Montagsinterview Finanzsenator Thilo Sarrazin: "Ich bin nicht in der Politik, um Leute zu ärgern"
Thilo Sarrazin kürzt die Ausgaben des Landes Berlin zusammen. An markigen Sprüchen jedoch spart der Finanzsenator nicht. Denn durch Zuspitzungen könne man viel bewegen, glaubt der Sozialdemokrat.
taz: Herr Sarrazin, waren Sie schon bei der Bank?
Thilo Sarrazin: Nein. Wieso sollte ich?
Sie könnten Ihr Geld abheben und in Sicherheit bringen.
Ich gehe normalerweise nur zum Automaten. Der hat mir bisher noch immer Geld gegeben. Ich glaube auch, bei deutschen Banken sind private Vermögen relativ sicher eingelegt. Da kann man ruhig 100.000 Euro auf dem Konto haben, es passiert nichts.
Sie haben sich im Jahr 2000 schon mal verspekuliert und ordentlich Geld verloren. Wollen Sie das wiederholen?
Ich hatte mich eigentlich nie in Aktien engagiert, weil ich es lästig fand, mich ständig um irgendwelche Kurse zu kümmern. 1999 kauften aber alle Aktien. Ich dachte: Es kann nicht sein, dass ich als Einziger Recht habe und alle anderen Unrecht. Das war eines der wenigen Male in meinem Leben, bei dem ich mich der Mehrheitsmeinung gebeugt habe. Und prompt ging es schief. Ein Jahr später hatten die Aktien 25 Prozent an Wert verloren.
Sie sind dafür bekannt, eigene Positionen offensiv zu vertreten. Sie mischen sich in öffentliche Diskussionen ein, gerne auch durchaus provokant.
Nicht jede Meinung, die mir so als virtuellem Stammtischteilnehmer durch den Kopf spukt, gebe ich gleich öffentlich preis. Weit entfernt! Ich würde mir niemals anmaßen, die kommende Wintermode zu beurteilen oder eine Mozart-Aufführung. Aber ich glaube schon, dass ich in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen eine gewisse Erfahrung und eine gesunde Urteilskraft habe. Und das teile ich mit.
Woran hakt es in den Debatten Ihrer Ansicht nach?
Meinungsbildungsprozesse mit eingebauter Wahrheitsgarantie gibt es nicht. Eine öffentliche Debatte ist bestimmt durch Interessen. Es ist keineswegs so, dass am Ende das zum Zuge kommt, was aus übergeordneten Gesichtspunkten richtig wäre. Wenn man auf einem Gebiet Sachkenner ist, weiß man, wie oberflächlich zahlreiche Debatten verlaufen.
Zum Beispiel?
Schauen Sie sich die Finanzmarktkrise an. Niemand war auf diese Entwicklung vorbereitet, obwohl über die damit verbundenen Fragen ununterbrochen geredet wurde.
Das ist misslich.
Die Welt als solche ist eine ziemlich missliche Einrichtung. Aber man muss sie so nehmen, wie sie ist. Sicher, ich könnte jetzt auch die allgemeine Unbildung verurteilen, die Lesefaulheit, dass alle Menschen Hansi Hinterseer gucken und nicht anspruchsvolle Kulturmagazine. Soll ich deshalb heiße Tränen weinen?
Stattdessen mischen Sie sich in Diskussionen ein?
Wenn ich mich auskenne und inhaltlich etwas beitragen kann, dann ja.
Die Bahn-Reform war so ein Fall.
Ich habe mich jahrzehntelang beruflich mit Verkehrs- und Eisenbahnfragen befasst. Mehdorns Konzept der Privatisierung konnte ich nicht akzeptieren. Ich habe mich veranlasst gesehen, in die öffentliche Diskussion einzugreifen. Am Ende hatte ich damit Erfolg. Mehdorns Modell wurde abgelehnt.
Das ist ein positives Beispiel für Ihre Diskursfreudigkeit. Sie sind aber häufig auch mit flapsigen Sprüchen aufgefallen, die viele schlicht als diskriminierend empfanden.
Man muss die Dinge auf den Punkt bringen. In Ihrer Zeitung habe ich mal gesagt: "In keiner Stadt laufen so viele Menschen in Trainingsanzügen herum wie in Berlin." Ich will das hier nicht wiederholen, nur zitieren. Das gab einen Berlin-weiten Aufruhr. Natürlich ist die Aussage richtig, der Berliner Kleidungsstandard ist schon ein besonderer. Diese Beobachtung, die viele als kleinlich empfanden, weist auf tiefer liegende Sachverhalte hin. Die habe ich anschaulich auf den Punkt gebracht.
Sie haben damit eine gewisse Geringschätzung für die Berliner ausgedrückt.
Das ist Ihre Interpretation. Der Ausdruck hätte ja auch heißen können: Es gibt in Berlin außerordentlich viele sportliche Jogger. Sie haben es aber nicht so verstanden. Sie haben eine völlig offene Äußerung interpretiert. Nicht ich habe das getan.
Aber Herr Sarrazin, Sie sind doch Profi und wissen, wie so ein Spruch verstanden wird.
Ich habe vermutet, dass Sie nicht zuerst an die Jogger denken.
Warum sagen Sie dann so was?
Manche Äußerungen sollte man nicht weiter deuten. Ein Schriftsteller tut auch gut daran, sein eigenes Werk nicht zu interpretieren, sondern es einfach wirken zu lassen. Nehmen Sie dies als ein schriftstellerisches Kurzwerk des Thilo Sarrazin und gestatten Sie mir die künstlerische Freiheit, es nicht weiter zu interpretieren.
Dann fragen wir allgemeiner: Warum lassen sie so oft provokante Bemerkungen fallen?
Wissen Sie: Ich bin gut in Zahlen. Man kann die Menschen mit Zahlen bombardieren, aber nicht mal Finanzleute interessieren sich wirklich dafür. Wer etwas verändern will, muss die Gemüter bewegen. Ich bin aber nicht der Typ für feurige Ansprachen. Um die Menschen zu erreichen, hat es sich gezeigt, dass eine Zuspitzung auf ein Detail häufig extrem viel bewirkt. Wenn Sie an die Dinge heranwollen, dann müssen Sie den Kern der Sache anschaulich auf den Tisch bringen. Ich tue das nicht zielgerichtet. Meist merke ich erst hinterher, dass eine Sache besonders griffig war.
Tatsächlich?
Natürlich. Die prägnantesten Äußerungen kommen ungeplant. Ich sitze doch nicht in meinem Büro und überlege: Gleich kommt die taz. Da erzähle ich mal was von Trainingsanzügen.
Dieses Klartextreden, ist das eine Rolle?
Nein. Ich bin wirklich so. Meine Mitarbeiter wissen das.
Im vergangenen Jahr sind Sie vor allem mit provokanten Sätzen zu sozial Schwachen aufgefallen. Für Arbeitslose haben Sie einen Speiseplan kreiert und dann gesagt, Untergewicht sei deren geringstes Problem. Auch da schwang Geringschätzung mit.
Das sind Ihre eigenen Konnotationen, die Sie mitbringen. Das hat mit den Fakten nichts zu tun. Bestimmte Reaktionen sagen mehr über die aus, die reagieren, als über mich.
Es bleibt der Eindruck, dass Sie auf die Schwachen draufhauen, und das als SPDler. Was an Ihnen ist eigentlich sozialdemokratisch?
Der Eindruck ist falsch. Aber unabhängig davon, ob jemand Sozialdemokrat oder Freidemokrat oder Plutokrat oder Bürokrat ist: Weiter kommt man nur, wenn man an der Wirklichkeit ansetzt. Wer eine Diskussion anstoßen will, muss genau auf jene Ausschnitte abheben, die sonst ausgeblendet werden. Nur das führt weiter.
Sie schwächen damit sozialdemokratische Positionen.
Weshalb? Wir alle in der SPD wollen, dass das Arbeitslosengeld II einen menschenwürdigen, auskömmlichen Lebensstandard ermöglicht. Was habe ich da geschwächt?
Sie bedienen das dumpfe Klischee vom faulen, disziplinlosen Hartz-IV-Empfänger.
Das stimmt nicht. Stellen Sie alle meine Äußerungen nebeneinander, Sie werden da kaum ein Klischee finden. Das Klischeebild ist in den Köpfen der Zuhörer.
Warum sind Sie in der SPD, nicht in der FDP?
Weil ich 1973 eingetreten bin und das die richtige Entscheidung war.
Das klingt jetzt aber nüchtern. Haben Sie kein Anliegen?
Also: Wenn die Gesellschaft nach den Sarrazinschen Regeln funktionieren würde, dann hätten wir eine Gesellschaft mit weniger unzufriedenen Menschen und weniger Arbeitslosen.
Ob wir das erleben wollen, einen Sarrazinschen Staat …
Das meine ich jetzt zu 85 Prozent ernst. Ein Resthumor muss dabei bleiben.
Sie haben mal gesagt, Sie seien ein "innengeleiteter Mensch". Was meinten Sie damit?
Das bedeutet, dass man nach der eigenen Uhr tickt und handelt und nicht primär nach den Moden und Strömungen des sozialen Umfelds.
Sie meinen, viele Leute trauen sich nicht, auf die eigene Stimme zu hören?
Genau. Das bedingt einen großen Stillstand in der Welt. Denken Sie an die demokratischen Umwälzungen in der DDR. Demonstrationen gegen die Fälschungen der Kommunalwahlen im Mai 1989 fanden regelmäßig auf dem Alexanderplatz statt. Bis Mitte September nahmen nur 100 bis 120 Menschen daran teil. Mehr nicht. Weil die meisten - und da wären Westdeutsche nicht anders - sich scheuen, in einem feindlichen Umfeld ihre Meinung offen zum Ausdruck zu bringen. Sie befürchten, dass ihnen daraus Nachteile erwachsen. Darum gibt es immer einen Herdentrieb, dem die meisten unauffällig folgen.
Und Sie sind einer der wenigen, die diesem Trieb widerstehen?
Ich will mich nicht zu einem besseren Menschen machen, als ich bin. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten hätte im Sommer 89 in der DDR. Aber ich fand es immer befriedigend, für meine Positionen zu kämpfen.
Sie werden für diese Positionen regelmäßig beschimpft. "Verbalen Amoklauf" hat man Ihnen vorgeworfen. Und es gab sogar Rücktrittsforderungen aus der eigenen Partei. Stört Sie das nicht?
Doch, so etwas ist niemandem egal. Aber man muss da unterscheiden. Wenn ich Einsparungen ankündige, freut sich keiner meiner Senatskollegen. Diese Kritik ertrage ich gerne. Wenn ich aber wie bei meinen Äußerungen zum Mindestlohn …
… Sie sagten in einem Interview, sie würden für 5 Euro die Stunde jederzeit arbeiten. Die SPD setzt sich aber für einen Mindestlohn von 7,50 Euro ein.
Wenn ich damit ungeplant Irritationen hervorrufe, ist das tatsächlich nicht gut. Ich bin ja nicht in der Politik, um möglichst viele Leute zu ärgern, sondern um Ziele zu erreichen.
Sie wachen streng über den Landeshaushalt und wollen die Ausgaben weiter senken. Sind Sie selbst ein Asket?
Nein. Viele Dinge interessieren mich einfach nicht. Ich bin gerne ordentlich angezogen, aber von welcher Marke mein Anzug ist, spielt für mich keine Rolle. Ob ich Urlaub in der Karibik oder auf Mallorca machen würde, wäre mir egal. Ich sitze sowieso nur rum und lese. Das Wichtigste ist, dass ich ein gutes Buch habe.
Sie sind jetzt 63. Können Sie sich vorstellen, irgendwann einfach nur noch auszuspannen?
Mit dem Begriff konnte ich noch nie etwas anfangen. Ich bin nicht ständig angespannt, also muss ich auch nicht ständig ausspannen. In Bezug auf meine Gesundheit mache ich nachhaltige Politik. Und ich hoffe, dass ich noch lange geistig fit bin. Mein Vorbild ist Helmut Schmidt. Oder auch mein eigener Vater, der ist jetzt 94 und bei guter Gesundheit.
Womit würden Sie Ihre Tage füllen? Haben Sie Hobbys?
Den Begriff Hobby hasse ich.
Okay. Sagen Sie uns trotzdem, was Sie machen, wenn Sie mal pensioniert sind?
Ich kann Ihnen höchstens sagen, was ich nicht tun will. Ich werde keinen Gemüsegarten anlegen. Ich werde auch niemals dasitzen und jeden Tag vier DVD-Filme gucken. Ich werde auch keinen Marathon laufen. Der Rest wird sich dann schon entwickeln.
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