Montags-Interview: "Als was betrachten Sie mich?"
Der Hamburger Anwalt Ünal Zeran ist nicht bereit, sich mit den gängigen Schubladen abzufinden. So wenig wie mit dem alltäglichen Rassismus.
taz: Können Sie sich an den Moment erinnern, an dem Rassismus für Sie zum Thema wurde, Herr Zeran?
Ünal Zeran: Bei mir war es die Feststellung, dass man hier nicht immer willkommen ist, dass man so etwas als Jugendlicher zu spüren bekommt. Dann wurde die Hamburger Neonazi-Szene in den 80er Jahren ziemlich stark, und zum 100. Geburtstag von Adolf Hitler wurde bundesweit lanciert, dass man alle Türken angreifen solle. Damals sagten meine Eltern, ich sollte nicht U-Bahn fahren.
Die breite Öffentlichkeit scheint damals nicht Notiz von dieser Bedrohung genommen zu haben.
Damals sprach man nur von Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit. Erst Anfang der 90er ist innerhalb der linken Spektren überhaupt thematisiert worden, dass es so etwas wie Rassismus gibt.
Warum ist es so wichtig, zwischen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus zu unterscheiden?
Rassismus und Ausländerfeindlichkeit drücken zwei ganz unterschiedliche Positionen aus: Ausländerfeindlichkeit ist verniedlichend. Der Begriff Rassismus wurde historisch bedingt in Deutschland nicht in den Mund genommen. Man hat versucht, Umschreibungen zu finden wie Ausländerfeindlichkeit, Xenophobie, heute auch Diskriminierung, um bloß nicht in die Ecke von Faschismus und Nationalsozialismus gerückt zu werden.
40, geboren in der Türkei, ist seit 2002 Anwalt in Hamburg und beschäftigt sich vor allem mit Zuwanderungsrecht, Verstößen gegen das Zuwanderungsrecht und Familienrecht. Er gehört zu der Initiative "Gedenken an Ramazan Avci", die sich für einen Erinnerungsort für den 1986 in Hamburg von rechten Skinheads getöteten Avci einsetzt.
Hat sich zumindest auf diesem Gebiet etwas getan - heute wird ja von Rassismus gesprochen?
Das war einmal selbstverständlicher und muss wieder selbstverständlich werden. Anfang der 90er gab es den Versuch, den Begriff zu platzieren und das ist bis Ende der 90er Jahre gelungen. Danach ist plötzlich wieder eine andere Diskussion aufgekommen, man hat nur noch über Integration und Deutschkenntnisse geredet. Es gab einen gesellschaftlichen backlash, wie beim Feminismus auch.
Woran liegt das?
Man hat Rassismus wieder aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein genommen. Die Angriffe finden scheinbar nicht mehr statt, die Ermordung von Migranten findet nicht mehr statt, die Medien haben keine Lust mehr, sich mit dem Thema zu befassen. Und nach den Anschlägen vom 11. September hieß es: Das Problem ist nicht die Mehrheitsgesellschaft, sondern die Minderheit. Dass die Minderheit ein Teil dieser Gesellschaft ist, wird ignoriert.
Wie haben Ihre Mitschüler reagiert, als Sie anfingen, sich politisch zu engagieren?
Ich bin nicht mit Antinazi-Stickern rumgelaufen, um eine politische Haltung auszudrücken. Bei Interesse diskutiere ich gern darüber, aber ich muss nicht jedem meine Meinung aufdrücken. Insofern wurde ich weder angefeindet, noch dafür gelobt. Ich habe ja auch eher mit Deutschen zu tun gehabt - die hat das Thema nicht wirklich berührt. Ich bin im Karolinenviertel aufgewachsen und war einer der wenigen dort, der aufs Gymnasium gegangen ist. Es hat mich zwar gestört, dass die Deutschen nicht mitbekamen, was in Deutschland abläuft, war aber trotzdem mit ihnen befreundet.
Hat sich diese Erfahrung wiederholt?
Als ich anfing, Jura zu studieren, fanden die Anschläge in Rostock-Lichtenhagen und Solingen statt, das hat mich geprägt. Ich habe versucht, das auch an der Uni zu thematisieren, aber das ist ziemlich nach hinten losgegangen.
Warum?
Die Professoren haben eine ganz andere Veranstaltung daraus gemacht. Da wurde plötzlich thematisiert, dass es Rechtsextremismus in Deutschland gibt - weil sich bestimmte Gruppen nicht anpassten, weil die Mädchen zwangsverheiratet würden. Die Haltung der Justiz war damals sehr verharmlosend, die Täter wurden immer als Einzeltäter und eher geistig Zurückgebliebene dargestellt. Alle, die Menschen anzündeten, waren arbeitslos oder alkoholisiert, deswegen gab es immer Strafmilderung. Es dauerte lange, bis man gesagt hat: Das ist kein Grund, ein arbeitsloser Türke zündet auch keinen Deutschen an.
War diese Haltung für Sie ein Grund, Jura zu studieren?
Es war kein Grund, damit anzufangen, aber einer, dabeizubleiben.
Gibt es gerade nicht eine sonderbare Gleichzeitigkeit: Einerseits besetzen Migranten Ministerposten, werden gezielt nicht Deutsch-Stämmige für Polizei und Verwaltung gesucht und andererseits finden die Sarrazin-Thesen großen Anklang?
Bis es Normalität wird, den migrantischen Minister zu akzeptieren, wird es wieder 20, 30 Jahre dauern. Ich frage immer ketzerisch mein Gegenüber: "Als was betrachten Sie mich?" Wenn Sie mir ohne Wenn und Aber sagen können "Sie sind Deutscher für mich", dann haben wir es erreicht. Und auch Sie werden mich jetzt nicht als Deutschen betrachten, der Ihnen gegenübersitzt. Aber ich bestehe darauf. Ich bin seit 31 Jahren in Deutschland. Ich definiere mich nicht als Türken und auch nicht als jemanden mit Migrationshintergrund.
Eigentlich würde ich Sie gern fragen, wie es war, Pionier am Gymnasium zu sein. So wie ich das bei einem Freund tue, der der erste war, der in seiner Familie studiert hat. Jetzt verbietet sich die Frage eigentlich.
Nein. Das Problem ist, es als etwas Unveränderliches zu betrachten. Natürlich stammten die meisten sogenannten Gastarbeiter aus dem Arbeitermilieu. Und so wie es bei den deutschen Arbeiterkindern gedauert hat, bis sie an die Uni kamen, dauert es natürlich auch bei den Migranten. Auf dem Gymnasium war ich einer der wenigen, und an der Uni war ich in meinem Semester mit Aygül Özkan, der jetzigen niedersächsischen Sozialministerin, der einzige mit türkischem Vordergrund, Seitengrund, was auch immer. Jetzt machen viel mehr so etwas.
Bleibt es nicht etwas, worauf man auch stolz ist: dass man das Uni-Examen schafft, obwohl es einem eben nicht auf dem Silbertablett serviert worden ist wie anderen Kindern?
Natürlich war es in den 80er Jahren nicht selbstverständlich, dass man eine Gymnasialempfehlung bekommen hat, es war eher ein Aussortieren bis hin zur Sonderschule. Da gibt es eine Diskriminierung, die bis heute anhält.
Wie waren Ihre Erfahrungen?
Eine habe ich mir erst nach Jahren wieder in Erinnerung gebracht: Mein Mathematiklehrer holte mich nach vorne, weil ich eine Aufgabe lösen konnte. Dann legte er seinen Arm um meine Schulter und sagte zur Klasse: "Asche über eure Häupter, dieser Türke kann das und ihr alle könnt das nicht". Da denkt man: Sollte das ein Lob sein? Natürlich nicht. Durch solche Sachen hat man nur gespalten. Ich habe die Aufgabe ja nicht als Türke gelöst. Wenn man auf das Aktuelle kommt: Auch die Leute des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) haben nicht als Christen gemordet. Sondern wegen eines ideologischen Weltbildes.
Wenn ich über Prozesse schreibe, stellt sich immer wieder die Frage, ob ich den Migrationshintergrund von Tätern erwähne. Im Prozess gegen Ahmad O., der seine Schwester Morsal tötete, die anders lebte, als er es wollte, habe ich das getan. Ist das für Sie falsch?
Die Frage ist, ob das Richtige benannt wurde. Für mich war relativ klar, dass es dabei nicht um Migrationshintergrund geht, sondern um Patriarchat. Patriarchale Herrschaftsstrukturen können von Christen ausgeübt werden, das Problem gibt es bei den Muslimen in Pakistan genauso wie bei indischen Hindus.
Halten Sie denn die Religion als soziale Prägung für bedeutungslos?
Ich will nicht sagen, dass Religion überhaupt keine Rolle spielt, aber sie ist nicht das Entscheidende. Am patriarchalen System zu arbeiten, ist natürlich teurer, anstrengender als die Erklärung: Es liegt an der Religion. Dann muss man sich gar nicht mehr damit beschäftigen, es hat ja nichts mit uns zu tun.
Heute treten religiöse Gruppierungen auf, die - jetzt benutze ich den Begriff doch wieder - Menschen mit Migrationshintergrund vertreten, zum Beispiel der Zentralrat der Muslime. War das in den 80er Jahren anders?
Es gab viele verschiedene Gruppen und Initiativen. Es ist bezeichnend für ihren Zustand heute, dass es nach der Mordserie des NSU gerademal einen Trauermarsch in Hamburg gab. Nach Mölln und Solingen haben in Hamburg 15.000 Leute demonstriert. Die Leute haben ihr Geschäft einen Tag nicht geöffnet, es gab ein viel breiteres Bündnis von Gemüsehändlern bis hin zu Ärzten. Heute reißt es keinen mehr so vom Hocker, wenn wieder jemand umgebracht worden ist. In den 80er, 90er Jahren haben sich ja auch Jugendliche aus Selbstschutz zu Gangs zusammengeschlossen. Das waren Leute, die explizit Neonazi-Treffpunkte angegriffen haben, aus Selbstschutz.
Sie haben im Magazin Migazin geschrieben, dass die Ermittlungen zu der Mordserie des NSU von Behörden geführt werden, die bislang keinerlei Augenmerk für Rassismus hatten. Glauben Sie, dass sich dieses Bewusstsein noch einstellt?
Im Augenblick nicht. Es werden teilweise Krokodilstränen vergossen von der Politik. Im Bundeskriminalamt, das jahrelang die Opferzahlen heruntergerechnet hat, sitzen noch die gleichen Leute. Deswegen habe ich gefordert, dass eine unabhängige internationale Kommission das Ganze beleuchtet. Es ist bemerkenswert, dass wir nicht diskutieren, dass zehn Deutsche umgebracht wurden. Wir diskutieren über acht Türken, einen Griechen und eine Polizistin. Für mich waren diese Menschen Teil der deutschen Gesellschaft, Deutsche, auch wenn sie keinen deutschen Pass hatten. Der NSU hat sich sicher nicht Gedanken gemacht, ob der Gemüsehändler in Bahrenfeld Deutsch spricht oder einen deutschen Pass hat, als sie ihn umgebracht haben.
Das heißt, Sie vertreten ein anderes Konzept von Staatsbürgerschaft?
Die Frage der Rechte muss nicht an den Pass geknüpft werden. Auch nicht die der Pflichten. Die Frage ist: Wie lange hat dieser Mensch hier gelebt, und ist er Teil dieser Gesellschaft? Damit sind politische Konsequenzen verbunden. Das aktive und passive Wahlrecht kann an die Aufenthaltsdauer anstelle der Staatsangehörigkeit geknüpft werden. Eine Abschiebung wäre nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer unzulässig. Das ist in der Tat ein anderes Demokratie-und Staatsbürgerschaftskonzept.
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