch Studenten aus den Naturwissenschaften teil. Es gibt tatsächlich auch von Seiten der Studierenden die Nachfrage, gesellschaftliche Inhalte zu thematisieren - also ähnlich, wie das bei mir war. Ich denke, dass Technik und die soziale Ordnung immer miteinander in Zusammenhang stehen. Die Frage etwa, ob wir Windräder aufstellen, ist nicht nur eine technische Frage, sondern auch eine gesellschaftliche, die die Geschlechter betrifft.

Das müssen Sie erklären.

Am Beispiel der Windenergie kann man gut sehen, dass es sehr unterschiedliche Phasen gab, in denen sich die Technologie etabliert hat. Zu Anfang war es eine Antibewegung gegen die bereits existierende Technologien. Mittlerweile ist es selbst eine etablierte Technologie. Auch da ist dann die Frage: An welchen Stellen engagiert sich wer für diese Technologie, und wer ist beteiligt oder nicht?

Und was haben jetzt Windräder mit Männern und Frauen zu tun?

Ich würde vermuten, dass sich am Anfang sehr viele Frauen für die Frage der Energieversorgung eingesetzt haben. Aber die Entwicklung der Technologien ist auf Grund der Pfadabhängigkeit …

… nach der Dinge den Weg gehen, den sie immer schon genommen haben …

… hauptsächlich in Männerhänden. Am Anfang einer Entwicklung sind meist mehr Frauen beteiligt, als später, weil dann die Machtstrukturen greifen.

Wenn es ökonomisch interessant wird?

Genau.

Das Problem liegen also auch in der Struktur?

Ja. Ein Beispiel dafür ist eine Fragestellung aus meiner Doktorarbeit zur Physikausbildung: Ich ging davon aus, dass es in der experimentellen Physik noch mehr Männer gibt, als in der theoretischen - das berühmte Radiobasteln machen vor allem die Jungen. In der Bewerbungsphase um einen Studienplatz an der von mir untersuchten Elite-Universität in den USA ist es auch tatsächlich so, dass sich mehr Männer für die Praxis bewerben. Doch am Ende fand sich ein höherer Anteil von Männern in der theoretischen Physik wieder. Warum? Das lag an den Auswahlprozessen, also angefangen bei den Auswahlgesprächen bis hin zur dauerhafteren Integration in die Arbeitsgruppen. Die Erklärung dafür ist, dass es einen Prestigeunterschied zwischen der theoretischen und der praktischen Physik gibt. Der theoretische Bereich, also der, in dem weniger Frauen zu finden sind, ist höher angesehen.

Wie ließe sich das ändern?

Es ist wichtig, nicht die Frauen verändern zu wollen. Sondern der Blick auf die vermeintlichen Eigenschaften von Frauen muss sich ändern. Das lässt sich zum Beispiel bei der Bewertung von Veröffentlichungen umsetzen. Bislang ist immer klar: Diese Abschlussarbeit oder diese Publikation ist von einem Autor oder einer Autorin. Wäre das den bewertenden Personen nicht bekannt, würde es ein Stück Gleichheit mehr geben.

Sie geben nicht nur Lehrveranstaltungen, sie forschen auch - im Bereich Nanotechnologie. Kann die die Rollen der Geschlechter verändern?

Die Nanotechnologie hat aus mehreren Gründen eine gute Chance, die Berufsbilder von Naturwissenschaften und Technik zu verändern. Sie ist ein Bereich, der sich noch im Aufbau befindet. Und wir sind an einem historischen Zeitpunkt angelangt, an dem die Berufsbilder und Zuschreibungen von geschlechterbezogenen Kompetenzen stark hinterfragt werden. Ich sehe daher durchaus Chancen, dass es eine höhere Beteiligung von Frauen geben wird.

Ist die Gleichstellung irgendwann abgeschlossen?

Ich hoffe.

Wann?

Das kann ich nicht sagen. Wenn es so weitergeht wie bisher und man dem Deutschen Wissenschaftsrat folgt, liegt die derzeitige Prognose bei etwa neunzig Jahren. Jedenfalls zu langsam. Denn die neunzig Jahre gelten nicht für die Fächer, in denen der Anteil von Frauen von vornherein sehr gering ist. Ich hoffe, dass es schneller geht.

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