Montagsinterview: Dota Kehr, Musikerin: "Straßenmusik hat etwas Trotziges"
Dota Kehr spielt mit ihrer Band Stadtpiraten Songs aus dem Bauch der links-alternativen Szene. Und hat damit erstaunlichen Erfolg - obwohl sie die üblichen Marktgesetze des Popgeschäfts missachtet.
taz: Frau Kehr, singen Sie am liebsten für Lohas?
Dota Kehr: Lohas? Was ist das?
Dota Kehr wurde am 14. September 1979 geboren. Mit 14 Jahren begann sie, mit irehm Saxofon auf Jahrmärkten aufzutreten, erst mit 21 lernte sie, Gitarre zu spielen. Bei der Straßenmusik aber blieb sie und erwarb sich den Ehrennamen "Die Kleingeldprinzessin". So heißt auch das erste, 2003 im Selbstverlag erschienene Album von Dota und die Straßenpiraten.
"Bis auf den Grund" ist das nun schon achte Album, veröffentlicht auf ihrem eigenen Label Kleingeldprinzessin Records. Immer noch kümmert sie sich selbst um Gestaltung, Merchandising und große Teile des Vertriebs, immerhin die Promotion hat sie an eine Agentur vergeben. Auf dem neuen Album sind die Bossa-Nova-Einflüsse, mit denen sie bekannt wurde, kaum noch zu hören. Stadt dessen spielen die Stadtpiraten einen zwar unspektakulären, aber versierten Folk Rock, den sie mit Elementen aus Jazz und Kirmesmusik ergänzen.
Die Liebe zu südamerikanischer Musik stammte noch aus ihrer Kindheit: Ein tragisch verunglückter Baysitter der Familie Kehr, ein Brasilianer namens Carlos, hatte eine Kassette hinterlassen: Elis Regina singt Jobim. Die konnten die kleine Dota auswendig mitsingen, ohne ein Wort portugiesisch zu sprechen. Später hat sie in Brasilien und Ecuador gelebt.
Ihre neue Platte stellt Dota Kehr am 20. und 21. Mai im Lido in Kreuzberg vor. Informationen unter www.kleingeldprinzessin.de.
Die Abkürzung steht für "Lifestyle of Health and Sustainability"…
Aha.
Das bezeichnet jene Menschen, die durch ihr Konsumverhalten die Nachhaltigkeit befördern wollen.
Ich hab den Begriff noch nie gehört.
Viele von denen leben in Prenzlauer Berg, die sogenannte Bionade-Boheme.
Ja, vielleicht singe ich für die. Jedenfalls bin ich Teil einer Generation, die sich mit solchen Fragen auseinandersetzt - aber leider auch keine Lösung weiß.
Sind Sie die Stimme einer links-alternativen Szene?
Ich will nicht die Stimme von wem auch immer sein. Aber ich bin auch kein Zyniker. Ich sage nicht, dass man eh nichts verändern kann. Ich glaube daran, dass man diese Welt mit seinen Entscheidungen beeinflusst, mit seinen Konsumentscheidungen genauso wie mit seinen politischen Entscheidungen. Ich glaube, dass Engagement zu was führt. Dass man die Welt verändern kann, um sie mit seinen Idealen in Einklang zu bringen.
Wie politisch wirksam kann Musik werden?
Über die Wirksamkeit mache ich mir keine Gedanken. Ich schreibe ja erst mal aus einem inneren Bedürfnis heraus. Aber wenn ich eine kurze Antwort geben soll: Ja, Lieder können die Welt verändern. Zumindest an dem einen Abend und in dem Raum, in dem sie gespielt werden.
Sie schreiben Lieder, in denen eine Veränderung gefordert wird. In "Utopie"…
… das ist ein Text von der neuen Platte, mit dem ich ganz zufrieden bin. Aber ich würde nicht sagen, dass ich darin eine Veränderung der Welt in einem bestimmten Sinne fordere. Das Lied sagt erst mal nur: "Die Welt ist nicht so, wie du sie vorfindest, sie wurde so gemacht aus bestimmten Interessen. Und wenn du andere Interessen hast, dann kannst du die Welt auch verändern." Aber wie die dann genau aussehen sollte, das überlasse ich jedem Hörer selber. Ich bin keine Predigerin.
Immerhin heißt es in dem Lied: "Geld ist Tyrannei". Und in einem anderen Song wird das Leben beschrieben als Dilemma "zwischen vertraglicher Bindung und der Überwindung der Monotonie".
Ich schreibe eben über die Konflikte, in die man gerät, wenn man seine eigenen Ideale mit der Realität abgleicht.
In Ihren Texten beschreiben Sie diese Konflikte sehr differenziert und wie es ist, mit solchen Konflikten zu leben. "Die Scheiben sind blank, es sieht wie Freiheit aus von hier", heißt es in "Glashaus", "Du zeigst die Zähne, wie ein Lächeln sieht es aus". Besteht da nicht die Gefahr, denen, die diese Konflikte mit sich herumtragen, gleich auch die Rechtfertigung mitzuliefern, nichts zu tun?
Ja, vielleicht ist das eine Gefahr. Dass man sich sagen kann: "Jetzt hab ich den Konflikt aber schön beobachtet an mir, prima." Aber was soll ich anderes machen: Unpolitische Texte schreiben? Mich gar nicht damit beschäftigen? Dazu beschäftigen mich diese Sachen zu sehr. Es wäre unehrlich, nicht darüber zu sprechen und alle gesellschaftlichen Themen auszusparen. Und der innere Konflikt des Einzelnen ist der zugänglichste Ansatz für ein politisches Lied. Denn über Themen, die weiter weg passieren, lässt sich schwer schreiben. Ein Lied braucht einen emotionalen Bezug zu einem Thema.
Trotzdem stehen Sie mittlerweile für ein bestimmtes politisches Programm.
Ich weiß gar nicht, wie weit ich selber politisch bin. Ich bin informiert, ich lese Zeitung, auch die taz übrigens, ich bin interessiert, ich hab auch meine Meinungen. Aber ich glaube nicht, dass meine Ansichten relevanter sind, nur weil ich auf einer Bühne stehe und ein paar Lieder singe. Ich glaube nicht, dass ich irgendjemanden belehren kann. Aber natürlich ist es auch kein Zufall, dass gerade die Leute zu meinen Konzerten kommen, die zu meinen Konzerten kommen. Sie kommen ja vielleicht auch wegen der Aussagen. Da ergibt sich aber natürlich sofort das Akklamationsproblem.
Das Akklamationsproblem?
Ja, der Gesinnungsapplaus. Kunst ist ja mehr als nur der Inhalt. Meine Lieder sollen zunächst durch Reime und Metaphern und Melodien ihre Existenz rechtfertigen. Nicht, dass mir der Inhalt egal wäre, überhaupt nicht. Aber die Qualität eines Songs sollte sich nicht an der Aussage messen lassen.
Nach der Akklamation kommt oft die Vereinnahmung.
Ja, das kommt ziemlich oft vor. Es gibt Menschen, die in meine Texte etwas hineinprojizieren. Sie unterstellen mir eine Radikalität, die ich nie behauptet habe. Oder man wird in eine Ecke gedrängt, in der man sich nie gesehen hat.
Wie äußert sich das konkret?
Dass Parteien wollen, dass wir bei ihnen auftreten. Es gab Anfragen von SPD, von der Linkspartei und von den Grünen. Mehrmals. Aber ich habe immer abgelehnt. Ich will mich nicht vereinnahmen lassen. Andererseits habe ich zum Beispiel für Attac, Amnesty und Greenpeace gespielt. Von denen wird man natürlich auch funktionalisiert, um Leute anzuziehen und für ein Anliegen zu interessieren. Aber dieses Anliegen ist dann ziemlich klar definiert und ich kann entscheiden, ob ich dahinter stehe. Und Parteien haben natürlicherweise ein Machtstreben. Da will ich mich nicht einspannen lassen.
Dabei bleibt es aber nicht?
Nein. Oft gibt es Bitten, ob jemand einen Stand aufstellen und Infozettel verteilen darf. Das finde ich in Ordnung. Dann gibt es die Bitte, Leuten auf der Bühne Redezeit zu geben. Da hab ich schon meine Probleme mit. Und dann soll man noch selber was auf der Bühne sagen, etwa einen Demotermin ansagen.
Es ist wahrscheinlich sehr schwierig, Nein zu sagen.
Wahnsinnig schwierig. Man ist sofort auf der moralisch falschen Seite. Denn meistens sind das ja Sachen, hinter denen ich auch stehen kann. Aber ich will es trotzdem nicht im Konzert haben, weil es da ein Fremdkörper ist. So ein Infostand ist ja okay, und ich hab auch schon mal eine Demo angesagt. Aber wenn ich auf der Bühne ein Statement abgeben soll, dann frag ich mich schon, wozu? Zum Beispiel gegen Studiengebühren. Ich bin gegen Studiengebühren, und alle, die gekommen sind, sind auch dagegen. Soll ich das sagen, damit sich alle noch mal bestätigt fühlen? Das ist doch sinnlos.
Als politische Aussage lässt sich auch verstehen, dass Sie von Anfang an ohne Plattenfirma operieren und so weit wie möglich alles selbst organisieren.
Ob das schon Politik ist, weiß ich nicht. Aber es war eine bewusste Entscheidung. Als ich 2002 die allerersten Demoaufnahmen gemacht hatte, hab ich sie an ein paar Labels geschickt. Und wieder zurückbekommen. Klar hätte ich es weiter probieren können, aber ich hab mir dann überlegt: Warum diese Material- und Zeitverschwendung weiterbetreiben, um entdeckt zu werden? Am Ende wird man von jedem Hörer einzeln entdeckt. Also hab ich meine CDs zu Hause auf dem Rechner gebrannt und sie auf den Konzerten verkauft. Das ging so sechs Monate. Dann hatte ich schon genug Geld, um sie pressen zu lassen. Und dann kamen auch Anfragen von Labels. Plötzlich wollten die was von mir - aber da wollte ich nicht mehr.
Waren die Schecks einfach nicht groß genug?
So weit kam es gar nicht, weil ich es dann gar nicht erst erwogen habe. Ich hatte einen Widerwillen entwickelt.
Dafür müssen Sie nun die CDs zu Hause lagern.
Ja. Das ist ein kleines Übel - aber schon blöd, wenn man im fünften Stock ohne Aufzug wohnt. 5.000 CDs nehmen ganz schön Platz weg. Zum Glück hab ich aber auch ein paar bei Freunden in den Keller stellen können. Und man kann sich schöne Flurregale aus den CDs bauen und was darauf ablegen.
Dota & Die Stadtpiraten werden gern mit der Band Wir sind Helden verglichen.
Ja, der Vergleich kommt ständig. Aber warum? Nur weil eine Frau singt und drei Männer begleiten? Ich mag Wir sind Helden, ich finde Judiths [Holofernes, die Sängerin der Band, d. Red.] Texte sehr gut. Aber ich verstehe den Vergleich nicht ganz.
Es gibt schon ein paar mehr Parallelen. Die Konsumkritik …
Ich glaube zwar tatsächlich daran, dass kritischer Konsum etwas verändern kann. Aber Konsumkritik ist doch längst ein Allgemeinplatz geworden.
Sie unterhalten ein sehr ähnliches Publikum. Allerdings haben Wir sind Helden ungleich mehr Erfolg. Kommt da Neid auf?
Neulich stand ich neben dem Sänger Peter Fox an der Ampel. Ich hab ihn angeguckt und gedacht: "Oh, der Arme. Ich erkenne dich sofort. Jeder erkennt ihn sofort." Nein, da bin ich überhaupt nicht neidisch. Das ist doch total einengend, in dieser Größenordnung gibt es einen ganz anderen Erwartungsdruck. Ich bin sehr zufrieden mit der Größe, die wir jetzt haben. Es wächst langsam, es kommen immer mehr Leute zu den Konzerten. Ich kann davon leben, aber ich bin immer noch total frei in dem, was ich künstlerisch mache.
Ist es eine große Genugtuung, es nach den eigenen Spielregeln geschafft zu haben?
Es läuft gut. Da wäre es schwer, keine Genugtuung zu empfinden. Na ja, die Leute kaufen keine CDs mehr, das Lamento hört man ja überall. Aber bei uns wissen die Leute: Das Geld für die CDs geht direkt in die nächste Platte. Da wird kein großer Apparat finanziert. Vielleicht beeinflusst das die Entscheidung, doch eine CD zu kaufen statt sie zu brennen.
Obwohl es gut läuft: Machen Sie sich Gedanken, wie lange Sie von Musik leben können?
Ja. Momentan macht es zwar viel Spaß, aber es ist auch extrem anstrengend. So anstrengend, dass ich mir vorstellen kann, dass es in fünf Jahren keinen Spaß mehr macht. Oder in zehn Jahren.
Deshalb haben Sie Ihr Medizinstudium abgeschlossen?
Ich hab meinen Abschluss. Aber ich kann noch nicht als Ärztin arbeiten, ich müsste erst noch eine Facharztausbildung machen.
Geht es Ihnen damit besser, wenigstens einen Abschluss zu haben?
Ja, sehr. Vielleicht war ich nur zu feige, das Studium abzubrechen und mich ganz aufs Künstlerdasein einzulassen. Das liegt mir wohl nicht. Ich kann auch kein Handwerk, ich könnte keinen Gitarrenunterricht geben. Ich lebe davon, was mir einfällt. Wenn ich den Druck spüren würde, dass ich davon leben muss, würde mir vielleicht nichts mehr einfallen.
Notfalls bleibt ja die Straßenmusik.
Das hab ich schon seit Jahren nicht mehr gemacht.
Klingt ein bisschen wehmütig.
Ich vermisse die Straßenmusik schon. Man braucht keinen großen Plan, man geht einfach raus und macht Musik. Das ist eine große Freiheit. Im normalen Musikerdasein fühlt man sich manchmal eingesperrt hinter den Gitterstäben des Kalenders, in dem sich schon der Oktober mit Terminen füllt, obwohl erst März ist.
Ist Straßenmusik nicht ein hartes Brot?
Klar, in den Augen vieler Menschen steht Straßenmusik auf derselben Stufe wie Betteln. Aber es ist etwas ganz anderes. Straßenmusik hat etwas Trotziges. Weil einen viele Leute hören, die einen eigentlich nicht hören wollen. Aber es ist auch die allerrechtschaffenste Art, Geld zu verdienen. Erst wird gespielt, und dann geben die Leute was. Oder auch nicht. Und wenn, dann so viel, wie es ihnen wert war.
Was haben Sie auf der Straße gelernt?
Man lernt, selbstbewusst zu werden. Sich hinzustellen und zu sagen: So, das ist mein Lied, hört euch das mal an. Aber ansonsten ist die Situation eine ganz andere als auf der Bühne. Auf der Straße muss man die Leute schnell überzeugen. Auf der Bühne kann man sich mehr Zeit lassen und auch leisere Lieder spielen. Auf der Straße muss man alles so laut singen, wie es geht.
Ihren Beinamen haben Sie auch der Straßenmusik zu verdanken: Dota, die Kleingeldprinzessin.
Ja, aber seit Jahren versuch ich den Namen loszuwerden. Das klingt so nach Kindertheater. Seit 2005 steht der Name nicht mehr auf den Platten oder auf den Plakaten. Das wird von den meisten Leute geflissentlich ignoriert. Aber mir ist der Name schon lange viel zu niedlich. Na ja, es stört mich nicht groß. Wenn mich Leute so nennen wollen, sollen sie das tun.
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